Es hat fast etwas Mystisches, wie der Nebel an diesem Morgen über das Wasser zieht und die Schiffe rund um das Schaufenster Fischereihafen einhüllt. „Wenn es nach mir ginge, würde man solche Fahrten extra anbieten, weil sie so stimmungsvoll sind“, sagt Sebastian Gregorius von der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft (FBG), die sich um die Standortentwicklung von Bremerhavens größtem Gewerbegebiet kümmert. Im historischen Teil des über 125-jährigen Fischereihafens reihen sich Restaurants, Kneipen und Fischläden aneinander. Doch zu dem Gebiet gehört noch viel mehr: rund 400 Unternehmen, hochmoderne Forschungsinstitute, Packhallen, Werftbetriebe. Vieles davon lässt sich am besten bei einer Hafenrundfahrt vom Wasser aus beobachten. Doch seit etwa zwei Jahren müssen Touristen auf diese Attraktion verzichten. Der Grund dafür: Es findet sich kein Schiffsführer, der den Job übernehmen möchte.
Damit es in der kommenden Saison wieder losgehen kann, wollen Sebastian Gregorius und seine Kollegen deshalb einen neuen Versuch starten, jemanden für die Stelle zu begeistern. „Man hat seinen Arbeitsplatz im wahrscheinlich coolsten Gewerbegebiet Norddeutschlands, das ständig in Bewegung ist“, sagt Gregorius. Und das will er direkt vom Wasser aus zeigen. Weil aktuell keine Reederei den Auftrag übernommen hat, hilft Roland Hoffmann von Bremenports an diesem Tag mit einem fahrbaren Untersatz aus. Mit Schlepper „Albatros“ geht es los auf jene Tour, die das tägliche Geschäft des zukünftigen Kapitäns wäre.
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Sie startet im historischen Teil des Fischereihafens, man fährt vorbei an Sehenswürdigkeiten wie dem Thünen- oder dem Alfred-Wegener-Institut, der Bredo-Werft und mit Iglo an einer der weltweit größten Fischfabriken. „Wer diese Fahrt macht, erlebt etwas Authentisches. Das hat nichts mit Schickimicki zu tun“, sagt Gregorius. „Es gibt keine aufgemotzten Jachten. Hier kann man sehen, wie noch wirklich produziert und gearbeitet wird.“
Auf der rechten Seite fährt die „Albatros“ an einem der größten Bauprojekte vorbei, das in Bremerhaven in den kommenden Jahren realisiert werden soll. Auf dem insgesamt 140 Hektar umfassenden Areal um die ehemalige Seebeckwerft soll eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten, Kultur und Freizeitaktivitäten entstehen. „Momentan dienen die brachliegende Fläche und die Industriehallen zum Beispiel als Drehort für den Tatort. Als Kapitän erlebt man also auch jeden Tag, wie sehr das Gebiet im Wandel ist“, sagt Gregorius.

Sebastian Gregorius: „Ein Arbeitsplatz im wahrscheinlich coolsten Gewerbegebiet Norddeutschlands.“
Es gab Zeiten, in denen „Kapitän auf großer Fahrt“ ein Traumberuf für jeden Jungen war. Längst haben auf vielen Schiffsbrücken auch Frauen die Verantwortung und das Kommando übernommen. Aber ausgerechnet für diese Fahrt scheint sich niemand zu interessieren. Warum das so ist, wissen die Beteiligten selbst nicht genau. Wer den Beruf des Schiffsführers antritt, den zieht es vielleicht lieber in die Ferne anstatt zur Hafenrundfahrt, heißt es. Dabei ist die Nachfrage nach den Hafenrundfahrten laut FBG groß – nicht nur Touristen, die den Fischereihafen von der Wasserseite kennenlernen möchten, seien interessiert. Auch auf der Reederseite gebe es einige Unternehmen, die die etwa einstündige Reise durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Hafens anbieten möchten.
