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Ausbau Straßenbahnlinie 1 Baustelle belastet Huchting: „Der Preis ist hoch, den wir zahlen“

Die Verlängerung der Straßenbahnlinie 1 in Huchting verzögert sich. Auf Spurensuche auf einer Großbaustelle, die den Alltag im Stadtteil prägt.
29.08.2024, 05:00:00 Uhr
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Baustelle belastet Huchting: „Der Preis ist hoch, den wir zahlen“
Von Marc Hagedorn

Die beiden Damen erreichen das Roland-Center in Huchting mit der Straßenbahnlinie 1. „Oh Gott“, sagt die eine, als die Frauen aussteigen. „Wie kommen wir von hier denn jetzt weiter?“ Wie eingesperrt fühlen sie sich. Nahezu die komplette Haltestelle am Roland-Center ist großräumig von rot-weißen Absperrbaken umzingelt. Hinter den Zäunen wird gearbeitet. Männer in orangefarbener Kleidung dirigieren Bagger und lassen mit Rüttelplatten den Boden vibrieren. Andere Arbeiter liegen auf den Knien und verlegen Pflastersteine. Ein Mann karrt eine Fuhre Sand heran.

Die beiden Damen haben eine Erledigung in der Kirchhuchtinger Landstraße zu machen. Doch obwohl es kaum 100 Meter Luftlinie bis dorthin sind, sie können die Straße von der Haltestelle aus fast schon sehen, müssen sich die Frauen erst einmal orientieren. „Dort lang?“, fragt die eine. „Nee, da geht’s doch mitten rein in die Baustelle“, sagt die andere. Wie sollen sie aus diesem Labyrinth aus provisorischen Zebrastreifen, Ampeln und Absperrgittern bloß an ihr Ziel gelangen?

Frank Trompeter hört solche Fragen jeden Tag. „Unsere Kunden und wir spüren die Einschränkungen“, sagt der Manager des Roland-Centers. Die Baustelle vor seinem Haus geht ins vierte Jahr, eigentlich sollten die Arbeiten an dieser Stelle inzwischen abgeschlossen sein. Doch stattdessen ist aktuell die Straße direkt vor dem Haupteingang mal wieder gesperrt. Die nächste Veränderung, auf die sich die Kunden einstellen müssen. Das macht sich für das Roland-Center bemerkbar. „Wenn man es in Zahlen ausdrücken soll, liegen die Einbußen für uns im einstelligen Prozentbereich“, sagt der Center-Manager. Oder anders formuliert: „Wir können froh sein, dass wir so treue Kunden haben, die die Behinderungen durch die Dauerbaustelle in Kauf nehmen.“

Die Arbeiten am Roland-Center sind Teil eines Großprojektes. Die Straßenbahnlinie 1, die bisher am Roland-Center endet, soll in Huchting um 3,7 Kilometer verlängert und um sechs Haltestellen erweitert werden. Von der Huchtinger Heerstraße soll es künftig ohne Umstieg in die Innenstadt gehen. Für die BSAG ist es das größte Vorhaben seit der Verlängerung der Linie 4 nach Lilienthal vor zehn Jahren.

Die Geduld der Menschen, die in Huchting leben und arbeiten, und derjenigen, die hierhin wollen oder durch den Ort hindurchmüssen, wird seit Baubeginn im Juli 2021 auf die Probe gestellt. Aber wie sollte es auch anders sein bei einem Projekt, um das über Jahrzehnte gestritten und gekämpft wurde. Die zwei Lager – Befürworter und Gegner der Straßenbahnverlängerung – kommen bis heute auf keinen gemeinsamen Nenner. Die Politik bewertet den Ausbau der Linien als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Mobilitätswende. Attraktiver, leistungsfähiger, umweltfreundlicher und zuverlässiger werde das künftige Angebot sein, lautet das Versprechen.

Die Kritiker bezweifeln die Notwendigkeit und stellen das Kosten-Nutzen-Verhältnis infrage. Auf 87 Millionen Euro belaufen sich allein die baulichen Maßnahmen, 78 Millionen davon kommen aus Töpfen des Bundes. Weiteres Geld ist in vorbereitende Maßnahmen geflossen. Als der WESER-KURIER für sein Format „Stadtteil-Check“ vor gut zwei Jahren 344 Huchtinger zum Bau der Straßenbahnverlängerung befragte, fasste Ortsamtsleiter Christian Schlesselmann das Ergebnis damals so zusammen: „Die Ablehnung ist weitaus größer als die Zustimmung.“

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Heute sagt Schlesselmann: „Die Huchtinger sind von den Baustellen total genervt.“ Der Leiter der Verwaltung ist oft der Puffer zwischen den Bürgern und dem Consult Team Bremen (CTB), das die Umsetzung der Bauvorhaben managt. „Die Leute wollen wissen: Warum dauert das so lange?“, sagt Schlesselmann, „und warum werden Abschnitte, die fertig aussehen, nicht schneller freigegeben?“ Center-Manager Trompeter hat neulich einen Vergleich gehört: Der Ausbau von 73 Kilometern auf der A1 zwischen dem Bremer Kreuz und dem Buchholzer Dreieck hätte vier Jahre gedauert, für weniger als vier Kilometer Straßenbahn in Huchting könnten es am Ende fünf Jahre sein. Mindestens.

