Kaum ein deutscher Wirtschaftslenker besitzt einen Nimbus wie Dieter Zetsche. Der Daimler-Chef, der 2019 an die Aufsichtsratsspitze wechseln will, gilt im Konzern als unangefochten. Seine Erfolge bestreitet niemand, die Serie von Absatzrekorden will nicht abreißen. „Dr. Z“ kann auf fette Jahre und eine beeindruckende Bilanz zurückblicken.
Sorgsam choreografierte Lässigkeit ist sein Markenzeichen; man bewundert ihn als einen der ganz wenigen deutschen Manager von internationalem Rang. Doch bald schon könnte die Manager-Ikone Kratzer bekommen. Zetsches Erfolgsstory scheint bedroht – und zwar von mehreren Seiten. Ein neuer Verkehrsminister bestellt ihn zum Rapport nach Berlin, droht mit einer Milliarden-Buße wegen Abgasbetrugs.
Ein protektionistisch gesinnter US-Präsident zettelt einen Handelskrieg an, der auch die deutsche Autoindustrie zu erfassen droht. Ein forsch auftretender chinesischer Großaktionär will kräftig mitreden und dringt auf Allianzen, die gar nicht zum Selbstverständnis der Stuttgarter passen. Mit Daimlers Elektroauto-Offensive scheint es längst nicht so glatt zu laufen, wie die Konzern-Verlautbarungen es glauben machen wollen.
Gut möglich, dass Zetsches letztes Jahr an der Vorstandsspitze zugleich sein quälendstes sein wird. Die Rekordgewinne der vergangenen Jahre haben etwas kaschiert, das sich nun umso deutlicher zeigt: Für die deutsche Autoindustrie insgesamt und aktuell den Daimler-Konzern zieht ein Sturm auf, dessen Wucht noch niemand verlässlich vorauszusagen vermag. Da braut sich was zusammen.
Da ist erst einmal der Diesel-Skandal. Schwer vorstellbar ist, dass die Bundesregierung von ihrer bisherigen Linie abrückt, sich im Zweifelsfall schützend vor die deutsche Schlüsselbranche zu stellen. Dass die deutschen Behörden inzwischen auch Daimler den Einsatz unerlaubter technischer Vorrichtungen bei der Abgasreinigung vorwerfen, bringt Zetsche jedoch erheblich in Erklärungsnot. Schließlich hatte er 2015 versichert, in seinem Unternehmen seien "keinerlei Manipulationen" an Fahrzeugen vorgenommen worden.
Harte Strafen in Deutschland und in den USA
Sollte dem Stuttgarter Hersteller das Gegenteil nachgewiesen werden, wäre nicht nur Zetsches Glaubwürdigkeit beschädigt. Harte Strafen in Deutschland und in den USA könnten die Folge sein. Und: Die Amerikaner könnten die Ermittlungen auch der deutschen Behörden zum Anlass nehmen, im Handelsstreit mit den Europäern gegen die Autohersteller vorzugehen. Mehrfach hat US-Präsident Donald Trump bereits mit Einfuhrzöllen für Daimler, BMW und Co. gedroht.
Es wäre fahrlässig, Trumps Rhetorik nicht ernst zu nehmen. Wie besessen scheint er von der Idee, an den deutschen Autokonzernen ein Exempel zu statuieren. Wegen der Risiken für Hersteller wie Daimler ist die Bundesregierung so sehr darauf bedacht, eine weitere Eskalation im Streit mit Washington zu vermeiden: Die Stuttgarter erwirtschaften rund ein Viertel ihres Umsatzes in den Vereinigten Staaten.
Die größten Gefahren schlummern aber wahrscheinlich in den Umwälzungen, die Elektromobilität und Digitalisierung für die Branche bedeuten. Vielleicht wird es am Ende nur eine Fußnote der Unternehmensgeschichte sein, wenn Daimler im Zeitplan für sein prestigereiches neues E-Modell EQC offenbar hinterherhinkt. Vielleicht ist es aber auch ein Menetekel.
Die Elektroautos der EQ-Familie sind Zetsches Antwort auf Tesla. Auch wenn der Hersteller des US-Milliardärs Elon Musk zuletzt vor allem mit Schwierigkeiten bei der Produktion Schlagzeilen machte – Teslas Verkaufserfolge in den USA sind inzwischen unübersehbar. Daimler ist spät dran mit seinem Aufbruch in die Elektro-Welt.
Aber nicht nur wertvolle Zeit hat der Konzern bei dieser Zukunftstechnologie verloren. Er hat auch strategische Fehler begangen. So beendete Daimler bereits vor einigen Jahren die Fertigung eigener Batteriezellen am Standort Kamenz – damals unter anderem wegen schwacher Verkaufszahlen beim Elektro-Smart. Heute kommt der Konzern mit der Auslieferung nicht hinterher. Es fehlen: Zellen.
Der globale Markt für Batteriezellen – die zentrale Komponente beim Bau von Elektroautos – ist heute fest in der Hand von drei Herstellern aus Asien. Die deutschen Konzerne haben dem bislang nichts entgegenzusetzen. Und sind damit wenigen dominanten Zulieferern ausgeliefert – eine gefährliche Abhängigkeit. Es wäre nicht überraschend, wenn Daimler auf dem langen Weg in die elektromobile Zukunft noch einige Krisen zu bewältigen hätte.
philipp.jaklin@weser-kurier.de