Als Manfred Cordes vor 18 Jahren Bürgermeister der Gemeinde Oyten wurde, war es selbstverständlich, dass neue Baugebiete im Ort vor allem für Ein- und Zweifamilienhäuser ausgewiesen wurden. „Das war der Klassiker“, sagt der SPD-Mann, der Ende Oktober in den Ruhestand geht. Im künftigen Baugebiet Rosengarten wird der Klassiker eine Ergänzung finden, denn im Rosengarten soll demnächst auch Platz für Mehrparteienhäuser mit Mietwohnungen sein. Der Bebauungsplan ist dafür extra geändert worden. Weil es anders einfach nicht mehr geht. Cordes sagt: „Der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist extrem.“ Wohnungen werden händeringend gesucht.
Aus den großen Städten wie Stuttgart, München oder Berlin ist dieses Phänomen bekannt. Das bestätigt jetzt erst wieder eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). In Niedersachsen trifft das auch auf die Region Hannover zu. Dort wurden zwischen 2016 und 2018 nur 59 Prozent der benötigten Wohnungen fertiggestellt. In Delmenhorst waren es sogar noch weniger. Für Bremen haben die Forscher immerhin 86 Prozent ausgerechnet, unterm Strich ist aber auch das nicht genug.

Dafür gibt es laut der IW-Studie andere Regionen im Land Niedersachsen, in denen es ganz anders aussieht. Für den Kreis Friesland etwa weist die Untersuchung deutlich mehr fertiggestellten Wohnraum als benötigt aus. Auch in den Landkreisen Cuxhaven, Vechta, Rotenburg und im Emsland ist das Angebot laut IW deutlich größer als die Nachfrage. Gleiches gilt für die Stadt Bremerhaven. Passend, zumindest rechnerisch, ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach neuen Wohnungen in Wolfsburg (102 Prozent). In Oldenburg sollen laut IW sogar einige Wohnungen zu viel auf dem Markt sein.
Davon kann im Bremer Umland nicht die Rede sein. „Wir haben definitiv nicht zu viel Wohnraum“, sagt Rainer Ditzfeld, Bürgermeister in Achim. Wer in der Stadt nichts zum Wohnen findet, der zieht in den Speckgürtel. Ein Phänomen, das nicht neu ist, aber an Fahrt gewinnt. „Es zieht immer mehr Bremer zu uns“, sagt Ditzfeld. Er hat das gerade erst wieder auf dem ehemaligen Bundeswehrgelände der Steuben-Kaserne festgestellt. 250 Wohneinheiten sind hier innerhalb weniger Jahre vermarktet worden, „fast nur an Bremer“, sagt Ditzfeld. Die Käufer arbeiten bei Airbus, an der Universität oder bei Mercedes, zu Hause aber sind sie in Achim.
Als Gründe für die fehlenden Wohnungen in Großstädten nennt die Studie den hohen Zuzug, das knappe Personal in den Bauämtern, strenge Vorschriften und den Fachkräftemangel in der Bauwirtschaft. Im Bremer Umland spielen andere Faktoren eine Rolle. „Würden wir in Oyten auf einen Schlag 500 Bauplätze ausweisen, würde das zu einem Kollaps führen“, sagt Bürgermeister Cordes. Geeignete Flächen gibt es in den Gemeinden in einem Umkreis von 25 bis 30 Kilometern rund um Bremen durchaus. Doch mit der Zahl der Neubürger muss auch die Infrastruktur wachsen. „Wir haben hier gerade den siebten Kindergarten gebaut“, sagt Cordes. Das Angebot an Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, die ärztliche Versorgung und der Verkehr müssen parallel ausgebaut werden. In Achim hat man ein Leitbild verabschiedet. Achim will keine Boomtown werden, sondern in den nächsten Jahren moderat von knapp 32 000 Einwohnern auf maximal 35 000 wachsen.
Zu wenig bezahlbarer Wohnraum
Um Prozesse wie zum Beispiel die Abwanderung von Städtern ins Umland im Blick zu behalten und Maßnahmen steuern zu können, haben Anfang der 1990er-Jahre 24 Städte, Landkreise und Gemeinden den Kommunalverbund Niedersachsen/Bremen gegründet. Heute umfasst er 28 Mitglieder. 1,05 Millionen Einwohner leben in Bremen und umzu. Vor knapp einem Jahr hat der Kommunalverbund die Ergebnisse seiner regionalen Wohnungsmarktbeobachtung vorgelegt. Eine Erkenntnis lautet, dass es in der Fläche zu wenig „bezahlbaren Wohnraum“ gibt. Und damit sind nicht nur Wohnungen für Arbeitslose, Geflüchtete und Geringverdiener gemeint, sondern längst auch Menschen mit durchschnittlichem Verdienst, Alleinerziehende und Senioren.
„Sozialer Wohnungsbau war lange Jahre kein Thema im Umland“, sagt Achims Bürgermeister Ditzfeld. In seiner Stadt ist das Thema inzwischen aber genau wie im benachbarten Oyten auf der politischen Agenda angekommen. Im Baugebiet Nördliche Innenstadt in Achim, zu dem das ehemalige Gelände der Brotfabrik Lieken gehört, sollen von den rund 160 Wohneinheiten 20 Prozent Sozialwohnungen sein. Für private Investoren ist das nicht sehr reizvoll, da sich damit nicht viel verdienen lässt. Politisch und demografisch aber ist eine Neuausrichtung der Wohnungspolitik für die Gemeinden im Umkreis der Städte alternativlos.
Laut Datenanalyse des Kommunalverbundes werden im Jahr 2030 mehr als ein Viertel aller Einwohner über 65 sein. Die Zahl der Familien wird im gleichen Zeitraum abnehmen, die Zahl der Haushalte aber steigen. Mit 22 000 zusätzlichen Ein- und Zweipersonen-Haushalten rechnet der Kommunalverbund in den nächsten elf Jahren.