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Interview Werder-Rückkehrer Hüsing über sein Karriereende und den neuen Job

Warum Oliver Hüsing seine Karriere beendete, verrät er im Interview mit unserer Deichstube. Darin spricht er über die Gründe für seine Werder-Rückkehr und seinen künftigen Job im Bremer Leistungszentrum.
25.07.2024, 17:53 Uhr
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Von mwi

Beim SV Werder Bremen schaffte er einst den Sprung vom Jugendspieler zum Bundesliga-Profi (drei Einsätze). Nach Stationen bei Hansa Rostock, Ferencvaros Budapest, dem 1. FC Heidenheim, Arminia Bielefeld und wieder Rostock hat Oliver Hüsing seine Schuhe kürzlich überraschend an den Nagel gehängt. Warum der 31-jährige Innenverteidiger seine Karriere beendete, verrät er im ausführlichen Interview mit unserer Deichstube. Darin spricht der Mann aus Bühren im Landkreis Cloppenburg auch über die Gründe für seine Werder-Rückkehr, seinen künftigen Job im Bremer Leistungszentrum, Erinnerungen an Claudio Pizarro und Brandungsangeln in der Ostsee.

Oliver Hüsing, Sie haben über Ihren Plan für die Zeit nach der Karriere mal den schönen Satz gesagt: „Erst dem Fußball treu bleiben, dann Schafe hüten.“ Warum hat das nicht geklappt?

Das muss ich ein bisschen revidieren. In dem Interview ging es damals darum, was ich mir eines Tages mal vorstellen könnte. Da habe ich erzählt, dass ich vom Bauernhof komme, mein Vater aktiver Landwirt ist, ich das total cool finde und mir irgendwann mal gut vorstellen könnte, selbst auf einem kleinen Hof zu leben. Ein paar Hühner zu haben, eigene Eier, eigenes Gemüse und Obst anzubauen, einfach selbstversorgermäßig unterwegs zu sein – das hätte was. Und erst dann habe ich in einem Nebensatz erwähnt, dass ich dann vielleicht auch ein paar Schafe hüten würde. Daraus wurde dann aber die Schlagzeile gemacht...

Was bedeutet Ihnen das Leben auf dem Familien-Bauernhof in Bühren?

In erster Linie ist es für mich einfach Heimat. Das sind meine Wurzeln, das ist das, was mich am meisten geprägt hat in meinem Leben: das Elternhaus, die Geschwister, die Familie und auch die Art und Weise, wie wir auf dem Land groß geworden sind. Mit der Arbeit, mit den Tieren auf dem Feld, aber eben auch dieser großen Naturverbundenheit. Mir gibt es enorm viel Kraft und eine große Ruhe und Gelassenheit, dort zu sein.

Sie haben kürzlich schon mit 31 Jahren Ihre Karriere als Profifußballer beendet – warum?

Hauptsächlich aus körperlichen Gründen. Ich hatte während der gesamten Fußballlaufbahn, das fing leider schon in meiner Jugendzeit bei Werder an, immer wieder größere Verletzungen. Wenn was war, dann hat es immer richtig bei mir eingeschlagen – auch verbunden mit großen Operationen. Schon in der U15 habe ich in Bremen ein ganzes Jahr verletzungsbedingt verpasst. Zuletzt habe ich einfach festgestellt, dass es nicht mehr so viel Spaß macht, wenn ich mich erstmal 45 Minuten lang für das eigentliche Aufwärmen auf dem Platz vorbereiten muss, damit es irgendwie funktioniert und die Gelenke geschmiert sind. Nach dem Abstieg mit Rostock habe ich mich dann noch intensiver mit der Frage beschäftigt, wann der richtige Zeitpunkt ist, aufzuhören, um nicht irgendwann vom Platz kriechen zu müssen.

Hätten Sie nicht mehr weiterspielen können?

Doch. Es wäre mit Sicherheit auch noch ein bis zwei Jahre auf gutem Profi-Niveau weitergegangen, weil da ja auch immer nochmal Adrenalin dazukommt und dann hält man ja doch einiges aus. Es gab viele Phasen, in denen ich meinen Körper nicht gerade in Watte gepackt habe, wo ich gespritzt gespielt habe, mehrere Spiele am Stück. Ich hatte zuletzt Untersuchungen, wo meine Gelenke angeschaut wurden. Das sieht nicht rosig aus, da wurden bereits bleibende Schäden festgestellt. Ich möchte in Zukunft aber gerne weiterhin einigermaßen fit sein und nicht den kompletten Raubbau an meinem Körper betreiben. Zumal ich meinen hohen Ansprüchen an mich selbst auch nicht mehr immer gerecht werden konnte.

