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Folgen für Hausbesitzer Immer mehr Städte führen Solardach-Pflicht ein

Sonnenenergie-Anlagen zu montieren, wird Pflicht: Nicht nur in Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin, sondern auch Städten wie Bonn. Kommt sie nach der Wahl auch bundesweit?
19.08.2021, 15:55 Uhr
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Von Hannes Koch

Manchmal müsse er längere Diskussionen mit Leuten führen, die neue Wohnhäuser bauen wollen, sagt Patrick Henschel. Als Stadtplaner arbeitet er in der baden-württembergischen Stadt Waiblingen. Insgesamt habe sich die Sache aber bewährt. Die „Sache“, von der Henschel spricht, ist die sogenannte Solarpflicht.

Bei den meisten Neubauten von Wohnhäusern im Stadtgebiet sind die Eigentümerinnen und Eigentümer verpflichtet, eine Solaranlage auf dem Dach zu installieren – entweder für Warmwasser oder die Produktion von Sonnenstrom. Und das schon seit 2006. Die 55.000-Einwohner-Stadt nordöstlich von Stuttgart war Vorreiterin. Mittlerweile hat die Debatte über die Einführung der Solarpflicht die Landes- und Bundesebene erreicht.

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Der Antrieb dafür kommt vom Klimaschutz. Um das deutsche Ziel für eine klimaneutrale Wirtschaft bis 2045 einzuhalten, brauchen die Privathaushalte und Unternehmen sehr viel mehr sauberen Strom. Das heißt: Es müssen zahlreiche zusätzliche Windkraftwerke errichtet werden. Und auch viel mehr Photovoltaik-(PV)-Anlagen zur Stromerzeugung sind nötig. Wer jedoch heute die Gelegenheit hat, den Blick über die Dachlandschaft einer Stadt schweifen zu lassen, stellt fest: Solaranlagen auf Dächern gibt es fast nirgendwo. Das ungenutzte Potenzial ist riesig. Wie aber bei der Energiewende grundsätzlich, so ist es auch hier: Das Verfahren erzeugt nicht wenig Kritik.

Kommt Solardach-Pflicht beim Hausbau in Deutschland?

Trotzdem hat sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) offiziell im Wahlkampf dafür ausgesprochen, die Solarpflicht bundesweit einzuführen. Die Grünen sehen das ähnlich, wenngleich sie in ihrem Wahlprogramm eine präzise Formulierung vermeiden.

Nach der jüngsten Landtagswahl in Baden-Württemberg steht dort nun ein entsprechendes Gesetz auf der Tagesordnung. Die Verabschiedung im Landtag ist für Anfang Oktober geplant. Die grün-schwarze Mehrheit will festlegen, dass alle Neubauten von Wohnhäusern ab 1. Mai 2022 mit Sonnenenergie ausgestattet werden müssen. Gleiches gilt ab 2023 bei „grundlegenden Dachsanierungen“ von schon existierenden Gebäuden – wobei es noch viele Diskussionen darüber geben wird, was unter „grundlegend“ zu verstehen ist. Ähnliche Gesetze wie der Südwesten haben bereits Hamburg und Berlin. Hinzu kommen einige Städte, darunter seit längerem Tübingen – und bald wohl auch Bonn.

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Wenn es im Einzelfall konkret wird, regen sich manche Bau-Damen und -Herren über die zusätzlichen Kosten auf. Über den Daumen schlägt eine PV-Anlage für ein Einfamilienhaus beispielsweise mit 10.000 Euro zu Buche. Je größer das Haus und die Dachfläche, desto mehr steigen die Aufwendungen.

Im Vergleich zu den gesamten Baukosten macht das allerdings nur einen kleinen Teil aus. Im Falle des Einfamilienhauses geht es vielleicht um zwei Prozent der Gesamtsumme von einer halben Million Euro. Hinzu kommt, dass die Investition sich nach einiger Zeit rentiert. Schließlich sparen die Investoren durch die Eigenproduktion des Stroms einen guten Teil der Ausgaben, die sie sonst dem Energieversorger überweisen müssten. Und manche Hersteller übernehmen mittlerweile eine langfristige Gewährleistung für die Stromausbeute der PV-Module.

Mögliche Solardach-Pflicht bei Hausbau sorgt für Diskussionen 

„Solar-Anlagen für Wohn-Neubauten sind meist auch ökonomisch sinnvoll, weil sie sich nach etwa zehn Jahren amortisieren und dann Geld einspielen“, sagt deshalb Jörg Sutter, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie. Auch Ottmar Wernicke, Chef des Württembergischen Immobilienverbandes Haus & Grund, erklärt: „Eine finanzielle Überforderung der Immobilienbesitzer stellt eine Solarpflicht bei Neubauten wie etwa in Waiblingen in der Regel nicht dar.“ Trotzdem hält er die Vorschrift für falsch: „Man sollte es den Eigentümern selbst überlassen, mit welcher Technologie sie die Klimaneutralität ihrer Immobilien erreichen wollen.“

Kai Warnecke, Präsident des Bundesverbandes Haus & Grund sagt: „Bei einer Vollkostenrechnung über 20 Jahre lohnt sich die Investition nur bei selbstnutzenden Eigentümern, das heißt bei Einfamilienhäusern." Die Einführung der Solardachpflicht sei „so lange populistische Schaufensterpolitik, wie es dem Eigentümer nicht erlaubt ist, den Strom günstig an die Bewohner des Hauses zu liefern." Warnecke spricht damit die komplizierten Regelungen zum sogenannten Mieterstrom an, die es vielen Eigentümern verleiden, die Elektrizität vom Dach in die vermieteten Wohnungen zu schicken.

Erstaunlicherweise betrachtet aber auch der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) die Baupflicht skeptisch. Es gebe viel wirksamere Maßnahmen, um einen PV-Boom auf Dächern auszulösen, heißt es dort. So müsse die Bundesregierung einfach die heute noch existierende Mengenbegrenzung für den Ausbau der Solarenergie aufheben. Dafür hatte sich unter anderem Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stark gemacht, um den Anstieg des Stromspreises zu bremsen. BSW-Chef Carsten Körnig befürchtet außerdem, dass eine bundesweite Solarpflicht die Akzeptanz der Sonnenenergie untergraben könnte.

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