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Urteil am Landgericht 18-Jähriger muss wegen Mordes ins Gefängnis

Im Prozess um einen 18-Jährigen, der in Bremerhaven einen Rentner getötet hat, weil er dessen Wagen stehlen wollte, wurden am Freitagmorgen die Plädoyers gehalten. Im Anschluss fiel das Urteil.
20.03.2020, 14:23 Uhr
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18-Jähriger muss wegen Mordes ins Gefängnis
Von Ralf Michel

Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Angeklagte den Rentner töten wollte. Aber er nahm dessen Tod billigend in Kauf, sagt die Vorsitzende Richterin bei der Urteilsverkündung. Oder anders ausgedrückt: "Es war ihm schlichtweg egal." Weil er unbedingt den BMW des 76-Jährigen haben wollte. Für das Gericht ging es dabei um Habgier. Und damit um Mord. Zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis wird der 18-Jährige vor dem Landgericht verurteilt. Nach Jugendstrafrecht, der Angeklagte gilt als Heranwachsender. Sonst wäre es lebenslänglich geworden.

Am 1. August vergangenen Jahres war der Angeklagte zu Fuß in Bremerhaven unterwegs. Zufällig stieß er dabei auf einen am Straßenrand abgestellten BMW. "Den hol ich mir, den will ich haben", sagte er einem Freund, der mit dabei war. Der riet ihm, die Finger davon zu lassen. Doch nachdem sich die beiden getrennt hatten, kehrte der 18-Jährige zu dem Wagen zurück. Dessen Besitzer war gerade dabei, eine Getränkekiste in den Keller zu schleppen. Der junge Mann ging ihm hinterher und forderte den Autoschlüssel. Als der Rentner sich weigerte, schlug ihm der Angeklagte mit der Faust ins Gesicht und drängte ihn rückwärts in den Keller. Der 76-Jährige strauchelte, ging benommen zu Boden.

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Statt ihm dann einfach den Schlüssel wegzunehmen, setzte der 18-Jährige nach, schlug dem wehrlos am Boden Liegenden mehrfach mit ungeheurer Wucht ins Gesicht. Von Schlägen "wie mit dem Dampfhammer" wird später der medizinische Sachverständige sprechen. So stark, dass der Rechtsmediziner zunächst von Fußtritten gegen den Kopf ausging.

Das Opfer erlitt schwerste Kopfverletzungen und Hirnblutungen. Der Mann, kurz nach der Tat zufällig von seinem Bruder gefunden, starb einen Monat später ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben im Krankenhaus.

Der 18-Jährige raste nach dem Überfall mit dem Wagen seines Opfers davon, verursachte in der Folge mehrere Unfälle und wurde tags darauf nach einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd durch Bremerhaven von der Polizei gefasst.

Nicht sicher, ob dem Angeklagten das Ausmaß seines Handelns bewusst ist

Die Aufklärung der Tat stellt das Gericht vor keine großen Probleme. Der Angeklagte ist weitgehend geständig, Zeugenaussagen seiner Freunde liefern weitere Puzzleteile zum Verständnis des Geschehens. Was dem Gericht dagegen zu schaffen macht, ist die völlige Gleichgültigkeit des Täters. Bis hinein in den Gerichtssaal: "Wir sind uns bis zuletzt nicht sicher, ob dem Angeklagten das Ausmaß seines Handelns überhaupt bewusst ist", erklärt die Vorsitzende Richterin am Freitag. "Dass da ein Mensch gestorben ist, nur weil Sie Auto fahren wollten."

Der Anwalt des Mannes baut um eben diesen Punkt seine Verteidigung auf. Die fehlende Empathie des 18-Jährigen, seine Teilnahmslosigkeit in Verbindung mit der gezeigten Gleichgültigkeit, definiere genau die Leichtfertigkeit, die per Gesetz aus der Tat statt eines Mordes einen "Raub mit Todesfolge" mache. Der Angeklagte habe den Tod des 76-Jährigen leichtfertig in Kauf genommen. Der 18-Jährige leide unter einer beginnenden dissozialen Persönlichkeitsstörung, habe einen völlig zerrütteten Familienhintergrund und sollte aufgrund seines Alkohol- und Drogenkonsums in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden.

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Doch davon will das Gericht nichts hören. Von einer Persönlichkeitsstörung könne keine Rede sein, der Angeklagte sei voll schuldfähig, betont die Vorsitzende Richterin. Und der von ihm behauptete starke Alkohol- und Drogenkonsum am Tattag sei "schlicht gelogen" – bei seiner Festnahme keine 24 Stunden später ergab der Alkoholtest einen Wert von 0,0 Promille. "Hätten Sie so viel getrunken, wie behauptet, wäre da auf jeden Fall Restalkohol festgestellt worden."

Gelten lässt das Gericht dagegen den Verweis auf das familiäre Umfeld des Angeklagten. Seine Mutter war bei seiner Geburt 13, sein Vater, den er nie kennengelernt hat, 16. Aufgewachsen ist er bei seiner Großmutter und, weil sie sich kaum um ihn kümmerte, im Heim. 14 Tage vor der Tat hatte die Frau ihren gerade 18 Jahre alt gewordenen Enkel vor die Tür gesetzt. Seither schlug er sich irgendwie durch, übernachtete bei Freunden. "Das hatten wir beim Strafmaß zu berücksichtigen."

Schuldausgleich für Schwere der Tat

Verurteilt wurde der Angeklagte als Heranwachsender nach dem Jugendstrafrecht. Dessen Leitlinie ist der Erziehungs- nicht der Strafgedanke. Angesichts der Schwere der Tat gehe es aber auch um einen gerechten Schuldausgleich, erläutert die Vorsitzende Richterin. Deshalb habe es eine hohe Jugendstrafe werden müssen. Maximal möglich wären zehn Jahre gewesen, siebeneinhalb Jahre für Mord in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge lautete letztlich das Urteil.

Mehr als die sieben Jahre, auf die die Verteidigung plädiert hatte, aber deutlich weniger, als es sich die Rechtsvertreterin der als Nebenklägerin im Gerichtssaal sitzenden Tochter des Opfers hätte vorstellen können. Angesichts des angekündigten und zielgerichteten Vorgehens des 18-Jährigen könne man durchaus eine besondere Schwere der Schuld annehmen, sagt die Anwältin. Was den Strafrahmen auf 15 Jahre Haft erhöht hätte. Dies hatte allerdings nicht einmal die Staatsanwaltschaft so gesehen, obwohl sie von einem "brutalen und sinnlosen Vorgehen" sprach. Neuneinhalb Jahre Haft lautete die Forderung des Anklagevertreters.

Das Gericht bleibt zwei Jahre darunter. Und verbindet mit dem Urteil die Hoffnung, dass es für den 18-Jährigen einen Neuanfang bedeutet. "Dass Sie lernen, Empathie zu entwickeln, und erkennen, dass Sie für Ihr Handeln verantwortlich sind", gibt die Vorsitzende Richterin dem Verurteilten mit auf den Weg. "Ihre Gleichgültigkeit macht uns Sorgen für Ihre Zukunft."

+++ Der Text wurde um 19.47 Uhr aktualisiert. +++

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