Giuseppe Caserta findet den Vergleich zwischen dem Autobahnausbau und der Straßenbahnverlängerung unpassend. „Das hier ist etwas ganz anderes“, sagt der Projektmanager von CTB, „wir bauen in diesem Stadtteil etwas komplett Neues.“ Und das auch noch an den Hauptverkehrsschlagadern Huchtings: an der Kirchhuchtinger Landstraße und an der Heinrich-Plett-Allee, die Huchtings Süden mit dem Nordenwesten verbindet und den Autoverkehr von der B 75 aufnimmt.

Es sind Eingriffe am offenen Herzen sozusagen, unter laufendem Verkehr und mit ungeplanten Herausforderungen. Es habe seit Baubeginn Lieferengpässe bei Materialien gegeben, sagt Caserta. Die beteiligten Baufirmen und Ingenieurbüros würden den allgemeinen Fachkräftemangel spüren. Die starken Niederschläge zu Jahresbeginn hätten für erhöhtes Grundwasser gesorgt. Überhaupt komme es bei Tiefbauarbeiten immer wieder zu Überraschungen. „Sie glauben gar nicht, wie oft man auf Leitungen und Kabel stößt, die in keiner Karte verzeichnet sind“, sagt Caserta.

Mittlerweile sind Fortschritte aber deutlich erkennbar. Die neuen Bushaltestellen vor dem Roland-Center sind seit Februar in Betrieb. Der ehemalige Parkplatz des Roland-Centers Richtung Dorfplatz, der zwischendurch als Busbahnhof diente und nun wieder Parkplatz werden soll, nimmt mehr und mehr Gestalt an. Einen Kilometer weiter, auf dem südlichen Abschnitt der Heinrich-Plett-Allee, sind bis zur Brücke, die über die B75 führt, die Schienen verlegt. Die Straße soll ab Winter wieder in beide Richtungen befahrbar sein. Danach ist der nördliche Abschnitt der Allee bis zum Endpunkt Brüsseler Straße an der Reihe.

Parallel dazu muss im nächsten Frühjahr die Kirchhuchtinger Landstraße auf einem Teilabschnitt voll gesperrt werden, um die Straßenbahnschienen für den Lückenschluss über den Willakedamm zur schon bestehenden Bahntrasse der BTE, der Bremer-Thedinghauser Eisenbahn, vollziehen zu können, ein weiterer Meilenstein. Das Ziel ist ambitioniert, aber Ende 2025 soll die erste Bahn auf der S1 von der Brüsseler Straße in einem Rutsch bis in die Innenstadt rollen.

Für die Menschen in Huchting heißt das, dass sie weiterhin Umwege fahren und Straßensperrungen in Kauf nehmen müssen. „Bei Vorhaben dieser Größenordnung lässt sich das leider nicht vermeiden“, sagt Projektmanager Caserta. Center-Chef Trompeter macht drei Kreuze, wenn es tatsächlich in eineinhalb Jahren vorbei sein sollte. „Die Verlängerung der Straßenbahnlinie verbessert unsere Erreichbarkeit und wertet den nördlichen Teil Huchtings auf. Aber der Preis ist hoch, den wir zahlen wegen der langen und zum Teil chaotischen Bauzeit.“

Für die beiden älteren Damen, die auf der Suche nach dem richtigen Weg zur Kirchhuchtinger Landstraße sind, kommt das Happy End schneller. Sie finden Hilfe bei einer jungen Frau, die kurzerhand ihr Smartphone zückt und ihnen den Weg weist.

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Aktuelles zu den Baustellen

Die BSAG und das Consult Team Bremen, das die Baumaßnahmen koordiniert, bemühen sich, die Baufortschritte so transparent wie möglich zu dokumentieren. Tatsächlich bietet die Seite www.linie1und8.de im Internet einen sehr guten und aktuellen Überblick über all das, was schon getan wurde und noch zu tun ist. Im Roland-Center ist außerdem montags, mittwochs und freitags ein Informationscenter zwischen 10 und 17 Uhr geöffnet.

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