Inwiefern?

Ich glaube, ich habe das Spiel immer ganz gut verstanden, aber ich war nie der technisch Beschlagendste und habe immer sehr von meiner Körperlichkeit gelebt. Dafür habe ich als Spieler immer extrem viel investiert. Wenn man dann aber irgendwann an den Punkt kommt, wo man merkt, dass man dem eigenen Anspruch nicht mehr gerecht werden kann, gibt einem das zu denken.

Passenderweise kam genau dann das Angebot von Werder. Wie lief das ab?

Der Kontakt zu Werder war wirklich immer da, seitdem ich den Verein damals (2016, d. Red.) in Richtung Budapest verlassen habe. Wir waren auf verschiedensten Ebenen mit verschiedensten Leuten und Werder-Mitarbeitern im Austausch. Es gab auch mal eine Phase, in der wir mit Heidenheim ein bisschen häufiger gegeneinander gespielt haben und ich war auch als Fan immer mal wieder im Weserstadion zu Gast. Im Frühjahr wurde der Austausch dann ein bisschen intensiver. So richtig Fahrt aufgenommen hat es nach dem Saisonende in der Sommerpause.

Was hat für Sie den Ausschlag gegeben, in anderer Rolle nach Bremen zurückzukehren?

Die Gespräche mit Werder waren einfach top. Ich habe da ein sehr gutes Gefühl nach dem Austausch mit Clemens (Fritz, d. Red.). Und der erste Eindruck, den ich jetzt von Peter Niemeyer, Marc Dommer und Ralf Heskamp gewinnen konnte, war ebenfalls total positiv. Ich glaube, diese Aufgabe ist für mich ein richtig cooler Einstieg, gerade weil ich auch die ganze Jugend durchlaufen habe, später Bundesliga-Luft schnuppern durfte und viele Dinge bei anderen Vereinen erlebt habe. Diesen Cocktail an Erfahrungen lasse ich gerne mit einfließen.

Welche anderen Optionen hatten Sie noch?

Ich hätte die Möglichkeit gehabt, noch weiter zu spielen, da gab es auch ein paar Gespräche. Und ich habe auch bei einem anderen Bundesligisten hospitiert in der Sommerpause. Bei welchem möchte ich aber nicht verraten.

Sie werden als Mitarbeiter im Leistungszentrum der neuen Führungsspitze um Ralf Heskamp und Marc Dommer zuarbeiten. Wie wird Ihr neuer Job konkret aussehen?

In erster Linie wird es für mich darum gehen, von den beiden, die ja einen sehr großen Erfahrungsschatz mitbringen, ganz viel zu lernen. Ich will einfach sehr fleißig sein, alles aufsaugen und den Job so von der Pike auf lernen. Ich werde die beiden in allen Themen, die in der Leitung eines Leistungszentrums anfallen, unterstützen. Das reicht von der Organisation des gesamten Spielbetriebs bis hin zur sportlichen Ausrichtung – ein total breites Feld also. Ich werde versuchen, einen guten Job zu machen, damit der Jugendbereich Fahrt aufnimmt.

Wie groß ist die Vorfreude, dass es bald losgeht?

Riesig! Wenn ich daran denke, am ersten Arbeitstag die Rampe am Osterdeich runterzufahren, dann aufs Weserstadion zu blicken und aufs gesamte Gelände mit den Plätzen, den Kabinen – dann kribbelt es schon, weil da enorm viele schöne Erinnerungen dranhängen. Aber ich bin ja nicht nur zum Spaß hier, sondern um zu arbeiten.

Erinnern Sie sich noch, wie es damals war, als Sie mit 11 Jahren zu Werder kamen?

Haargenau! Ich war von klein auf riesiger Werder-Fan. Es existiert sogar ein Bild von mir im Werder-Magazin, wie ich stolz mit meiner Werder-Schultüte zur Einschulung posiere. Zu der Zeit war ich auch zum ersten Mal mit meinem Papa im Weserstadion. Als ich zehn Jahre alt war, war mein einziger Weihnachtswunsch, mal ein Probetraining bei den Profis mitmachen zu dürfen. Meine älteste Schwester hat damals also einen Brief an Werder geschrieben mit genau dieser Bitte - und es kam eine ganz liebe Antwort zurück.

