Man hatte sie schon vor dem geistigen Auge gesehen: Entnervte Autofahrer, die nur schrittweise ihren Arbeitsplätzen in der Innenstadt näherkommen, ratlose Lieferanten, die nicht wissen, wie sie ihre Pakete zustellen sollen, gestresste Bremer überall – kurz: Szenen, die an den Kultfilm „Superstau“ aus den 1990er-Jahren erinnern. Und dann?
Kein Stau rund um die City, nirgends. Freie Fahrt auf dem Osterdeich, kaum Verkehr am Wall und auf der Martinistraße zur besten Berufsverkehrszeit. Alles ruhig und im Fluss auf der Bürgermeister-Smidt-Straße, und nicht mehr los als sonst an einem normalen Bremer Morgen rund um den Bahnhof. Lediglich am Breitenweg/Rembertiring, wo aufgrund der Gewoba-Baustelle nur ein Fahrstreifen offen ist, ging es ab dem späten Vormittag gewohnt langsam voran.
„Es war tote Hose“
Auch in der Fußgängerzone rund um Obern- und Sögestraße keine Anzeichen von Stress. Die Lieferwagen kamen zwar nicht bis zum Parkhaus Mitte durch, konnten ihre Kunden aber auch über alternative Anfahrtsrouten erreichen. „Normalerweise stehe ich morgens ab der Überseestadt im Stau“, sagte ein Lieferant, der rund eine Stunde vor Ladenöffnung bei Salamander zwei Paletten Ware ablieferte. „Jetzt ging es überraschend gut.“ Ähnlich entspannt war ein DHL-Bote gegen neun Uhr in der Martinistraße. „Stau? Nö, heute nicht“, sagte er.
Das von vielen befürchtete Chaos durch die Komplett-Sperrung des Herdentor, die anders als zunächst geplant aufgrund des Marathons am Sonntag auf den Montag ausgedehnt werden musste, ist ausgeblieben. „Man könnte fast sagen: Es war tote Hose“, fasst es Olav Ziermann von der Verkehrs-Management-Zentrale zusammen. „Das ist nicht oft so, aber am Montag war es der Fall. Freitags zum Beispiel sieht es oft ganz anders aus.“
Einen Grund für den ausgebliebenen Stau sieht der Verkehrsexperte darin, dass die Bremer einfach gut informiert waren. Durch die Berichterstattung aller großen Medien der Stadt über die Vollsperrung schon in der vergangenen Woche hatten alle genug Zeit, sich andere Wege und Mittel zu überlegen, um die Innenstadt zu erreichen – oder für einen Tag komplett zu meiden. Das bestätigt auch ADAC-Sprecher Nils Linge. „Wenn alle das Thema groß bringen, werden viele Bremer informiert. Uns widerfährt so etwas aber auch von Zeit zu Zeit. Wir kündigen zu Ferienbeginn einen Riesenstau an und sehen dann an dem Tag, dass er gar nicht zustande kommt und sich dafür dann am nächsten Tag bildet.“
Dazu kam das schöne Wetter, das den Umstieg vom Auto aufs Rad wohl auch für den einen oder anderen einigermaßen erträglich machte. Und Bremen hatte auch einfach ein bisschen Glück: Von den wichtigen Zufahrtsstraßen in die Stadt und von der A 1 wurden am Montagmorgen keine größeren Unfälle gemeldet, die sonst regelmäßig dafür sorgen, dass alles steht.
Ein verlorener Montag für den Handel
Was ebenfalls ein wichtiger Entzerrungs-Faktor für den Verkehr ist: Die zweite Woche der Herbstferien hat begonnen. Viele Bremer müssen sich im Moment also gar nicht über Baustellen aufregen, weil sie schlicht und einfach nicht in der Stadt sind. Etwa 20 bis 30 Prozent weniger Verkehr gibt es in der Stadt, wenn in den Schulen Pause ist, sagt Stefan Kaemena, beim ADAC Leiter der Abteilung Technik. „Das ist dann schon deutlich weniger“, sagt Kaemena. „Als keine Ferien waren, sah das rund um die Innenstadt auch schon häufig anders aus.“ Ähnlich formuliert es auch Linge: „Wenn man sich die letzten Wochen anguckt, gab es viele Tage, an denen die Lage chaotisch war. Grundsätzlich hören wir von allen Seiten, dass es im Moment ein bisschen zu viel ist. An allen Ecken und Enden wird gebaut, den Verkehr überlässt man sich selbst.“
Jens Tittmann, Sprecher von Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne), freut das ausgebliebene Chaos. „Das zeigt, dass die Bremer vernünftig mit der Situation umgehen“, sagt er. Das sehen die Vertreter der Wirtschaft ein bisschen anders. „Für den Handel war es ein verlorener Montag“, sagt Stefan Brockmann aus dem Vorstand der City-Initiative.