Thomas Zeisner öffnen einen Schrank und präsentiert seine Flaschensammlung: Etwa 700 Ketchupflaschen aus aller Welt stehen dort sorgfältig nebeneinander aufgereiht. Der Geschäftsführer des Soßenherstellers Zeisner probiert gern die Produkte anderer Hersteller, auch um Geschmack oder Aufmachung zu vergleichen. "Meine Frau zieht mich im Urlaub vom Ketchupregal weg, so wie man Kinder vom Süßigkeitenregal wegziehen muss."
Er wirft sich einen Laborkittel um und setzt eine Schirmmütze auf den Kopf, bevor er den Produktionsbereich betritt. Am Anfang von Zeisners Ketchup steht Tomatenmark aus Portugal und Spanien. Im Gegensatz zum handelsüblichen, dreifach konzentrierten Tomatenmark aus der Tube ist der Ketchuprohstoff zweifach konzentriert. Zeisner erhält die rote Fracht in 240-Liter-Fässern. "Alle zwei Jahre fahren wir runter und schauen uns die Betriebe an", sagt er. In der sogenannten Küche wird das Tomatenmark mit Zucker, Gewürzen und Branntweinessig gemischt. Die Maschinen im Zubereitungsraum lärmen unablässig.
Das Hauptgebäude ist mehr als 200 Jahre alt und sei früher als Stall genutzt worden. Zwischen Industriemaschinen und weißen Fliesen ist ein altes Stück Mauerwerk erhalten geblieben. Hinter einer Glasscheibe wahrt es die Geschichte des Hauses. Über eine schmale Treppe geht Zeisner ein Stockwerk höher. Er bückt sich und zieht den Kopf ein, um sich nicht zu stoßen. Wo einst ein alter Heuboden war, hat heute der Gewürzraum seinen Sitz. Über 20 Gewürze lagern dort in Eimern und hüllen den Raum in eine kräftige Duftwolke. Nelken und Sternanis dominieren. Es riecht weihnachtlich unter den Dachschrägen, während draußen die Sonne auf grüne Wiesen scheint.
"Hier ist unser Bällebad", sagt er und zeigt eine Maschine im Raum nebenan: Über ein Fließband fallen leere Ketchupflaschen in einen Trichter und stapeln sich darin zu einem großen Haufen. Durch eine kleine Öffnung gelangen sie wieder ein Stockwerk tiefer in die Befüllungsanlage. Dort werden die Flaschen auf einem Fließband etikettiert, befüllt, versiegelt und im Dutzend in Kartons verpackt. Zeisner greift eine Flasche heraus, bevor sie im Karton landet. Sie ist warm, "wie Milch frisch von der Kuh." Die Kartons werden anschließend auf Paletten gesammelt und mit Klarsichtfolie eingewickelt.
Umzug aufs Land
Zeisner beschäftigt nach eigenen Angaben 25 Angestellte, inklusive Lager, Verwaltung und Gartenpflege. "Wir sind nicht die Größten, und das ist auch gut so." Die Produktion laufe fünf Tage die Woche, Einsätze am Wochenende kämen nur selten vor. In der Hauptsaison würden die Angestellten im Zweischichtbetrieb arbeiten. Die Produktion bei Zeisner weise einen hohen Grad an Automatisierung auf, geschehe aber nicht vollautomatisch. Drei Angestellte könnten rund 50.000 Flaschen Ketchup produzieren, sagt er. Ganz ohne sie gehe es jedoch nicht.
1902 gründete der Bremer Kaufmann Waldemar Zeisner das Unternehmen. Zu Beginn importierte und verkaufte er die englische Worcestersoße, ehe er sie nach eigener Rezeptur selbst herstellte. Die Soße ist heute noch Bestandteil des Sortiments, welches auf mittlerweile 12 Produkte angewachsen ist. Zeisners Sohn Georg entwickelte 1935 Deutschlands ersten Tomatenketchup. Fabrik und Verkaufsraum befanden sich bis 1967 in der Bremer Bahnhofsvorstadt in einem Patrizierhaus am Philosophenweg. Als sich der Betrieb vergrößern wollte, sei Unterstützung durch die Stadt ausgeblieben, sagt Thomas Zeisner. "Bremen war vollkommen desinteressiert. Die hatten nur Autos und Werften im Kopf."
Unter Günther Zeisner und dessen Frau Ursula suchte sich das Geschäft kurzerhand einen neuen Standort. Heute liegt das kleine Gewerbegebiet am Rande des Teufelsmoors in Grasberg. Drum herum: Grüne Weiden und Wiesen, so weit das Auge reicht. Pferde grasen, während wenige Meter entfernt ein Gabelstapler durch das Lager manövriert. "Wir sind mitten im Dorf und sehr zufrieden damit", sagt Zeisner und blickt aus dem Fenster in Richtung Worpswede. Die Bindung an die Region sei eine ganz andere als in der Großstadt, findet er: "So viele Arbeitgeber gibt es hier draußen nicht."
Im Süden Deutschlands sei Zeisner eher unbekannt, in Belgien hingegen belege der Betrieb den zweiten Platz im Lebensmittelhandel. Auch auf dem amerikanischen Markt habe Zeisner einen Ruf aufbauen können und befinde sich auf Platz 24 der Soßenhersteller. Allerdings werde nur der Curryketchup über den Atlantik exportiert. "Die Amerikaner können sehr süß und sehr scharf. Dazwischen gibt es eine geschmackliche Lücke, und die füllen wir ganz gut aus."
Zeisner stellt die Gewürzmischungen selbst her. "Es gehört zur Marketing-Folklore dazu, dass jeder vernünftige Hersteller eine Rezeptur hat und die nicht gleich jedem neuen Arbeiter unter die Nase hält", erzählt er. Es sei allerdings ein Mythos, dass die Hausrezepte wie unbezahlbare Schätze gehütet werden. "Unsere Rezeptur ist nicht in einem Safe weggeschlossen." Einen weiteren Mythos möchte er ebenfalls widerlegen: "Wir haben privat einen ganz normalen Ketchupverbrauch.
Es sind nicht fünf Liter die Woche, und wir essen auch nicht immer nur Ketchup von Zeisner." Er führt das Familienunternehmen in vierter Generation. Der 57-Jährige hat zwei Töchter, eine fünfte Generation ist also in Sicht. "Aber da schauen wir erst mal", sagt er vorsichtig – er selbst habe den Betrieb nie übernehmen wollen: "Ich hatte auf alles Lust, aber nicht auf den Laden." Seine Frau habe ihn ein Jahr lang dazu gedrängt, es doch wenigstens einmal zu versuchen. "Und seitdem bin ich hier hängen geblieben."