Was stand drin?

Natürlich, dass es leider nicht möglich sei, ich aber gerne mal bei der E-Jugend mittrainieren dürfe. Und dieses Training war dann scheinbar so gut, dass ich wiederkommen durfte, ins Perspektiv-Team übernommen wurde und kurze Zeit später auch fest zu Werder gewechselt bin. Meine Schwester hat also den großen Stein ins Rollen gebracht.

In der Jugend trafen Sie später auf einen gewissen Florian Kohfeldt. Was zeichnet Ihre heutige Freundschaft aus?

Über all die Jahre hatte ich mit Flo ein sehr inniges Verhältnis, weil wir sehr viele Berührungspunkte hatten – bei seiner ersten Trainerstation bei Werder als U14-Co-Trainer und später noch in der U17, der U23 und bei den Profis. Mit Flo habe ich mich auch außerhalb des Platzes immer richtig gut verstanden und er hat mir durchgehend Mut zugesprochen in all den Jahren. Ich war als junger Spieler wirklich nie ein Überflieger, von dem irgendjemand geglaubt hat, dass ich es in die Bundesliga schaffe. Aber ich habe es dennoch geschafft und vor allem Flo hat immer an mich geglaubt. Dafür werde ich ihm ewig dankbar sein.

Welcher Trainer hat Sie noch geprägt?

Am allermeisten Frank Schmidt. Ich habe unfassbar viel von ihm gelernt und er ist jemand, den ich als Führungsperson extrem schätze. Wir sehen den Fußball sehr ähnlich, ich mag aber auch seine tägliche Herangehensweise, die Art, wie er ein Team führt, Menschen führt, wie er mit den Spielern umgeht und arbeitet. Auch Pavel Dotchev war in Rostock damals enorm wichtig für meine Entwicklung, als ich in meiner Laufbahn am Scheideweg stand. Er hat mir nach meiner schwierigen letzten Zeit in Budapest bei Hansa damals von Anfang an blindes Vertrauen geschenkt und mir sofort das Gefühl gegeben: ‚Olli, egal was du machst, ich stehe bedingungslos hinter dir!‘

Können Sie sich eine Laufbahn als Cheftrainer vorstellen?

Es ist aktuell nicht mein Plan, aber ganz ausschließen möchte ich es auch nicht. Ich finde den Job unfassbar spannend und habe mir daher in den letzten sechs Jahren als Profi fast jeden Tag Notizen gemacht, die ich mir in eine riesige Word-Datei geladen habe. Da habe ich alles aufgeschrieben, was mir aufgefallen ist: Von Trainern, Sportdirektoren, Mitspielern, Zeitungsartikeln oder Interviews. Und Dinge, die ich interessant fand, die gut waren oder die ich in Zukunft mal anders machen würde. Ich habe auch ein extra Buch mit Trainingsinhalten und Spielvorbereitungen, das haben Sie noch nicht gesehen.

Wie bitte schön wird man als Profifußballer Bingo-Beauftragter in einem Altenheim?

Ich glaube, dafür gibt es kein Patentrezept. Das fing bei mir mit der Tante meines Vaters an, die früher bei uns auf dem Hof gelebt hat und die von meinen Eltern zu Hause gepflegt wurde. Als sie dann irgendwann in eine Kurzzeitpflege kam, fand ich es dort schon ziemlich trist. Ich dachte danach immer, dass es eine gute Sache wäre, ein Ehrenamt zu übernehmen, bin aber nie so richtig aus dem Quark gekommen. Erst als ich von Budapest nach Rostock gewechselt bin und meine neue Wohnung nur 500 Meter von einer Einrichtung entfernt war, bin ich da einfach mal hin, habe mich vorgestellt und wurde sofort mit offenen Armen empfangen.

Und wie ging es weiter?

Ich bin von Tür zu Tür gegangen und da in dem Heim auch einige Hansa-Fans waren und irgendwann alle wussten, was ich beruflich mache, hat sich schnell ein Hansa-Stammtisch entwickelt. Da wurde erst noch das Spiel vom Wochenende besprochen, wo es dann hin und wieder mal Lob gab, aber auch sehr viel ehrliche Kritik. Und im Anschluss wurde Bingo gespielt, weil das ein Spiel war, mit dem man die zehn Menschen gut an einen Tisch bekommen hat. Das war sehr schön, sehr lustig und manchmal auch ein bisschen fordernd.

