Ein defektes Ventil der Betankungsanlage an der Startrampe ist schuld daran, dass Europas Trägerrakete Ariane 6 am Boden blieb: Als die Live-Übertragung des Starts von Flug VA263 aus Kourou (Französisch-Guayana) am späten Montagnachmittag beginnen sollte, erschien stattdessen ein Standbild mit der Information, dass die Rakete an diesem Tag nicht mehr starten werde. Es seien "weitere Arbeiten an einer der Bodenanlagen" erforderlich, schob der Raketenbetreiber Arianespace später als Erklärung nach. Am Donnerstag soll ein neuer Startversuch unternommen werden.
Im Prinzip ist die Verschiebung eines Raketenstarts nichts Ungewöhnliches: Technische Probleme treten immer wieder auf in der Raumfahrt, und statt den Verlust der Rakete und ihrer teuren Fracht zu riskieren, geht man lieber auf Nummer sicher. Auch Arianes US-Konkurrent Space-X musste noch am selben Tag, wenige Stunden nach dem Scheitern des Ariane-Starts, den Countdown für einen Testflug der Riesenrakete Starship kurz vor der Zündung der Triebwerke abbrechen. "Es ist ja nicht unüblich, dass kleine Qualitätsthemen einen Start verzögern", sagt Siegfried Monser, Raumfahrtkoordinator des Landes Bremen. "Angesichts der vielen Millionen, die ein Satellit kostet, und des Nutzens, den ein Kunde von einem Satelliten erwartet, gibt es dazu gar keine Alternative."
Unabhängiger Zugang ins All
Doch der Ariane-Flug Nummer VA263 steht unter besonderer Beobachtung: Zum ersten Mal soll Europas neue Trägerrakete eine Nutzlast für einen zahlenden Kunden ins All befördern – noch dazu einen Militärsatelliten, der den französischen Streitkräften in Zukunft ein besseres Lagebild verschaffen soll. Es kommen also zwei Dinge zusammen bei dieser Mission: Europas eigenständiger Zugang ins All und seine militärischen Fähigkeiten in einer Welt, in der alte Gewissheiten und Allianzen ins Wanken geraten. Der Riss, der seit dem Machtwechsel in Washington durch das westliche Bündnis geht, reicht bis ins Weltall: "Ein unabhängiger Zugang zum All ist die Grundvoraussetzung für die technologische Unabhängigkeit und geopolitische Souveränität Europas - auch im Weltraum", betont Monser. "Die Ariane-Trägerrakete mit der Oberstufe aus Bremen ist dafür absolut notwendig."
Umso wichtiger wäre also ein Erfolg von Flug VA263. Schon der Erstflug der Ariane 6 im Juli vergangenen Jahres erfolgte mit rund vier Jahren Verspätung. Nach dem Testflug sollte der erste kommerzielle Einsatz mit einem Satelliten an Bord eigentlich noch im selben Jahr starten. Doch die Auswertung der Testergebnisse und Anpassungen an der Rakete dauerten länger als geplant – die Europäische Weltraumbehörde Esa verschob den Start auf Anfang 2025. Der erste Termin am 26. Februar musste wegen Problemen mit den Bodenanlagen am Weltraumzentrum in Kourou verschoben werden; und auch am Montag klemmte es wieder an der Startrampe. Einen neuen Termin wollen Esa und Arianespace verkünden, sobald die Reparaturarbeiten abgeschlossen sind.
Trotz aller Beschwichtigungen seitens der Verantwortlichen: Die Zeit drängt. Seit das letzte Exemplar der alten Ariane 5 im Juli 2023 in Kourou abhob, stehen die Europäer ohne einsatzfähige Schwerlastrakete da. Und die Weltlage ist inzwischen eine gänzlich andere. Der französische Aufklärungssatellit CSO-3 wartet seit Jahren auf einen Starttermin und soll jetzt mit der Ariane 6 endlich ins All geschossen werden. Die ersten beiden Satelliten der Baureihe waren 2018 und 2020 noch von russischen Sojus-Raketen ins All befördert worden – heute undenkbar: Der russische Überfall auf die Ukraine hat aus den Weltraumpartnern von einst Gegner gemacht.
Musk will Raumstation aufgeben
Dazu kommt, dass auch die neue US-Administration unter Donald Trump an Kooperation mit den alten Verbündeten kein Interesse mehr zu haben scheint. Elon Musk, Berater des Präsidenten und Chef von Space-X, will die Internationale Raumstation ISS lieber heute als morgen verschrotten und stattdessen zum Mars fliegen. Die Falcon-9-Raketen seines Unternehmens sind seit drei Jahren oft die einzige Möglichkeit für die Europäer, ihre Satelliten ins All zu befördern. Diese Abhängigkeit wird manchem jetzt umso schmerzlicher bewusst, da das Verhältnis zu den USA einen neuen Tiefpunkt erreicht.
Wenn auf den langjährigen Bündnispartner kein Verlass mehr sei, komme es umso mehr auf die eigenen Fähigkeiten an – vor allem die Franzosen fordern das schon seit Langem. Französische Medien zitieren in ihrer Berichterstattung über den verschobenen Ariane-Start den amtierenden Forschungsminister Philippe Baptiste, bis dato Chef der staatlichen Raumfahrtbehörde CNES, der sich durch den rapiden Verfall des europäisch-amerikanischen Verhältnisses in seiner Forderung bestätigt sieht: "Das Konzept der strategischen Autonomie – einst als Marotte der Franzosen belächelt – ist der Wesenskern des Europas von morgen", so Baptiste. Ein erfolgreicher Einsatz der Ariane 6 käme da zur rechten Zeit.