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Vom Überwinden kolonialer Spuren: Hartmut Müller über frühen Handel zwischen Bremen und Westafrika „Afrikaner auf Plantagen ausgebeutet“

In der Nazi-Zeit wurde Bremen mit dem Etikett „Stadt der Kolonien“ versehen. Deshalb könnte man vermuten, dass es in der Kolonialzeit ein beträchtliches Handelsvolumen zwischen Bremen und Westafrika gab.
22.05.2017, 00:00 Uhr
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„Afrikaner auf Plantagen ausgebeutet“
Von Detlev Scheil

In der Nazi-Zeit wurde Bremen mit dem Etikett „Stadt der Kolonien“ versehen. Deshalb könnte man vermuten, dass es in der Kolonialzeit ein beträchtliches Handelsvolumen zwischen Bremen und Westafrika gab. War es so?

Hartmut Müller: Nein, das Volumen des Bremer Westafrika-Handels – hauptsächlich mit dem heutigen Ghana, Togo, Benin und Kamerun – war äußerst bescheiden. Vor dem Ersten Weltkrieg gingen 2,5 Prozent des gesamten bremischen Exports nach Westafrika, beim Import waren die Zahlen noch niedriger, es waren 0,35 Prozent des bremischen Imports. Die Beziehung zwischen Bremen und den deutschen Kolonien war ökonomisch wenig von Bedeutung.

Doch einzelne Bremer Firmen haben während der Kolonialzeit zwischen 1884 und dem Ersten Weltkrieg sehr gute Geschäfte in Afrika gemacht?

Ja, das haben sie. Vor 1914 waren es 25 bis 30 Bremer Firmen, die mit insgesamt etwa 200 Niederlassungen in den deutschen Kolonien in Westafrika aktiv waren. Darunter waren zum Beispiel die Firmen Vietor, Oloff und Pelizaeus.

Heute sind diese Firmennamen nicht mehr präsent?

Nein. Die Firma Vietor ist in der Weltwirtschaftskrise in Konkurs gegangen. Fast alle Bremer Firmen, die damals in den Kolonien tätig waren, haben den Ersten Weltkrieg und die Zeit danach nicht überlebt. Möglicherweise bestehen noch im Holzhandel Nachfolgefirmen, darüber habe ich aber keinen Überblick. Ansonsten gibt es meines Wissens heute keine Bremer Firma mehr, die in jener Zeit in den Kolonien tätig war.

Womit wurde damals in Afrika gehandelt?

Nach Afrika exportiert wurde alles Mögliche: Von Messern, Scheren, Spiegeln, Knöpfen bis hin zu Seifen und Parfums, in großem Maße auch billige Tuche, was dann die afrikanische Textilindustrie kaputt gemacht hat. Und viel Geld verdient wurde auf skandalöse Weise mit dem massenhaften Export von Spirituosen, besonders Branntwein. Daran haben auch bremische Unternehmen kräftig verdient. Aber nicht alle, eine Ausnahme stellte die Firma Vietor dar.

Warum?

Die Firma Vietor ist mit der Norddeutschen Missionsgesellschaft, die ihren Sitz in Bremen hat, in Togo groß geworden. Sie lehnte den Branntwein-Export aus christlichen Beweggründen grundsätzlich ab. Im Gegensatz dazu hat die Firma Friedrich Oloff so große Mengen von Branntwein in die Kolonien exportiert, dass sich die Firma Vietor in den späten 80er- und frühen 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts beschwerte, man finde kaum noch tüchtige Arbeiter an der Togo-Küste, weil die moralische und physische Zerstörung schon so weit fortgeschritten sei.

Es heißt, die Kolonialzeit sei geprägt von unfairen Handel, also dem Verkauf von Waren in Afrika zu stark überhöhten Preisen und dem Ankauf von Rohstoffen zu Spottpreisen. War es so?

Ja, das ist so gewesen. Ein Beispiel ist der Handel mit Palmkernen. Die Afrikaner haben Palmkerne gesammelt und diese in den Zweigfaktoreien der bremischen Firmen im Binnenland angeliefert. Von dort sind sie dann über Lomé und andere afrikanische Häfen nach Bremen und Hamburg exportiert worden. Bezahlt haben die europäischen Firmen wenig, wogegen die Exportpreise stiegen. Das führte zur wirtschaftlichen Ausbeutung Afrikas.