Apropos fordernd: Wer war eigentlich der beste Gegenspieler, den Sie je verteidigen mussten?

Das größte Highlight war einmal mit Werder am Tag der Fans gegen Chelsea, als ich gegen Didier Drogba verteidigen durfte. Das kann ich jetzt inhaltlich gar nicht mehr so bewerten, weil es schon so lange her ist. Aber das war vom Namen her einfach sehr, sehr groß.

Und wer war Ihr bester Mitspieler bei Werder?

Der, zu dem ich am meisten aufgeschaut habe, war Claudio Pizarro. Ich kann mich noch erinnern, dass ich zu meinem elften Geburtstag einen Stadionbesuch geschenkt bekommen habe: Werder gegen Schalke. Da hat Claudio ein wunderschönes Tor geschossen, langer Ball, Annahme in der Luft, und Heber mit dem zweiten Kontakt über Oliver Reck hinweg. Später haben wir dann zusammengespielt oder vielmehr zusammentrainiert. Aber er hat genauso mit mir geredet, wie mit den Nationalspielern. Einfach ein unfassbar toller Mensch. Auch Philipp Bargfrede war sensationell gut. Und von Aaron Hunt war ich auch sehr beeindruckt. Er hat die Gegenspieler mit einer Leichtigkeit stehen lassen - das war sagenhaft.

Ihr Ex-Club Heidenheim spielt mittlerweile sehr erfolgreich in der Bundesliga. Im Sommer 2022, ausgerechnet ein Jahr vor dem Aufstieg, haben Sie den Verein verlassen und wechselten zu Arminia Bielefeld, das nach der Saison abstieg. Wie sehr bereuen Sie diese Entscheidung heute?

Ich glaube, das war die mit Abstand am häufigsten gestellte Frage in meinem Bekanntenkreis in den letzten Jahren. Natürlich muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich in dem Jahr in Bielefeld, wo wir nur verloren haben und es maximal beschissen lief und Heidenheim da ein Spiel nach dem anderen gewonnen hat, immer mal wieder zu Hause saß und richtig abgekotzt habe. Wenngleich ich mich auf der anderen Seite riesig für alle in Heidenheim gefreut habe. Aber wenn ich eins von Frank Schmidt gelernt habe, dann dass hätte, wenn und aber so gar nichts bringt. Und wer weiß: Vielleicht wäre Heidenheim mit mir ja auch gar nicht aufgestiegen.

Welcher war der schönste Moment Ihrer Karriere?

Mein erstes Bundesligaspiel im Weserstadion gegen Borussia Dortmund, wo ich gegen Ende eingewechselt wurde und wir Jürgen Klopps BVB geschlagen haben. Meine Eltern waren im Stadion, zehn Kumpels in der Ostkurve. Es war echt schön, danach mit ihnen zu feiern. Aber auch mit Heidenheim auf dem Schlossberg, Freitagabendspiel gegen Schalke und ich habe in der Nachspielzeit das 1:0 geköpft. Was mir ewig in Erinnerung bleiben wird, ist das Brandungsangeln an der Ostsee mit Andreas Thiem, dem Zeugwart von Rostock. Da den frischen Fisch direkt auf den Grill zu hauen, dabei ein Bier zu trinken und den Sonnenuntergang an der Ostsee zu genießen – das sind Momente, die bleiben für immer.

Was werden Sie am meisten am Leben als Profifußballer vermissen?

Das Spiel an sich, in all seinen Facetten. Das liebe ich wirklich. Ich habe mich in den letzten Tagen schon dabei erwischt, dass ich gedacht habe: Jetzt noch mal so ein schönes Kleinfeldspiel auf einem guten Rasen, sieben gegen sieben, enges Feld, viele Zweikämpfe, viele Tore, leichter Nieselregen. Plus die Emotionen, die ein großes Fußballstadion und eine gewisse Drucksituation mit sich bringen. Dafür habe ich mich immer richtig gerne gequält und mit einer Spritze im Sprunggelenk gespielt. Dieser süße Schmerz nach so einem gewonnenen Spiel, und dann mit den Jungs in der Kabine zu sitzen, das hat mir eine tiefe innere Zufriedenheit gegeben.

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