Wer damals dabei war, bei diesem Testspiel auf Platz 11 neben dem Weserstadion, der hätte nicht geglaubt, dass Marvin Ducksch eines Tages eine so erfolgreiche Zeit bei Werder erleben würde. Es gibt Fotos von jenem „Freundschaftsspiel“ zwischen dem Erstligisten Bremen und dem Zweitligisten Hannover 96. Der Endstand von 2:0 für Werder war an jenem Septembertag 2020 nicht so spannend wie die Rangelei zwischen den Akteuren, die heute auf dem Feld so fantastisch harmonieren.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bundesligisten wirft, Zusammenhänge erklärt und die Entwicklungen im Verein einordnet.
Ducksch stürmte da noch für Hannover, er kam erst ein Jahr später nach Bremen. In dem Testspiel passierte ihm das, was gegnerischen Stürmern halt blüht gegen Werder: Er geriet in einen körperlichen und verbalen Zweikampf mit dem Mann fürs Grobe, Christian Groß. Ducksch regte sich fürchterlich auf und schimpfte, damit war er bei Groß natürlich genau richtig. Der Bremer Mittelfeldspieler erzählte ihm gleich mal ein paar passende Takte. Zuerst Schritt dann Niclas Füllkrug ein und stieß Ducksch zurück. Dann kam von hinten Ömer Toprak an und zerrte den aufgebrachten 96-Stürmer am Arm aus der rot-grünen Spielertraube. Duckschs Gesichtsausdruck bei dem ganzen Theater: ziemlich sauer und aggressiv.
Nicht jeder war begeistert, als dieser Ducksch dann nur ein Jahr später zu Werder wechselte. Kurz vor Transferschluss hatte Sportchef Frank Baumann im August 2021 doch noch Erfolg, nachdem Hannover die ersten Bremer Abwerbungsversuche noch abgeblockt hatte. Vier Millionen Euro Ablöse wurden für den Zweitligaspieler insgesamt fällig. So viel hatte noch nie jemand für Ducksch bezahlt, höchstens mal die Hälfte. Die vier Millionen schienen damals ein bisschen viel. Es war kein Wunder, dass Hannover 96 weich wurde. Heute weiß man: Es war sehr gut investiertes Geld von Werder.
Ducksch war übrigens nicht der Wunschspieler von Baumann, auch wenn der Sportchef an das Potenzial des Angreifers glaubte. Ducksch galt als Wunschkandidat von Markus Anfang, der als Trainer viele Jahre so etwas wie eine Vaterfigur für den wankelmütigen Angreifer war. Bis heute ist es so: Unter keinem Trainer machte Ducksch in seiner Profi-Karriere so viele Spiele wie unter Anfang. In 63 Partien coachte er ihn, bei Holstein Kiel ging das von der dritten bis zur zweiten Liga. Bei Werder kamen neun gemeinsame Spiele dazu, auch das erfolgreich, bevor dieser Trainer mit seinem gefälschten Impfpass aufflog: In diesen neun Spielen schoss Ducksch fünf Tore. Füllkrug verstand damals die Welt nicht mehr. Die Verpflichtung des Konkurrenten war ein klares Misstrauensvotum gegen Füllkrug, der damals auf die Bank musste.
Doch dann passierten zwei Dinge, die für Duckschs jetzigen Durchbruch in der Bundesliga entscheidend wurden: Er stellte sich auf den Sturmpartner Füllkrug ein – und er emanzipierte sich von Markus Anfang und fand unter Ole Werner ein neues Glück. Nur zwei Tore müsste Ducksch in der aktuellen Saison noch schießen, dann hätte er unter Werners Kommando so oft getroffen wie in all den Jahren unter Anfang, nämlich 29-mal. Ducksch und Werner, das funktionierte schnell: In den ersten sieben Spielen unter diesem Trainer traf Ducksch jedes Mal – und Werder gewann auch immer. Als Ducksch unter Werner erstmals nicht traf, riss prompt die ganze Siegesserie: Im Februar 2022 war das, beim 1:1 gegen den späteren Absteiger Ingolstadt.
Nach missratenen Versuchen in Paderborn und Düsseldorf hat sich Ducksch nun in der Bundesliga etabliert. Zwölf Saisontore und sieben Vorlagen sind eine starke Ausbeute. Als Werner vor dem Bayernspiel gefragt wurde, ob Ducksch nun aufblühe, weil Füllkrug verletzt ist – da verneinte der Trainer das sofort, um keine Schlagzeilen zu produzieren. Richtig ist aber, und das wurde gegen Bayern sichtbar: Ohne Füllkrug spürt Ducksch mehr Verantwortung und stellt sich dem auch, er läuft viel mehr, haut sich auch in der Defensive in den Zweikampf und powert sich aus.
Kein Wunder, dass BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl überlegt, den gebürtigen Dortmunder zurückzuholen. Ducksch durchlief alle Jugendteams der Borussen. Sein einziges Profi-Tor in acht Spielen für den BVB – alle unter Trainer Jürgen Klopp – schoss er kurioserweise, nachdem er in der ersten DFB-Pokalrunde 2013 für Kehl eingewechselt wurde. 0:0 stand es Mitte der zweiten Halbzeit in Wilhelmshaven. Dann kam Ducksch, bereitete die Führung durch Kevin Großkreutz vor und schoss das 2:0 selbst, ehe der spätere Weltfußballer Robert Lewandowski an Duckschs Seite den 3:0-Endstand markierte. Würde er jetzt für die festgeschriebene Ablöse von sieben Millionen Euro zum BVB wechseln, würde er nach turbulenten Jahren nach Hause kommen. Wenn es nicht so bitter für Werder wäre – man würde ihm das glatt gönnen.