Was ist unter Faktoreien zu verstehen?

Das sind kleine Zweigniederlassungen bremischer Firmen. Davon gab es ein dichtes Netz über das südliche und mittlere Togo.

Palmöl war in Europa ein gefragter Rohstoff?

Ja, Palmöl war besonders für die Margarine- und Ölindustrie sehr wichtig. Und es war einer der wenigen Rohstoffe, die in Bremen auch verarbeitet werden konnten. Hier gab im heutigen Holzhafen seit der Jahrhundertwende die Bremen-Besigheimer Ölfabriken, in der Palmkerne und Erdnüsse verarbeitet wurden.

Haben sich bremische Firmen auch ausbeuterisch beim Tabak- und Baumwollanbau in Afrika benommen?

Das war unterschiedlich. Es gab bremische Firmen, die zum Beispiel in Kamerun ganz im Sinne der europäischen Ausbeutung der Afrikaner Plantagen betrieben haben – besonders Kautschuk –, aber auch in Palmöl-, Tabak- und Baumwoll-Plantagen. Die Afrikaner wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Es gab aber auch Firmen wie Vietor, die den Anbau von Baumwolle und Kaffee in kleinbäuerlichen Strukturen gefördert haben. Das ist fortschrittlich gewesen, aber natürlich nicht ganz selbstlos, weil dahinter die Idee stand: Wir brauchen kaufkräftige Afrikaner vor Ort, die unsere Exportwaren kaufen können.

Wie kam es zu den engen Verbindungen zwischen der Firma Vietor und der Norddeutschen Missionsgesellschaft?

Die Norddeutsche Missionsgesellschaft begann ab der Mitte des 19. Jahrhunderts an der sogenannten Goldküste, dem heutigen Ghana, Missionsstationen aufzubauen. Diese mussten ja wirtschaftlich versorgt werden. Das hat die Firma Vietor mit Segelschiffen durchgeführt. Ab etwa 1860 kam ein eigener Handel mit Export- und Importgütern hinzu. So ist mit der Ausbreitung der Missionsstationen auch der Handel der Firma Vietor und späterer anderer Firmen Hand in Hand gegangen.

Beim Aufarbeiten der Kolonialzeit hat Bremen die Schwerpunkte auf Namibia und Togo gelegt, Kamerun wurde weitgehend ausgeblendet.

Ja, das ist interessant, Kamerun ist dabei fast außen vor. Zur Kolonialzeit waren in Kamerun zwar nur einige wenige Im- und Exportfirmen aus Bremen aktiv. Bedeutender sind die Plantagen, die Bremer Firmen dort unterhalten haben, besonders die Kautschuk-Plantagen. Der Widerstand gegen die Kolonialverwaltung war in Kamerun erheblich, ganz im Gegensatz zu Togo, wo es demgegenüber relativ weniger Repressionen und Gewalt gab. Tatsachlich könnte und sollte man hier Forschungen über die Beziehungen zwischen Bremen und Kamerun in der Kolonialzeit ansetzen, allerdings ist das Puzzlearbeit, weil die Quellen verstreut sind und die damaligen Firmen nicht mehr existieren.

Das Gespräch führte Detlev Scheil.

Zur Person

Hartmut Müller Der promovierte Historiker, Jahrgang 1938, leitete 25 Jahre bis 2000 das Bremer Staatsarchiv. In den 1970er- und 1980er-Jahren forschte er über die Beziehungen zwischen Bremen und Westafrika in der Kolonialzeit und veröffentlichte einige wissenschaftliche Beiträge darüber.
Schwarzer Menschenrechtler In der Artikelserie „Vom Überwinden kolonialer Spuren“, die die Kolonialzeit und deren Aufarbeitung unter verschiedenen Aspekten darstellt, geht es im nächsten Teil um Sunny Omwenyeke, der aus Nigeria nach Deutschland geflohen ist und sich von Bremen aus als Menschenrechtsaktivist engagiert.
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