Die "Blätter für Gefängnisskunde" waren des Lobes voll: "Aus Bremen im Mai 1874. Endlich ist auch Bremen eingetreten in die Reihe derjenigen Staaten, welche in ausreichender Weise für ihre Gefangenen gesorgt haben. Was die edelsten Bürger unseres Freistaates seit länger als einem Menschenalter unverrückt im Auge behalten, das steht jetzt in herrlicher Vollendung da. Die zu Oslebshausen (…) erbaute Strafanstalt ist fertig."
Ein "empfindlicher Mangel an Arbeitskräften und unerschwingliche Löhne" hätten den Bau zwar um ein Jahr verzögert. Auch die Baukosten seien drastisch angestiegen. Doch unter dem Strich, so der anonyme Autor weiter, sei eine imponierende Anlage entstanden. Sie wirke gar nicht wie ein Gefängnis, sondern durch den gotischen Baustil und die zwei schlanken Türme der Anstaltskapelle über dem Torbau fast wie eine Kirche. Ein "Grafenschloss", wie es "der Volkswitz im Zorn über die (...) Kosten (...) getauft hat", sei das Bauwerk jedenfalls nicht.
Mitte des 19. Jahrhunderts platzten die Bremer Gefängnisse aus allen Nähten. Die Stadtbevölkerung wuchs und damit auch die Kriminalität. In relativ gutem Zustand war noch das Detentionshaus in der Ostertorwache. Das Zuchthaus im Stephaniviertel war dagegen in die Jahre gekommen und marode. Es komme sogar vor, beklagte Daniel Julius Klugkist 1853 in der Bürgerschaft, dass eine "Reihe von zu Strafen rechtskräftig verurtheilten Verbrechern ihre Strafe nicht antreten können, weil es an den erforderlichen Localitäten mangele. Es gehen jetzt Leute frei herum oder werden im Detentionshause in Haft gehalten, welche zu Zuchthaus verurtheilt seien, denn das letztere sei überfüllt. (...) Ferner können im Detentionshause Urtheile, welche auf Gefängnißstrafe mit Arbeit lauten, nicht vollständig ausgeführt werden, weil keine Anstalten getroffen seien, um ihnen eine Arbeit anweisen zu können."
Eine mit Oldenburg vereinbarte Verlegung Bremer Zuchthäusler nach Vechta war keine Lösung auf Dauer. Bremen brauchte eine neue Strafanstalt, da waren sich die Stadtpolitiker einig.
"Innere Schäden" der Gefangenen
Das war die Chance für eine grundlegende Reform des Strafvollzugs, wie ihn liberale Abgeordnete schon länger forderten. Ihre treibende Kraft war Ferdinand Donandt, Richter, Bürgerschaftspräsident und dann Senator. Ihm zur Seite standen unter anderem die Richter Klugkist und Wilhelm Focke sowie der Kaufmann Gottfried Bagelmann, Diakon an der Liebfrauenkirche. Die Reformvorschläge, die eine zu diesem Zweck eingesetzte Gefängniskommission 1859 der Bürgerschaft präsentierte, trugen ihre Handschrift: Grundsätzlich sei ein zivilisierter Staat sittlich verpflichtet, auch Straffällige human zu behandeln. Die Todesstrafe sei zwar abgeschafft und auch "die überschwere Arbeit, die schlechte Kost, die Ketten und schreckhaften Räumlichkeiten, die grausamen Zuchtmittel sind längst verschwunden".

Seelsorge hinter Gittern: Einblick in die Kirche in der heutigen JVA Oslebshausen.
Jetzt müsse man die "inneren Schäden" der Gefangenen beheben und einen Gesinnungswandel herbeiführen. Die Missetäter sollten ihre Schuld anerkennen, ihre Strafe als gerecht akzeptieren und den festen Entschluss fassen, "fortan der Rechtsordnung sich zu fügen". Den Einwand, "für die niedrigste Menschenclasse, für die Verbrecher" solle man nicht zu viel ausgeben, wies Klugkist als moralische Bankrotterklärung zurück: "Unsere Gefängnisse sind jetzt die hohe Schule für die Verbrecher. Da (wird) der Einzelne in die Verbrecherlaufbahn eingeweiht." Wenn man dem entgegenwirken könne, wäre dies letztlich gut angelegtes Geld.
Die Bremer Reformer, wohlsituierte Bildungsbürger und Kaufleute mit sozialem Gewissen, diagnostizierten offensichtlich eine verdorbene individuelle Gesinnung als Wurzel des Übels. Damit lagen sie auf einer Linie mit christlichen Sozialreformern wie Johann Hinrich Wichern (Innere Mission) und Adolph Kolping (Kolpingwerk), die den Abfall vom Glauben als Quelle der Sünde sahen.
