Links ein grasendes Pferd, rechts Protest auf einem riesigen Plakat: Eine Baggerschaufel krallt sich in einen hoch aufgetürmten Erdhaufen; fast sieht es so aus, als würde sie das davor stehende Kirchlein gleich mitgreifen. Im Vordergrund ein Graureiher in einem Teich, der den Raubbau fassungslos beobachtet.
Das ist das erste Bild, das sich Ortsfremden von Seehausen bietet, und es sagt im Grunde schon alles über den Bremer Ortsteil aus. Einerseits pure Idylle, andererseits gebeutelt von Bremer Politik. Seehausen, 1945 nach Bremen eingemeindet, ist seither immer wieder angeknabbert worden.
„Eigentlich sollte das ganze Dorf platt gemacht werden“
Es begann 1960 mit dem Bau des Neustädter Hafens, mit dem das – wie Hasenbüren – zu Seehausen gehörende Lankenau ausradiert wurde. In Seehausen selbst standen 23 Häuser im Weg, weg auch damit „Eigentlich sollte das ganze Dorf platt gemacht werden“, erzählt Beiratsmitglied Gerd Aumund. Er hat im Sommersitz des WESER-KURIER vor dem Ortsamt Platz genommen, ebenso Beiratssprecher Ralf Hagens und natürlich Eva Thiemann. Sie saß 28 Jahre im Beirat und leitet seit zwölf Jahren das Ortsamt.
Dass es Seehausen noch gibt, ist auch ihr zur verdanken. Sie hat damals mit dem inzwischen verstorbenen Johann Rust eine Bürgerinitiative gegründet. Der Slogan lautete „Seehausen-Hasenbüren muss bleiben, wir lassen uns nicht vertreiben“. Am Ende war es dann so, dass Bremen auf das geplante zweite Hafenbecken verzichtete.
1962 jedoch wurde den Seehausern das Klärwerk vor die Nase gesetzt. Von der Durchfahrtstraße aus ist es hinter Bäumen und Buschwerk nicht zu sehen, aber gelegentlich zu riechen. Wie jetzt. Eine üble Duftwolke umweht die Sommersitz-Gruppe. Die komme aber nur, wenn der Wind aus Ost weht, erzählt Aumund. Trotzdem: An den Gestank gewöhne man sich nicht, sagt Ralf Hagens und bittet ins Ortsamt, um ein anderes Problem zu veranschaulichen.
Aus dem hinteren Fenster blickt man auf Weiden, ein paar Bäume und einen begrünten Hügel, entstanden aus dem Aushub für die A 281. Wenn der geplante Wesertunnel am Ausläufer der Aufschüttung beginnen würde, wäre die Sache aus Sicht der Seehauser geritzt. Bremen aber will den „Abtauchpunkt“ näher an der Bebauung haben, so dass die Wiesen von einer lärmenden Straße zerschnitten würden. Jetzt soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden, dort liegt der Fall seit fast drei Jahren. Wie der Rechtsstreit auch ausgeht: Wieder müssen sechs Häuser weichen.
Ärgernis Staub
Die von Arcelor auf der gegenüber liegenden Weserseite herüberwehenden Stäube sind ein weiteres Ärgernis. Zwar existieren zwei Messstationen, doch von den Behörden werden immer nur die durchschnittlichen Jahreswerte bewertet und regelmäßig als unbedenklich eingestuft. Gutachten belegten aber, dass die Stäube zu bestimmten Zeiten Kopfschmerzen und brennende Augen auslösen, so Thiemann.

Beiratssprecher Ralf Hagens und Ortsamtsleiterin Eva Thiemann hatten im Sommersitz viel zu erzählen.
Ganz schön viele Zumutungen also für ein Dorf mit derzeit 1200 Einwohnern. Da sollte man denken, Bremen würde sich an der einen oder anderen Stelle erkenntlich zeigen. Der TSV Hasenbüren mit seinen 300 Mitgliedern, deren Vorsitzender Gerd Aumund ist, warte indes vergeblich auf 15 000 bis 20 000 Euro, um Umkleiden, Sanitäranlagen und die veraltete Elektrizität zu erneuern. „Wir nehmen hier ehrenamtlich wichtige soziale Aufgaben wahr, aber das wird nicht honoriert“, klagt Aumund. Er schwärmt von der Fußball- und fast noch mehr von der rührigen Gymnastikabteilung des Vereins, die ihre „Turnhalle“ in einem Klassenraum der Dorfschule hat.
38 Schüler in vier Klassen
Die Schule gibt es tatsächlich noch. Die derzeit 38 Schüler teilen sich in vier Klassen auf. Bei den weiterführenden Schulen sind sie „heiß begehrt“, wie Ralf Hagens, Gerd Aumund und Eva Thiemann stolz berichten. „Unsere Kinder sind ruhiger als die Stadtkinder, haben ein gutes Sozialverhalten und sind in den Leistungen oft schon weiter als andere“, sagen sie. Auch Eltern aus Woltmers- und Rablinghausen würden ihre Kinder nach Seehausen schicken, und zwar bereits in den Kindergarten.
Wegen der Familien im bisher einzigen Neubaugebiet und weil nach Thiemanns Beobachtungen die dritte Generation verstärkt nach Seehausen zurückzieht, macht man sich um den Nachwuchs gegenwärtig keine Sorgen. Schule und Kindergarten sind offenbar nicht in Gefahr. Notfalls könnte ein weiteres Baugebiet ausgewiesen werden; im Flächennutzungsplan ist es bereits vorgesehen.

