Nordderby, das steht für Rivalität und Emotion. Für fußballerische Leckerbissen stand das Derby jedoch schon lange nicht mehr. Nach dem Abstieg des Hamburger SV fiel das Derby mehrere Jahre aus, und auch davor kämpften häufig zwei Mittelklasse-Teams der Bundesliga mit eher überschaubaren fußballerischen Mitteln.
Die Nordderbys in der Zweiten Liga sind anders. Das Rückspiel am Sonntagnachmittag war nicht nur dramatisch, sondern auch taktisch hochklassig. Werder-Coach Ole Werner bewies in der ersten Halbzeit, wie sich das Spielsystem des HSV ausschalten lässt. Sein Gegenüber Tim Walter konterte mit einer cleveren Umstellung nach der Pause.
Werner-Erfolgssystem gegen Walterball
Beide Trainer schickten ihre eingespielte Elf auf das Feld. Im Falle von Werder Bremen bedeutete dies, dass Werner sein Team in einem 5-3-2 aufstellte. Der HSV lief in einer Mischung aus 4-3-3 und 4-2-3-1 auf. Sonny Kittel pendelte zwischen zentralem und offensivem Mittelfeld.
Der HSV setzt unter Walter auf ein unorthodoxes Spielsystem, das in Taktikkreisen unter dem Namen „Walterball“ bekannt ist. Mit viel Ballbesitz und zahlreichen Positionswechseln will der HSV den Gegner dominieren. Auffällig sind die vielen Läufe der Verteidiger: Wenn die Innen- oder Außenverteidiger einen Pass spielen, sprinten sie anschließend sofort in eine neue Position. So tauchen die Innenverteidiger häufig auf den Flügeln oder im Mittelfeld auf, auch die Außenverteidiger bewegen sich ständig.
Gegen Werder versuchte der HSV, das zentrale Mittelfeld zu überladen. Die beiden Außenverteidiger boten sich zunächst auf den Außen an, zogen aber nach Pässen zu den Innenverteidigern sofort ins Zentrum. Auch Mario Vuskovic bewegte sich häufig in den Raum vor der Abwehr.
Wache Deckung gegen Hamburger Positionswechsel
Werders Trainer hat das Spielsystem der Hamburger offenbar gut ausgekundschaftet. Seine Werderaner stellten in der ersten Halbzeit den Spielaufbau der Hamburger schachmatt. Wichtige Eckpfeiler der Bremer Verteidigung waren Romano Schmid und Leonardo Bittencourt. Sie rückten aus dem Zentrum heraus auf die Hamburger Außenverteidiger und setzten diese unter Druck.
Sobald die Hamburger Außen nach innen rückten, ließen Schmid und Bittencourt nicht locker. Sie hefteten sich an die Fersen ihrer Gegenspieler. Auch Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug ließen sich von den Positionswechseln nicht verwirren, sondern verfolgten ihre Gegenspieler konsequent.
So konnte Werder die gegnerische Viererkette fast permanent unter Druck setzen. Auch in den hinteren Reihen standen die Bremer stets nah am Mann. Werders Verteidiger passten perfekt ab, wann sie aus der Abwehrkette herausrücken mussten. So nahm etwa Innenverteidiger Ömer Toprak Stürmer Robert Glatzel aus dem Spiel.
Walters Antwort
Dank des starken Pressings dominierte Werder die gesamte erste Halbzeit. Auch nach der frühen Führung (10.) hielt Bremen den Druck hoch, der HSV spielte den eigenen Ballbesitz praktisch nur in der eigenen Hälfte aus. Werder hätte nach Kontern sogar nachlegen können, doch Bittencourt (30.) und Ducksch (33.) vergaben beste Chancen.
Walter nutzte die Halbzeit-Pause, um sein Team zu verändern. Er brachte mit Giorgi Chakvetadze (für Faride Alidou) einen neuen Linksaußen. Der Georgier interpretierte seine Position wesentlich freier als Alidou. So zog er häufig in die Mitte.
Noch gewichtiger war aber, dass die Hamburger Außenverteidiger nun seltener ins Zentrum rückten. Stattdessen bewegten sie sich gerade den Flügel entlang. Wenn Bittencourt und Schmid nun aus dem Zentrum nach Außen rückten, kehrten sie nicht mehr ins Zentrum zurück. Chakvetadze, aber auch Kittel und Jonas Meffert besetzten die entstehenden Lücken im Zentrum. Der HSV schaffte es nun wesentlich besser, das Pressing der Bremer zu umspielen. So auch vor dem 1:1, das Chakvetadze mit einer Verlagerung von der linken auf die rechte Seite einleitete (46.).
Abnutzungskampf bis zum Schluss
Werder reagierte zwar schnell: Bittencourt und Schmid zogen sich ins Zentrum zurück. Bremen verteidigte nun in einem positionstreueren 5-3-2. Die drei zentralen Spieler konnten zwar die Spielfeldmitte abdecken. Die Bremer bekamen aber kaum mehr Druck auf den Spielaufbau der Hamburger. Die dominierten das Spiel jetzt vollständig. Schon vor der Pause lag der Hamburger Ballbesitz bei 60%. In der zweiten Halbzeit erreichten sie gar 75%.
Werder kam nur noch selten zum Kontern – dann aber mit Wucht. Ein Handelfmeter (51.) und ein Ballgewinn des nach hinten geeilten Ducksch (76.) brachten Werder zurück auf die Siegerstraße. Beide Treffer fielen jedoch gegen den Verlauf des Spiels, da nach der Pause praktisch nur noch der HSV nach vorne drückte.
Am Ende warf Walter alles nach vorne. In einem totaloffensiven 3-4-1-2-System hielt es keinen Hamburger Spieler mehr hinten. Aushilfs-Innenverteidiger Josha Vagnoman sprintete ständig in den gegnerischen Strafraum. Selbst Torhüter Daniel Heuer Fernandes rückte als Anspielstation bis an die Mittellinie.
Es half nichts aus Hamburger Sicht. Ein tiefstehendes Werder kämpfte sich zum 3:2-Sieg. In einem Spiel zweier unterschiedlicher Halbzeiten lag das Glück am Ende auf der Bremer Seite. Der HSV muss sich damit begnügen, dem Konkurrenten aus dem Norden alles abverlangt zu haben: auf kämpferischer, auf fußballerischer, aber auch auf taktischer Ebene.