Nicht ein einziger Bewerber in zwei Jahren
Nachdem die bisherigen Betreiber der Hafenrundfahrt – das Ehepaar Magrit und Reind Geerdes – sich aus Altersgründen zurückgezogen und ihr Schiff „Dorsch“ verkauft hatten, schrieb die FBG Bremerhaven den Rundfahrtbetrieb aus. „Tatsächlich haben sich mehrere namhafte Bewerber gemeldet“, sagt Gregorius. Aber alle hatten gemeinsam, dass sie bisher keinen Kapitän oder Kapitänin fanden. Für den Job als Schiffsführer gibt es nur eine Vorbedingung: Interessenten müssen über die notwendigen Befähigungsnachweise, sprich Patente verfügen. Und sie sollten Lust dazu haben, mit den Touristen in Kontakt zu treten. Wer lieber schweigsam am Steuer sitzt, für den sei der Job eher weniger etwas.
Zu den Hauptinteressenten unter den Reedereien gehört Maice Hissenkämper, die in Bremerhaven seit knapp 25 Jahren Hafenrundfahrten durch den Neuen Hafen und die Kaiserhäfen anbietet. Seitdem die ehemaligen Betreiber vor zwei Jahren aufhörten, sucht die Geschäftsfrau übers Arbeitsamt, in den sozialen Netzwerken und per Zeitung - bisher jedoch ohne Erfolg. „Es gab nicht einen einzigen Bewerber“, sagt sie. Dabei seien die Arbeitszeiten durchaus attraktiv und vor allem geregelt, was in der Schifffahrtsbranche eher selten ist. „Wir bieten eine Festanstellung an und eine Fünf-Tage-Woche mit Arbeitszeiten von 10 bis 18 Uhr“, sagt Hissenkämper. „Normalerweise sind Binnenschiffer mehrere Monate im Jahr unterwegs. Bei uns ist man pünktlich zu Hause.“ Sie sei bereit, potenziellen Bewerbern mit Extras entgegenzukommen, wie etwa einem Dienstwagen. Auch nach passendem Wohnraum sei sie schon auf der Suche.

In der Vergangenheit erfreute sich die Tour durch den Fischereihafen bei Touristen großer Beliebtheit. Für viele gehört eine Fahrt auf dem Wasser zum Besuch der Seestadt dazu.
Das Personalproblem betrifft nicht nur die Hafenrundfahrten. Viele Reedereien und Wasser- und Schifffahrtsämter klagen über den Mangel an nautischen Fachkräften. „Alle sind in einer Notlage“, sagt Roland Hoffmann, Teamleiter für den Bereich Baggerei bei Bremenports. Ein paar Minuten später zeigt Hoffmann wie zum Beweis nach rechts. Dort liegt ein Teil der Baggerei-Flotte, die den Hafenschlick transportiert. „Die Fahrzeuge liegen zurzeit auch auf, weil wir zu wenig Schiffsführer haben“, sagt Hoffmann. Die Arbeiten müssten an Dritte ausgelagert werden. „Was natürlich einen betriebswirtschaftlichen Ausfall zur Folge hat.“ Allein in seinem Bereich würden aktuell fünf Schiffsführer und zwei Matrosen fehlen. „Wir stehen als öffentlicher Dienst natürlich in Konkurrenz zu der freien Wirtschaft. Es kommen auch schon mal Bewerber aus der Seefahrt mit deutlich anderen Gehaltsvorstellungen“, sagt Hoffmann.
Schlepper „Albatros“ kreuzt derweil eine imposante Fregatte, die von dem Bremerhavener Stahlbauer Rönner für Ägypten gebaut wurde. „Man kommt bei dem Job wirklich in Gebiete, die man ansonsten nicht zu Gesicht bekommen würde“, sagt er. Bis zum Start der neuen Saison im vergangenen Jahr wollen die Bremerhavener endlich jemanden für die Stelle finden. Schließlich gehörte sie einst zu den Hauptattraktionen in der Seestadt.