Karl Marx dagegen drehte 1859 das Ganze um. Ausgehend von der These, der Mensch sei das "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" (Thesen über Feuerbach, 1845) behauptete er 1859: "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt." Nicht der Mensch sei falsch, sondern das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das ihn bestimme. Dies anzutasten oder gar umzukrempeln, kam für das Bremer Bürgertum bei allem guten Willen nicht infrage.
Einzel- oder Gemeinschaftszellen?
Der Sieg der Gegenrevolution und die Einführung einer neuen Verfassung mit Acht-Klassen-Wahlrecht im Jahr 1854 ließen das Projekt ins Stocken geraten. Weil sich durch den Beitritt Bremens zum Norddeutschen Bund (1866) und zum Deutschen Reich (1871) auch noch die Rahmenbedingungen änderten, dauerte es insgesamt mehr als 20 Jahre bis zum Baubeginn. Im Staatsarchiv aufbewahrte gedruckte und handschriftliche Protokolle, Briefe, Eingaben und Kostenrechnungen dokumentieren den mühsamen Weg zum Ziel.

Die Hafträume sind in heute in der Regel acht Quadratmeter groß.
Die Bürgerschaft musste zuvor auch noch entscheiden, ob die Sträflinge in teureren Einzel- oder billigeren Gemeinschaftszellen untergebracht werden sollten. Damals galt unter Experten der Gemeinschaftsvollzug als wenig probates Mittel zur Resozialisierung. Auch die Bremer Gefängniskommission war überzeugt, "daß von manchen Verbrechern die Strafe kaum noch als ein Leiden empfunden wird. Einmal an die Entbehrung der Freiheit gewöhnt, fühlt ein sittlich verkommener, arbeitsscheuer Mensch auch im Zuchthause sich bald in behaglicher Lage. (...) In ungestörtem Verkehr mit gleichgesinnten Genossen wird er an die Schande, die auf ihm ruht, nicht gemahnt." Das Zusammenleben mit "rohesten Verbrechern" verderbe Besserungswillige, sodass Zuchthäuser zu "Pflanzstätten verbrecherischer Gesinnungen" würden.
Allgemein favorisiert wurde damals das aus den USA stammende Pönitentiarsystem. In "Pierer's Universallexikon" von 1857 heißt es dazu: "Der Gefangene soll durch die Isolierung dem (...) niederdrückenden, schwächere Charaktere der Verführung Preis gebenden Umgange mit seinen Genossen entzogen werden; die Einsamkeit, die Entfernung aller äußeren Einwirkungen (außer) der nothwendigen Beaufsichtigung, dem Unterricht u. dem religiösen Zuspruch (...) soll ihn zur stillen Betrachtung über sich selbst, zur Einkehr in sich u. dadurch zur Besserung führen."
Abteilungen für Frauen und Männer
Auch die Bremer Kommission plädierte für eine milde Einzelhaft. In nicht allzu strenger Form werde sie keine psychischen Schäden verursachen: "Die Klingel in seiner Zelle, die jeden Augenblick einen Wächter herbeirufen kann, die täglichen, nach Bedürfniß wiederholten Besuche, das Hin- und Hergehen der Beamten und Bediensteten auf den Gängen, an welchen die Zellen liegen, erhalten in ihm das Bewußtsein menschlicher Gemeinschaft; die Aufmerksamkeit auf die Arbeit lässt ihn sein Alleinsein vergessen, die Tagesarbeit wird durch Unterricht, durch die Bewegung im Freien, den sonntäglichen Gottesdienst unterbrochen, und seine Mußestunden kann er durch zweckmäßige Lektüre ausfüllen."
Der Abgeordnete Samuel Eisenhardt, Direktor der Sparkasse, meldete zwar Zweifel an. Einzelhaft könne bei großer Härte "Menschen zur Verzweiflung, ja zum Wahnsinn treiben". Zumindest werde sie auf Dauer die Willenskraft zur Besserung schwächen. Doch die Bürgerschaft entschied sich schließlich 1861 mit knapper Mehrheit für die modifizierte Einzelhaft.
Dann dauerte es noch bis 1869, dass die dortige Bauernschaft zum Verkauf des benötigten Areals in der Oslebshauser Feldmark bereit war. Baudirektor Alexander Schröder und sein Mitarbeiter Johann Rippe entwarfen einen Gebäudekomplex für Zuchthaus und Gefängnis im neugotischen Stil mit getrennten Abteilungen für Männer und Frauen. 1871 legte Ferdinand Donandt den Grundstein. Ein Jahr später starb er und konnte so die feierliche Einweihung 1874 nicht mehr erleben. Als weithin anerkannter Experte hatte er in seinen letzten Jahren noch an einem gesamtdeutschen Strafgesetzbuch mitgearbeitet. Die Bürgerschaft würdigte ihn als einen der "besten und verdientesten Söhne Bremens".