Es ist heiß im Park Höpkens Ruh. Einige Spaziergänger zieht es dennoch in die Grünanlage – meist dem Kind oder dem Hund zuliebe. Die Geräuschkulisse wird heute einmal nicht wie gewohnt von den Vögeln bestritten. Stattdessen ertönen Klänge, die für norddeutsche Ohren ungewohnt sind. Sie erinnern an Heidi und andere Filmklassiker aus der Bergwelt. Weiche, getragene Töne durchdringen den Park. Es ist Alphornprobe.
Gisa Habitz, Johannes Holthausen und Jürgen Meyer üben den Waldruf. Am Rand der Wiese legen ein Vater und sein Sohn eine Pause ein, um zu lauschen. Doch nicht nur akustisch beeindruckt das Trio. Die 3,60 Meter langen Instrumente erweisen sich auch optisch als Publikumsmagnet. Der Junge jedenfalls zückt sein Handy, um das Kuriosum im Bild festzuhalten.
Das Trio nimmt die wachsende Zuschauerzahl nur am Rande war. Der dreistimmige Waldruf ist anspruchsvoll und verlangt volle Konzentration. Mit einem Mal setzt Habitz ihr Mundstück ab und blickt fragend nach links. „Ich komm’ nicht hoch“, sagt Holthausen, der ihren Blick richtig gedeutet hat. Die erste Stimme habe besonders viele hohe Töne, das sind die anstrengendsten für die Gesichtsmuskulatur, erklärt er. Habitz übernimmt für dieses Stück die erste Stimme. „Wenn ich warm bin, können wir wieder tauschen“, stellt Holthausen in Aussicht.
Seine ersten musikalischen Schritte hat der frühere Kaufmann mit einem anderen Blechblasinstrument gemacht. Ja, zur Familie der Blechblasintrumente zählt auch das durch und durch hölzerne Alphorn. „Entscheidend für die Zuordnung ist die Blastechnik“, erklärt Holthausen. Der 75-Jährige ist in jungen Jahren zur See gefahren und hat dort seine Liebe zur Trompete entdeckt, der er viele Jahre treu bleiben sollte. Ein Zeitungsartikel über ein Alphornquartett habe ihn vor 15 Jahren dann derart gefesselt, dass er nach Garmisch-Partenkirchen gereist sei, um sich einmal selbst im Alphornblasen zu versuchen. Restlos infiziert und mit einem eigenen Alphorn im Gepäck sei er zurück nach Bremen gekommen, um alsbald seinem Posaunenchor-Kollegen Jürgen Meyer das neue Instrument schmackhaft zu machen. Der allerdings hing so sehr an seiner Posaune, dass ihn erst ein gemeinsamer Allgäu-Urlaub vom Alphorn überzeugte. „Wir waren bei einem Alphornbauer, und ich habe ein Instrument ausprobiert – aus der Nummer kam ich nicht wieder raus“, erinnert sich der 77-Jährige.
Gisa Habitz stieß ebenfalls fernab Oberneulands zu dem Alphorn-Duo – bei einem Alphorn-Treffen in Österreich. „Ich hatte eine Probestunde genommen, als die beiden plötzlich dazukamen“, erzählt die 70-Jährige. Neun Jahre ist das jetzt her. Seitdem üben sie regelmäßig. Bei gutem Wetter in Parks, bei mäßigem in einem Klassenraum der Tobias-Schule oder in der Kirche.
Ein Labrador-Mischling ist inzwischen auf das ungewöhnliche Trio in Höpkens Ruh aufmerksam geworden. Einige Meter entfernt hat er sich auf der Wiese niedergelassen – den Blick fest auf die Alphornbläser geheftet. Sein Frauchen steht hinter ihm und lauscht andächtig. „Ein richtiges Nervenheilmittel ist das“, ruft eine Frau von einer anderen Ecke der Wiese und winkt freundlich herüber. Habitz, Meyer und Holthausen kennen diese Wirkung auf zufällige Zuhörer, was ihrer Freude darüber aber keinen Abbruch tut. Manchmal gebe es sogar spontanen Applaus, erzählen sie. Eine Zuhörerin habe einmal gefragt, ob sie auch auf einer Beerdigung im Friedwald spielen würden, erzählt Habitz, deren Hauptinstrument eigentlich das Parforcehorn ist. „Das haben wir dann sehr gerne gemacht.“ Überwiegend würden sie allerdings zu heiteren Anlässen wie Geburtstage, Hochzeiten oder Feste gebucht. Als Überraschungsgäste einer Kohltour hätten sie auch schon den Klang ihrer Alphörner über die Weser geschickt, vom Café Sand an den Osterdeich. Das habe ganz gut geklungen, erzählt Habitz. Dennoch – ihr Kollege Meyer vermisst im Norden den Widerhall, wie ihn die Berge in der Heimat des Instruments erzeugen. Die Proben unter freiem Himmel werden dem Anspruch des gelernten Elektro-Ingenieurs darum eigentlich nicht gerecht. Mit der Kirche als Proberaum kann er schon besser leben. Ein Tunnel wäre gut, ergänzt Habitz – und stutzt. „Vielleicht können wir zur Einweihung der Oberneulander Tunnel spielen“, überlegt sie laut. Ihre Kollegen sind nicht abgeneigt, die Idee könne man ja mal im Hinterkopf behalten, finden sie. Widerhall wäre dort jedenfalls garantiert.
Nicht nur eine neue Spielstätte reizt das Trio, auch neue Noten wären den Spielern hoch willkommen. „Wir beziehen unsere Literatur fast ausschließlich aus der Schweiz“, sagt Meyer. Bislang hätten sie vergeblich darauf gewartet, dass ihnen einmal jemand etwas komponiert – „aber das kann ja noch kommen“, sagt Holthausen. „Vielleicht gibt es ja einen Musikstudenten, der sich da heran traut.“
Das nächste Stück wird in Angriff genommen. Diesmal halten die Alphornisten kleine laminierte Notenkarten in der einen Hand, die andere stützt das rund vier Kilo schwere Instrument. Bei ein paar hohen Tönen verzieht Jürgen Meyer das Gesicht. „Herr Meyer mag es gar nicht, wenn die hohen Töne überschwappen“, klärt Gisa Habitz auf. Der Kollege bestätigt dies kopfnickend. Er komme nun einmal von der Posaune, „die kann das viel sauberer“. Bei ihren Alphörnern, die ohnehin nur über etwa elf Töne reichen, liegen die Höhen extrem dicht beieinander, sagt Habitz. „Da kippt es eben schon mal.“
Nach einer Dreiviertel Stunde neigt sich die Probe in der Regel dem Ende zu. „Dann tut einem die Schnute weh“, verrät Habitz. Die Alphörner werden transportgerecht in drei Teile zerlegt. Ein aufwendiges Hobby, das sich die drei ausgesucht haben, oder? Habitz winkt ab. „Dafür ist es etwas Besonderes - auf dem Kamm blasen kann jeder.“
Nähere Informationen zu dem Trio gibt es im Internet unter www.bremer-alphornisten.de.
Gisa Habitz mit einem schwarzen Alphorn aus Carbon. Es wiegt nur ein Kilogramm. FOTO: PETRA STUBBE