Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Ex-Werderaner Alexander Neumann Wenn alle Träume platzen

Er hat mit Philipp Bargfrede und Max Kruse bei Werder gespielt, war bester Torjäger der A-Jugend: Alexander Neumann war auf dem Weg, Fußballprofi zu werden – bis ein Fehler alles kaputt gemacht hat.
24.06.2017, 17:25 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Wenn alle Träume platzen
Von Patrick Hoffmann

Es war der Höhepunkt seiner Fußballkarriere. Nur wusste Alexander Neumann das damals noch nicht. Im Juni 2007 traf er im Halbfinale der deutschen A-Junioren-Meisterschaft mit dem SV Werder Bremen auf den FC Bayern München. Neumann spielte damals an der Seite von Philipp Bargfrede, Max Kruse, Dennis Diekmeier und Sebastian Mielitz, für die Bayern standen unter anderem Toni Kroos, Holger Badstuber, Thomas Müller und Mehmet Ekici auf dem Feld. Sie alle wurden später Bundesligaprofis, einige sogar Nationalspieler. „Ich war fußballerisch nicht weit entfernt von diesen Jungs“, sagt Neumann zehn Jahre danach. „Heute sind sie teilweise Weltklassespieler.“ Neumann hingegen, der in jener Saison der erfolgreichste Torjäger der Liga war und ebenfalls von einer großen Karriere träumen durfte, ist heute bloß noch Freizeitkicker in der vierten Liga.

Es ist eine Geschichte darüber, wie hart es im Fußballgeschäft zugeht, wie viel Glück jemand benötigt, um sich durchzusetzen, und wie sehr Zufälle eine Karriere ebnen – oder eben nicht. Bei Neumann ist es ein Wechsel zur falschen Zeit zum falschen Verein, der alles ruiniert.

Lesen Sie auch

Dabei hat es so gut angefangen. Neumann wächst in Achim bei Bremen auf, spielt als Kind zunächst beim TSV Uesen, dann beim TSV Verden. Mit 14 Jahren wird er von den Talentspähern des SV Werder entdeckt. Neumann ziert sich zunächst. Ein Wechsel kommt für ihn nur infrage, wenn auch sein Kumpel Dennis Diekmeier dabei sein darf. Den haben die Bremer Talentspäher bis dahin zwar nicht auf dem Zettel gehabt, dennoch stimmt der Verein zu. Zusammen durchlaufen Neumann und Diekmeier das Nachwuchsprogramm bei Werder, werden Stammspieler. Neumann kommt seinem Ziel Jahr für Jahr ein Stückchen näher. Einmal als Spieler im geliebten Weserstadion einlaufen, denkt er sich, das wär’s.

In der U19 mit Thomas Müller

Neumanns starke Leistungen in Werders Jugendmannschaften bleiben nicht unbemerkt. Der Angreifer wird, anders als seine Mannschaftskollegen Bargfrede und Mielitz, früh in die deutsche Junioren-Nationalmannschaft berufen. In der U17 schießt er in acht Länderspielen sieben Tore, eine sensationelle Quote. In der U19 läuft der Torjäger später an der Seite von Ron-Robert Zieler und Thomas Müller auf, die 2014 in Brasilien Weltmeister werden. Trainer der U19-Auswahl ist Horst Hrubesch, einst Torjäger beim Hamburger SV und in der Nationalmannschaft. Hrubesch fördert den jungen Neumann, sagt ihm aber auch ehrlich ins Gesicht, was er ihm in der Karriere zutraut. „Für die erste Liga bist du wahrscheinlich zu langsam, aber die zweite Liga ist auf jeden Fall drin“, sagt Hrubesch. Klingt super, denkt sich Neumann. Schließlich lässt sich auch in der zweiten Liga eine Menge Geld verdienen. Und wer weiß, denkt er sich: Wenn ich in der zweiten Liga erst mal 15 Tore in einer Saison erziele, öffnet sich ja vielleicht noch ein Türchen in die erste Liga. Passiert ja immer wieder.

Klar, Neumann besitzt nicht dieses überragende Spielverständnis seines Mitspielers Bargfrede, und ihm fehlt auch die individuelle Klasse von Kruse. Aber er weiß, wo das Tor steht, wie es in der Fußballersprache heißt. In seinem ersten Jahr in Werders A-Jugend 2006/2007 schießt Neumann in 23 Spielen 24 Tore, er ist damit bundesweit der Toptorjäger seiner Altersklasse, noch vor Simon Terodde, der damals 21 Tore für den MSV Duisburg erzielt und heute in der Bundesliga beim VfB Stuttgart unter Vertrag steht. „Wir hatten damals einfach eine sensationelle Mannschaft“, sagt Neumann, „aber so viele Tore muss man trotzdem erst mal hinbekommen.“ Neumann hat großen Anteil daran, dass Werder in der Nordstaffel 70 von möglichen 78 Punkten holt und sich souverän für das Halbfinale um die deutsche Meisterschaft qualifiziert. Dort geht es im Juni 2007 gegen die starken Bayern mit Müller, Kroos, Badstuber und Ekici. Das Hinspiel in Bremen endet 2:2, das Rückspiel vier Tage später in München gewinnen die Bayern mit 4:2. Neumann erzielt kein einziges Tor, der Traum vom Titel platzt.

