Natürlich schauen sie bei Romano Schmid ganz genau hin. Auch auf Milos Veljkovic haben die Verantwortlichen des SV Werder Bremen ein Auge. Und sollte Neuzugang Marco Grüll im Laufe der bevorstehenden Europameisterschaft zum Einsatz kommen, wird ebenso detailliert registriert, wie sich der Österreicher auf dem Rasen gegen namhafte Gegenspieler schlägt. Doch das kontinentale Kräftemessen bietet für Werder noch viel mehr Chancen. Für den Bundesligisten ist es die optimale Gelegenheit, mit relativ wenig Aufwand wichtige und zusätzliche Scouting-Informationen einzusammeln. „Wir sind während des Turniers in den Stadien vertreten und decken punktuell Spiele ab, die für uns relevant sind“, kündigt Clemens Fritz als Leiter Profifußball an.
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Wer von den Bremern explizit beobachtet wird, verrät der 43-Jährige verständlicherweise nicht. Nur so viel: „Dabei geht es vor allem darum, von Spielern Live-Eindrücke auf Topniveau zu sammeln“, schildert Fritz und erklärt, dass gewisse Fragen ganz besonders im Blickpunkt stehen: „Wie ist das Gefühl für das Spiel, wie der Umgang mit Drucksituationen und welche Intensität wird auf dem Platz gezeigt?“ Stück für Stück setzt sich so ein komplexes Puzzle zusammen, dessen Gesamtbild die Grün-Weißen dabei unterstützt, elementare Personalentscheidungen für die eigene Mannschaft zu treffen. „Das sind wertvolle Informationen, die uns kurzfristig, aber auch in der Zukunft bei möglichen Transfers weiterhelfen können“, hebt Fritz hervor. Der fußballerische Ertrag soll schließlich möglichst hoch sein – bei entsprechend wenigen Risiken. Um Letztere entscheidend zu minimieren, ist ein optimales Scouting unverzichtbar.
Kurze Reisewege nutzen
Die Heim-EM ist dabei insbesondere aus geografischen Aspekten für Werder und all die anderen deutschen Clubs attraktiv. Die Reisewege und damit verbundenen Kosten bewegen sich in überschaubaren Grenzen. Normalerweise werden Scouts recht preisintensiv in alle Himmelsrichtungen auf Tour geschickt, um die bevorzugten Märkte abzudecken, Spielerprofile zu erstellen, interessante Akteure aufzutun und wichtige Informationen zu liefern. Je liquider ein Verein, desto mehr Möglichkeiten hat er. Rückt jemand während der Suche tatsächlich intensiver in den Fokus, wird noch konkreter, noch zielstrebiger beobachtet, das eigene Daten-Portfolio dank zusätzlicher Live-Erlebnisse weiter verfeinert.
In diesem Sommer läuft es genau umgekehrt: Die vermeintlich besten Spieler des Kontinents stellen sich in Deutschland auf die große Bühne, etwaige Soforthilfen ebenso wie perspektivische Transferkandidaten. Oder auch Kicker, die zwar bekannt, sonst aber in Ländern unterwegs sind, die aufgrund verschiedenster Kriterien nicht zu den Kernsuchgebieten eines Clubs gehören. Folglich werden bei den jetzigen Auftritten allerhand wertvolle Erkenntnisse geboten – man muss sie nur zu nutzen wissen.
Klar ist aber auch: Die ganz großen Überraschungen und unerwarteten Neuentdeckungen sollte es bei Werder und für all die anderen Vereinsvertreter auf den Tribünen der deutschen Stadien in den kommenden Wochen nicht mehr geben. Die Vorarbeit ist längst erledigt, der Pool an Profis, die einerseits teilnehmen und andererseits für den eigenen Kader überhaupt aus sportlichen und/oder finanziellen Gründen in Frage kommen, bekannt. Zumindest sollte das in diesem Geschäft so sein. Umgekehrt tauchen auch die Herren Schmid, Grüll oder Veljkovic in jeder gut geführten Datenbank der (inter-)nationalen Konkurrenz auf. Ganz normaler Fußball-Alltag eben. Nur jetzt eben mit besonderem Schaufenster.
Ab dem kommenden Freitag, wenn die Europameisterschaft mit dem Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland offiziell beginnt, wird sich zeigen, wie lange sich die Bremer Profis in den Arenen den Fans und Scouts präsentieren können. „Ich wünsche allen, dass sie weit kommen“, hatte Werder-Trainer Ole Werner kürzlich erklärt, „auch wenn das bedeutet, dass der eine oder andere Spieler danach etwas später aus dem Urlaub zu uns kommt.“
So viele Informationen sammeln wie möglich
Je mehr ein Spieler während einer EM auf sich aufmerksam macht, desto größer kann hinterher der Interessentenkreis sein. Das gilt für mögliche Abgänge genauso wie für potenzielle Neuverpflichtungen. Wo für einen Einkauf eben noch eine wirtschaftliche Machbarkeit vorhanden war, rückt ein zeitnaher Transfer plötzlich wegen zusätzlicher Offerten der Konkurrenz außer Reichweite. An der Wichtigkeit der gesammelten Daten beziehungsweise Live-Eindrücke im Laufe der Europameisterschaft ändert das nichts – schließlich ist es gang und gäbe, dass Profis langfristig beobachtet werden, jahrelang auf internen Listen stehen und Wechsel erst wesentlich später realisierbar erscheinen. Auch deshalb, weil Karrieren schlichtweg nicht planbar sind. Umso wichtiger ist es für einen Verein wie Werder Bremen, so viele Informationen wie möglich über so viele Spieler wie möglich anzuhäufen. Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.