Der erste Lockdown im Frühjahr 2020 hat entgegen der Annahme einiger Experten nicht dazu geführt, dass mehr Kinder gezeugt wurden. Anders sieht das aber offenbar für die Zeit der ersten Lockerungen aus. Laut dem Statistischen Bundesamt sind in diesem März deutschlandweit nach vorläufigen Zahlen rund 65.900 Kinder zur Welt gekommen und damit – auf den Monat bezogen - so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. In Bremen liegt die Quote über dem Bundesschnitt.
Die Zahl der im März 2021 geborenen Bremer Babys liegt laut der Statistik bei 539: Im Vergleich zu 476 Geburten im März 2020 ist das ein Anstieg von 13 Prozent. Ähnlich sieht es in Niedersachsen aus: Auch dort sind in den ersten Monaten des Jahres mehr Kinder als jeweils in den Vorjahresmonaten geboren worden. Für den März des laufenden Jahres ergibt sich mit 6319 Neugeborenen im Vergleich zu 5791 im März 2020 ein Plus von rund neun Prozent.
Bei den Bremer Geburtskliniken spiegelt sich der Anstieg vor allem in den Zahlen des Klinikums Bremen-Nord wider: Die an diesem Montag, 14. Juni, geborene Annastasia Rame war das 1000. Baby in diesem Jahr. „In den ersten sechs Monaten war hier wirklich sehr viel los“, sagt Nicola Miller, leitende Hebamme des Klinikums. „Wir liegen allein im ersten Halbjahr etwa 200 Geburten gegenüber den Vorjahreszahlen. Als Klinikteam freuen wir uns sehr, dass uns so viele Familien auch in Corona-Zeiten ihr Vertrauen schenken.“
Viel Betrieb im Kreißsaal war auch im St.-Joseph-Stift mit 170 Geburten im Mai, 157 waren es im März. Das entspricht laut Sprecher Maurice Scharmer dem Vor-Corona-Niveau. „Dazu muss man bedenken, dass sich werdende Mütter seit Februar 2020 zur Geburt in den Bremer Krankenhäusern anmelden müssen“, sagt Scharmer. „Wir haben die Anmeldungen auf 150 Geburten pro Monat beschränkt, hinzukommen noch unangemeldete Notfälle.“
Die hohe Nachfrage führt er auch darauf zurück, dass das St.-Joseph-Stift in den vergangenen Monaten anders als andere Kliniken während der Geburt eine Begleitperson der Schwangeren zugelassen hatte. Im Diako und im Bremerhavener Klinikum Reinkenheide sind die Geburtszahlen den Angaben der Sprecher zufolge bislang nicht gestiegen.
Ob sich nun ein Corona-Babyboom abzeichnet, lässt sich laut Christian Albring, Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte, noch nicht sagen. „Dazu müsste man abwarten, ob sich die Jahresstatistik ändert“, sagt der in Hannover praktizierende Gynäkologe. Eine monatliche Schwankung von zehn Prozent könne durchaus vorkommen. Zu den Gründen, warum sich Paare in einer Pandemie für ein Kind entscheiden, zählt er einerseits die größere Nähe durch Homeoffice und Lockdown. „Wenn der Kinderwunsch da ist, die Jobs sicher sind und man viel Zeit zu Hause verbringt, wird es viele geben, die die Familienplanung dann gezielt angehen“, sagt er. Andererseits gebe es auch diejenigen, die das Thema Kinder verschieben, wenn Arbeitsplatz und Zukunft unsicher sind. „Ich kann mir vorstellen, dass sich beides am Ende ausgleicht“, sagt Christian Albring.
Bei der Pro-Familia-Beratungsstelle in Bremen gebe es derzeit keine erhöhte Nachfrage zu Beratungen rund um die Themen Schwangerschaft und Familienplanung, sagt Sabrina Lischke aus dem Leitungsteam. „Es könnte aber naheliegend sein, dass sich der Sommer 2020 zusammen mit den Lockerungen auch auf die sexuelle Aktivität der Menschen ausgewirkt haben“, sagt die Psychologin. „Man müsste die Zahlen aber genauer betrachten. Waren die Schwangerschaften geplant oder nicht? Welche Frauen sind schwanger geworden?“
Ein möglicher Aspekt zur Begründung des Geburtenanstiegs könne sein, dass für viele Frauen vor allem in sozial benachteiligten Stadtteilen durch das coronabedingt zusammengebrochene öffentliche Leben auch der Zugang zu Informationen über Verhütungsmittel oder allgemeines Wissen zur Familienplanung erschwert war. „Diese Strukturen fehlten teilweise“, sagt Lischke.
Laut Heike Schiffling, Vorsitzende des Bremer Hebammenverbandes, ist die Zahl der Geburten in Bremen seit 2011 um 25 Prozent gestiegen. „2019 und 2020 hatten wir dann ein Plateau erreicht“, sagt sie, „ob es nun wieder nach oben geht, müssen wir abwarten.“ Sie habe den Eindruck, dass ihre Kolleginnen und sie im Moment viele Anfragen für Juli und August erreichten. „Aber wir haben sowieso immer eine hohe Nachfrage, und der August ist immer einer der Peak-Monate.“