Erzieherinnen und Erzieher sind am stärksten gefährdet, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. Das geht aus einer aktuellen Analyse des wissenschaftlichen Instituts der AOK hervor. Die Forscher haben die Krankschreibungen von mehr als 13 Millionen AOK-Versicherten zwischen März und Oktober ausgewertet. Demnach hat sich bundesweit am häufigsten Kita-Personal im Zusammenhang mit dem Coronavirus arbeitsunfähig gemeldet. Auch in Bremen war die Berufsgruppe besonders betroffen.
Laut Analyse meldeten sich 78 von 2760 Bremer Erzieherinnen und Erziehern coronabedingt krank, die bei der AOK versichert sind. In keiner anderen Bremer Berufsgruppe war die Arbeitsunfähigkeitsquote im Zusammenhang mit Corona höher. Mehr Krankheitsfälle – in absoluten Zahlen – gab es nur in der Lagerwirtschaft. Zwischen März bis Oktober fehlten dort 161 Versicherte wegen Corona. Weitere Branchen, in denen überdurchschnittlich viele AOK-Mitglieder in der Pandemie ausfielen, waren die Altenpflege mit 62 Erkrankten, die Reinigung mit 54 und die Krankenpflege mit 44 Krankmeldungen.
„Wer beruflich viel Kontakt zu anderen Menschen hat, hat auch ein größeres Risiko, sich mit Corona anzustecken“, sagt Jörn Hons, Sprecher der AOK Bremen. „In Berufen, in denen es möglich ist, zu Hause zu arbeiten, sind die Zahlen deutlich niedriger.“ Für Hons zeigt das auch: „Homeoffice wirkt.“
Für Bremen hebt Hons zwei Branchen hervor: Zum einen haben sich im Gastronomieservice 24 Beschäftigte zwischen März bis Oktober wegen Corona krankgemeldet. „Ein eher niedriger Wert“, sagt der AOK-Sprecher, „hier scheinen die Hygienekonzepte gegriffen zu haben.“ Zum anderen sind erzieherische Berufe im Vergleich zur ersten Auswertung für die Frühphase der Pandemie deutlich stärker betroffen. „Offenbar wirkt sich hier die Entscheidung der Politik aus, Schulen und Kitas offen zu halten“, so Hons.
In Impfrangfolge beachten
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bremen reagiert verärgert. Die Zahlen seien „erschreckend“. „Das Risiko ist viel größer, als das lange von der Politik behauptet wurde“, sagt GEW-Landesvorständin Barbara Schüll. Sie fordert, dass die Berufsgruppe in der Impfrangfolge bevorzugt wird: „Man darf nicht so tun, als wären Erzieherinnen und Erzieher immun.“
Mit einer Online-Petition fordern Bremer Betroffene mehr Schutz für ihre Berufsgruppe. Es geht um wöchentliche Schnelltests und mehr Mitbestimmungsrechte. Die Petition wurde am Sonntag gestartet. Mehr als 600 Personen haben unterschrieben.
„Erzieherinnen und Erzieher sind tatsächlich stark betroffen“, sagt Annette Kemp, Sprecherin der Bildungsbehörde. Viele verzichteten auf Masken, damit die Kleinkinder die Mimik erkennen könnten. „Sie können sich kaum schützen.“ Lange sei man davon ausgegangen, dass es sich bei den Infektionen in Kitas um Einzelfälle handele. Zuletzt habe es aber zwei größere Ausbrüche mit 17 Infektionen gegeben. Die Vorfälle hätten in der Behörde zu einem Umdenken geführt.
„Wir müssen schärfere Kriterien festlegen, ab wann Kitas in den Notbetrieb schalten und wie der dann aussieht“, sagt Kemp. Man prüfe auch, inwieweit Reihentests durchgeführt werden könnten. Bisher können sich Beschäftigte beim Träger der Kita melden, wenn sie Symptome haben. Dann werden sie getestet. Kemp betont, die Behörde setze sich dafür ein, dass Kita-Mitarbeiter frühzeitig geimpft werden, „gleich nach den Pflegekräften“.
Thomas Warner, Landesfachbereichsleiter bei Verdi Bremen, erklärt die 161 Corona-Krankmeldungen in der Lagerwirtschaft mit den beiden Corona-Ausbrüchen in Bremer DHL-Verteilzentren im Frühjahr. „Danach hat es hier nur noch vereinzelt Fälle gegeben“, sagt Warner. Damit es so bleibt, rät er den Firmen, neue Schichten einzuführen. Ein zeitlich versetzter Dienststart würde helfen, die Abstände einhalten zu können. „Ansonsten arbeitet man in den Paketzentren auf sehr engem Raum.“
Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitsbehörde, sieht in den vielen Corona-Krankmeldungen der Pflegekräfte einen Ausdruck „der sehr angespannten Lage“. Unlängst wurde bekannt, dass sich in der Pandemie 2,5 Prozent aller bei der Barmer versicherten Pflegekräfte wegen Corona krankgemeldet hatten. Im Ergebnis der AOK-Analyse erkennt Fuhrmann auch eine soziale Dimension. Viele Tätigkeiten mit hohem Infektionsrisiko würden eher schlecht bezahlt. Wenn man über hohe Infektionszahlen in ärmeren Stadtteilen spreche, müsse man auch bedenken, dass dort viele lebten, die da arbeiteten, wo das Corona-Risiko besonders hoch ist.