Das Drohnen-Team des WESER-KURIER: Steffen von Deetzen und Marco Reinke haben Seehausen von oben gefilmt.
Es gibt erstaunlich viele Selbstständige im Ort, vor allem Handwerker. Und es gibt den Handwerkerverein, der sich vor 110 Jahren gegründet hat. Ging es damals darum, eine Art Rentenkasse für Mitglieder einzurichten, nimmt der Verein längst ganz andere Aufgaben wahr. Zum Beispiel organisiert er seit drei Jahren einen Flohmarkt, der nächste ist am 13. September.
Schützenverein aufgelöst
Der Schützenverein dagegen hat sich aufgelöst, weil er die Auflagen für einen neuen Schießstand nicht finanzieren konnte. Karsten Feldmann, der sich einen der von Thiemann vorsorglich bereit gestellten Stühle geschnappt hat: „Je mehr wir das Bauprogramm abgespeckt hätten, desto teurer wäre es geworden, weil wir immer neue Sachen erfüllen sollten. Zum Schluss waren wir bei 500 000 Euro.“
Feldmann ist Hasenbürener von Geburt an, hat mal ein paar Jahre in Woltmershausen gelebt und sich dann mit seiner Familie im Neubaugebiet niedergelassen. Er ist einer von vielen, die sich für ihr Dorf engagieren und die Thiemann so lobt. Jetzt will sie aber mal sagen, dass auch die St.-Jacobi-Gemeinde ein Segen für die Dorfgemeinschaft ist. Die Ortsamtsleiterin ist im Kirchenvorstand, dessen letzte Idee es war, einen Jugendtreff einzurichten.
Der YouTreff im Kaemnahaus – ein Bauernhaus, das zum Gemeindezentrum umgebaut wurde – werde gut angenommen. Paula, Ira (beide 15) und Lisa (17) sind dort nicht mehr zu Gast. Zu viele Jungs, zu wenige Mädels. Die drei gehen auf Bremer Schulen, was Busfahrten bis zu einer Dreiviertelstunde bedeutet. Keine von ihnen möchte das Dorf für immer verlassen – einmal Seehauser, immer Seehauser. Lisa, die gerade dabei ist, von der Jugendfeuerwehr in die aktive Wehr mit ihren 30 Mitgliedern zu wechseln, ist die einzige, die in die Welt hinaus möchte. „Um mal was anderes zu sehen. Aber ich komme bestimmt zurück.“

Gerd Aumund wartet als Chef des TSV Hasenbüren bisher vergeblich auf Geld aus Bremen.
Frank Imhoff ist schon wieder weg. Der Stromer hatte es zum Sommersitz in seinem Heimatdorf nicht geschafft, deswegen ist er nach Seehausen gekommen. Wir wollen über Tourismus schnacken. Der CDU-Politiker hat drei Ferienwohnungen in Strom und zwei in Seehausen. Mit der Auslastung ist er „zufrieden“. Es sind drei Gruppen, die dafür sorgen: Familien, die Urlaub auf dem Lande in Stadtnähe verbringen möchten, Weggezogene, die ihre Familien besuchen, und Fußballfans, die ins Weserstadion wollen.
Der größte Wunsch des Beirats ist augenblicklich ein Fähranleger. Die vielen dazu geführten Gespräche sind bisher an den hohen Unterhaltungskosten für den Anleger gescheitert. Aber schön wäre es schon: Dann könnten die drei gastronomischen, gut laufenden Betriebe im Ort auch von der Wasserseite angesteuert werden.
Elke Gundel ist am heutigen Freitag mit unserem Sommersitz unterwegs. Sie kommt in die Östliche Vorstadt. Von 10 bis 13 Uhr ist sie auf dem Ziegenmarkt und freut sich auf viele Besucher und interessante Gespräche.
Weitere Sommersitz-Termine:
21. August: Östliche Vorstadt
24. August: Schwachhausen
25. August: Vegesack
26. August: Vahr
27. August: Horn-Lehe
28. August: Borgfeld
31. August: Oberneuland
1. September: Blockland
2. September: Burglesum
3. September: Blumenthal
4. September: Osterholz