Das Wort Abstiegskampf hören Bremer Fans nicht gerne. Jahrelang krebste der Verein im unteren Tabellendrittel herum. Die Angst vor dem Abstieg begleitete die Werder-Fans bei jedem Spiel. Umso froher sind die meisten Anhänger, dass Werder sich in dieser Saison ein Polster aufgebaut hat zu den Abstiegsrängen. Der 1:0-Sieg gegen Hertha BSC vergrößerte den Abstand noch weiter. Zugleich erinnerte die Begegnung an den Bremer Abstiegskampf und -krampf der Vergangenheit. Hertha zwängte den Bremern ein umkämpftes Spiel auf, bei dem es am Ende genauso viele Fouls wie Torschüsse zu bestaunen gab.
Gruev sticht heraus – in vielfacher Hinsicht
Werder-Coach Ole Werner begann auch diese Partie in seiner bevorzugten 5-3-2-Formation. Im Mittelfeld bekam Ilia Gruev den Vorzug vor Christian Groß. Hertha begann das Spiel in einer 4-4-2-Formation. Auffällig war die Arbeitsteilung der Berliner Doppelsechs: Lucas Tousart ließ sich fallen, um das Spiel aus der Tiefe zu gestalten. Suat Serdar hingegen rückte weit nach vorne.
Wie gewohnt begann Werder die Partie mit einem hohen, mannorientierten Pressing. Die beiden Stürmer liefen die gegnerischen Innenverteidiger an, dahinter übernahm jeder Mittelfeldspieler jeweils einen Gegenspieler. Die Rolle der Berliner Doppelsechs zwang Werder zu einer Asymmetrie: Leonardo Bittencourt rückte weit vor, um den zurückfallenden Tousart zu stellen. Romano Schmid hingegen spielte tiefer als gewohnt. Er verfolgte Serdar.
Der Spieler, der bei Werder herausstach, war jedoch Gruev – und das in vielfacher Hinsicht. Immer wieder ließ Gruev von seinem Gegenspieler Steven Jovetic ab und rückte vor. Er stellte damit eine Überzahl her gegen Berlins Doppelsechs. Werder war darauf aus, genau in diesem Bereich Ballgewinne zu erzielen. Tatsächlich kreierten die Bremer ihre besten Chancen, wenn das Bremer Mittelfeld der Berliner Doppelsechs den Ball abluchste.
Die Strategie war jedoch auch riskant: Hätte Hertha das Bremer Drei-gegen-Zwei-Pressing überspielt, hätten sie mit Tempo auf die Abwehrkette zulaufen können. Damit dies nicht passiert, foulte Gruev im Zweifel den vorbeiziehenden Berliner. Mit insgesamt sechs Fouls stach Gruev auch in dieser Statistik heraus. Er hatte Glück, dass der Schiedsrichter die Fouls offenbar nicht zählte. Gruev sah nicht einmal die Gelbe Karte. Bis zu seiner Auswechslung (83.) konnte Werders Sechser im Zweifel immer den Gegner foulen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Hertha erst aggressiv, dann kompakt
Nicht nur Werder setzte auf eine aggressive Spielweise, die häufig in einem Foul mündete. Auch die Hertha begann das Spiel mit einem hohen Pressing. Linksaußen Marco Richter rückte vor, um die beiden Stürmer zu unterstützen. So liefen drei Herthaner die drei Bremer Innenverteidiger an. Sie lenkten damit das Spiel zugleich von Werders rechter Seite weg. Werder sollte das Spiel nicht über Mitchell Weiser in die Berliner Hälfte tragen können.
Das hohe Tempo hielten die Berliner nur eine Viertelstunde lang aufrecht. Danach zogen sie sich in einem kompakten 4-4-1-1 an den Mittelkreis zurück. Werders Dreierkette ließ den Ball laufen. Doch aus dem Spielaufbau heraus fand Werder keine Mittel, den Gegner zu knacken. Werder sammelte zwischen der 15. und der 45. Minute über sechzig Prozent Ballbesitz, spielte diesen aber zumeist in der eigenen Hälfte aus.
Nach einem frühen Wechsel veränderte sich die Taktik der Berliner. Jovetic musste gehen. Mit Jean-Paul Boëtius kam ein klassischer Zehner als Ersatz. Hertha agierte nun in einem 4-2-3-1. Im hohen Pressing rückten die beiden Außenstürmer vor, um Werders Dreierkette anzulaufen. Boëtius deckte Gruev. Das erschwerte Werder zwar den Spielaufbau. Zugleich war die Berliner Doppelsechs fortan in Unterzahl. Werder spielte vermehrt lange Bälle auf Niclas Füllkrug und sammelte die zweiten Bälle im Mittelfeld auf.
Weiser zieht die Fouls
Nach der Pause forcierte Werder die langen Bälle. Schlug Werder in der ersten Halbzeit nur jeden zehnten Ball lang, flog nun rund jedes fünfte Zuspiel hoch in die Berliner Hälfte. Zugleich konnte Werder das hohe Pressing der ersten Hälfte nicht mehr ganz aufrechthalten. Beide Teams hatten in der zweiten Halbzeit etwa gleiche Ballbesitz-Anteile.
Den Unterschied machten am Ende die Freistöße, die Werder herausholte. Weisers Rolle veränderte sich in der zweiten Halbzeit leicht: Er positionierte sich tiefer als in den vergangenen Wochen. Teilweise holte er den Ball sogar in der eigenen Hälfte ab. Hertha folgte ihm nicht derart weit, sodass Weiser zu Dribblings ansetzen konnte. Bei diesen war er zwar meist von seinen Teamkollegen isoliert. Immerhin holte er jedoch Freistöße heraus – und das nicht zu wenige. Sechsmal foulte Hertha Bremens Rechtsverteidiger.
Den Freistoß zum entscheidenden 1:0 gewann jedoch ein anderer Spieler. Der eingewechselte Christian Groß fiel an der Mittellinie. Werder brachte den Ball mit einer klugen Variante in den Strafraum, wo Füllkrug den Ball einköpfte (85.). In einem engen und umkämpften Spiel kamen beide Teams nur zu wenig Chancen aus dem eigenen Spielaufbau.
Dass Werder das Siegtor nach einem Freistoß erzielte, war die passende Pointe für ein Spiel mit insgesamt 25 Fouls. Der Freitagabend im Bremer Weserstadion fühlte sich nach Abstiegskampf an. Mit diesem hat Werder spätestens nach dem 1:0-Erfolg nichts mehr zu tun. Mit 18 Punkten nach zwölf Spielen sind sie den Champions-League-Rängen näher als dem Relegationsrang.