Im Jahr darauf, Neumanns zweitem bei den A-Junioren, läuft es schon nicht mehr ganz so gut. Neumann erzielt zehn Tore, immerhin, aber Werder verpasst das Halbfinale um die deutsche Meisterschaft. Die Bremer wollen ihre talentierten Eigengewächse aber unbedingt halten und bieten ihnen Verträge für die U23 an. Diekmeier, Bargfrede und Mielitz unterschreiben, der ein Jahr ältere Kruse ist bereits im Jahr zuvor in die U23 gewechselt. Nur Neumann zögert. Werder ist damals Dauergast in der Champions League, die Angreifer im Profiteam heißen Claudio Pizarro, Hugo Almeida, Markus Rosenberg und Boubacar Sanogo. „Da hätte ich keine Chance gehabt“, sagt Neumann. Also lehnt er das Bremer Angebot an. „Es war der größte Fehler meines Lebens“, sagt er später.

Kaum Einsätze in Bochum

Neumann wechselt stattdessen zum VfL Bochum. Sein Berater hat kurz zuvor bereits zwei seiner Klienten beim Westklub untergebracht, Neumann ist eine Art Zugabe, was er damals aber noch nicht weiß. Dem jungen Nachwuchsstürmer wird erzählt, dass er in Bochum zunächst in der U23 spielen soll, durch Trainingseinheiten mit den Profis aber schnellstmöglich an den Bundesligakader herangeführt werden soll. Neumann unterschreibt für zwei Jahre. Es sind zwei Jahre, sagt Neumann heute, „die mir alles kaputt gemacht haben“.

Schon der Einstand verläuft katastrophal. Weder Marcel Koller, damals Cheftrainer der Bochumer Erstligaprofis, noch Nico Michaty, Trainer der U23, haben Neumann jemals zuvor spielen gesehen. „Die wussten gar nicht, wer ich bin“, sagt Neumann. Er darf auch nicht mit den Profis spielen. Trotzdem verläuft die erste Saison recht ordentlich. Neumann kommt in der Regionalliga West 23-mal zum Einsatz und schießt fünf Tore. Hannover 96 wird auf ihn aufmerksam, macht ihm nach der ersten Saison beim VfL ein Angebot. Neumann will wechseln, bekommt vom Verein aber keine Freigabe. In der folgenden Saison 2009/2010 kommt Neumann nur noch auf 44 Minuten Einsatzzeit – in der gesamten Spielzeit. Warum, weiß er bis heute nicht.

Neumann ist unglücklich. „Das war eine ganz schlimme Zeit“, sagt er. Er wohnt zum ersten Mal in seinem Leben nicht mehr bei seinen Eltern in Achim, ist in Bochum auf sich allein gestellt, fühlt sich vom Verein ungerecht behandelt. Neumann verliert mehr und mehr an Selbstbewusstsein. Eine Negativspirale setzt sich in Gang. Und immer wieder gibt es neue Rückschläge. Einmal lässt ihn der VfL nicht zu einem Kurzturnier mit der U20-Nationalmannschaft fahren, angeblich, weil der Trainer in der U23 nicht auf ihn verzichten kann. In den drei Regionalligaspielen während des U20-Turniers kommt er eine Halbzeit lang zum Einsatz. Was soll das, fragt er sich. Wie soll er sich so für einen neuen Verein empfehlen, wenn sein Vertrag in ein paar Monaten ausläuft?

Es ist der Moment, in dem Neumann erstmals darüber nachdenkt, seine Karriere zu beenden. Dabei hat sie noch nicht mal richtig begonnen. Nach dem zweiten Jahr in Bochum steht er ohne neuen Verein da. Bochum will nicht mehr, „und Angebote von anderen Klubs gab es auch keine, weil ich ja kaum gespielt hatte. Ich saß also da und dachte: Was mache ich jetzt?“

„Es ist ein Drecksgeschäft“

Neumann wägt ab. Soll er sich einen kleinen Klub in der Regionalliga suchen, um sich dort mit guten Leistungen für höhere Aufgaben zu empfehlen? Mit 20 Jahren ist das ja durchaus noch möglich, in diesem Alter haben die wenigsten Spieler schon den Sprung in die Bundesliga geschafft, er hat also noch Zeit. Oder soll er einen ordentlichen Beruf lernen? Nach vielen Gesprächen mit seinen Eltern entscheidet sich Neumann für Letzteres. „Ich wollte nicht irgendwann mit 35 oder 36 Jahren noch in der dritten oder vierten Liga um einen Vertrag betteln, weil ich das Geld brauche und nichts anderes gelernt habe“, sagt er. Außerdem hat er genug vom Profigeschäft, von den handelnden Personen. „Es ist ein Drecksgeschäft“, sagt Neumann. „Wenn du Tore schießt, bist du der Held. Und wenn du dann nicht mehr triffst, kennt dich kein Mensch mehr.“

Neumann zieht zurück zu seinen Eltern nach Achim, beginnt eine Ausbildung zum Bürokaufmann. „Ich wollte eine Pause vom Leistungsfußball haben“, sagt er. Neumann jagt dem Ball fortan nur noch als Freizeitkicker hinterher, erst beim Oberligisten TSV Ottersberg, dann beim Regionalligisten BSV Rehden. Von einer Profikarriere träumt er längst nicht mehr. Neumann findet auch so sein Glück. Privat. Er beginnt ein BWL-Studium an der Hochschule Bremen, zieht mit seiner Frau nach Ottersberg, wird Vater. Fußball spielt er immer noch, inzwischen beim Regionalligisten SV Drochtersen/Assel. „Da gefällt es mir richtig gut, es ist alles sehr familiär“, sagt der heute 28-jährige Neumann. Der verpassten Profikarriere trauert er nicht mehr nach, auch wenn seine ehemaligen Mitspieler Max Kruse, Philipp Bargfrede, Dennis Diekmeier und – zumindest zwischenzeitlich – Sebastian Mielitz es geschafft haben. „Die haben ihr Ding gemacht“, sagt Neumann. „Und ich bin jetzt halt ein richtiger Feierabendfußballer.“

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)