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Behinderte auf Wohnungssuche Der lange Weg zur tauglichen Wohnung

In Bremen kümmern sich etliche Dienststellen und Institutionen darum, dass auch Menschen mit Behinderung eine Wohnung finden - doch der Bedarf ist größer als das Angebot, die Vermittlung manchmal schwierig.
26.07.2021, 15:10 Uhr
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Der lange Weg zur tauglichen Wohnung
Von Joerg Helge Wagner

Sein größter Traum ist bescheiden: eine kleine Erdgeschoss-Wohnung. Doch Harald Hoch (Name von der Redaktion geändert) ist doppelt benachteiligt, denn er ist als Rollstuhlfahrer zu 100 Prozent körperbehindert und er lebt seit Jahren auf der Straße. Den fast 70-Jährigen konnte nach eigener Auskunft bislang niemand aus seiner trostlosen Lage befreien: weder der Landesbehindertenbeauftragte noch die Fachstelle Wohnen beim Amt für Soziale Dienste. Hoch "wohnt" quasi in seinem Rollstuhl, bei schlechtem Wetter rollt er in ein Haltestellen-Häuschen, in eine Passage oder unter eine Brücke.

Auf Dauer ist das nicht durchzuhalten, nach spätestens zehn Tagen plagen ihn Kreislaufprobleme und Thrombosen. Hoch ruft die Redaktion aus dem Klinikum Mitte an, wo er wieder einmal kurz vor der Entlassung steht: "Das ist mein Lebensrhythmus: zehn Tage draußen auf der Straße, dann wieder 14 Tage Krankenhaus. Das kostet ein irrwitziges Geld im Vergleich zu einer kleinen Wohnung."

Nun ist der Mann kein einfacher Fall. Weil er als kleiner Junge einen Wohnungsbrand nur knapp überlebt habe, sei er traumatisiert, sagt Harald Hoch. Deshalb bestehe er auf einer Wohnung im Erdgeschoss. "Die wollten mich schon in einem Behindertenheim im 4. Obergeschoss unterbringen, das habe ich abgelehnt." Der frühere Ingenieur ist redegewandt und energisch, eine Entmündigung konnte er nach eigener Darstellung abwehren. Wie er es schildert, hat er einfach reichlich Pech gehabt: Sein ausländischer Arbeitgeber ging pleite und zahlte vorher kaum Sozialabgaben, dann ein Glatteisunfall, der ihn in den Rollstuhl beförderte. Eine Familie habe er nicht, er sei völlig alleinstehend.

Für Menschen wie ihn gibt es die Fachstelle Wohnen. Im Schnitt vermittelt sie nach eigenen Angaben pro Jahr 15 alten- und behindertengerechte Wohnungen. Bei Klienten, die nicht erwerbstätig sind oder keine Rente beziehen, kooperiert man mit sogenannten Kostenträgern wie dem Amt für Soziale Dienste oder dem Jobcenter. "Rollstuhlfahrer oder körperlich eingeschränkte Personen werden ausschließlich in geeigneten  Wohnraum vermittelt", beteuert man im Sozialressort. Doch es gibt eine Warteliste, und die ist offenbar lang. Für Obdachlose stehen kurzfristig lediglich zwei rollstuhlgerechte Zimmer zur Verfügung.

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Schon im Herbst 2018 wurde für die Stadt Bremen eine Wohnbedarfsermittlung durchgeführt. Man wollte möglichst viele Personen erreichen, die auf einen Rollstuhl in ihrer Wohnung angewiesen sind. Mehr als 3300 einschlägig Schwerbehinderte wurden angeschrieben, 672 Personen haben sich beteiligt. Nach der Auswertung stellte man im Juni 2019 fest: Mehr als 125 rollstuhlgerechte Wohnungen fehlen allein in der Stadt Bremen und in Bremen-Nord.

Ein gutes Jahr später mahnte der Landesbehindertenbeauftragte Arne Frankenstein beim Bauressort schriftlich an, dass "nun eine Abarbeitung der gemeldeten Nachfrage an R-Wohnungen erfolgen muss". Vor allem sollten solche Wohnungen bei Neubau und Bestand erfasst und zentral vermittelt werden, wenn sie frei oder bezugsfertig würden. In einem Positionspapier vom 11. März dieses Jahres weist Frankenstein abermals darauf hin, dass es hier Klärungsbedarf gebe. Am Ende vieler Gespräche mit vielen Beteiligten steht jetzt eine Selbstverpflichtung von Bauressort und Wohnungswirtschaft, wirksam wird sie ab 1. Oktober. Über eine spätere Öffnungsklausel wird allerdings auch schon verhandelt. Für Bremerhaven wiederum werde gerade erst eine Bedarfsabfrage geplant, sagt Frankensteins Stellvertreter Kai J. Steuck.

Seine Dienststelle hilft allerdings in der Regel nicht bei der Wohnungssuche. Man springt aber ein, wenn beispielsweise die Kostenübernahme durch das Jobcenter abgelehnt wird. Grundlage ist eine 14-seitige Verwaltungsanweisung, die unter anderem Richtwerte enthält, welche Wohnungsgrößen und Bruttokaltmieten angemessen sind. Für den alleinstehenden Harald Hoch wären es maximal 50 Quadratmeter und 377 Euro.

Wenn ihm irgendwann doch eine Erdgeschoss-Wohnung vermittelt wird, die noch nicht ganz rollstuhlgerecht ist, könnte er sogar bei der Fachstelle Wohnen "Wohnanpassungsmaßnahmen" beantragen. Darunter versteht die Behörde "alle Maßnahmen baulicher und nichtbaulicher Art, die es dem behinderten/ pflegebedürftigen Menschen erleichtern oder erst ermöglichen, ein weitgehend von fremder Hilfe unabhängiges Leben zu führen". Für Ex-Ingenieur Hoch wären das beispielsweise ein mit dem Rollstuhl unterfahrbarer Herd oder eine hinreichend breite WC-Tür.

Bei der aktuellen Fortschreibung des Bremer Landesaktionsplans der UN-Behindertenrechtskonvention werde "das Handlungsfeld Wohnen wieder sehr berücksichtigt werden", versichert Steuck. "Ich würde sogar eine Garage zum Wohnen nehmen", sagt Hoch, aber das lasse das Baurecht nicht zu. Seinen zweiten Anruf führt er aus der Bahnhofsmission, ein Fuß hat sich entzündet. "Lange kann ich nicht mehr warten", verabschiedet er sich.

Zur Sache

Behindertengerechtes Bauen

Laut Bauressort wird grundsätzlich unterschieden zwischen barrierefreien Wohnungen (etwa für Menschen mit Gehhilfen, Rollatoren etc.) und R-Wohnungen, welche uneingeschränkt mit einem Rollstuhl genutzt werden können. Nach der Landesbauordnung müssen in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar und nutzbar sein. In Gebäuden ab vier bis fünf Geschossen (Oberkante Fußboden bei 10,25 Meter) müssen alle Wohnungen barrierefrei, aber nicht uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar sein. Ab dem 1. Oktober müssen in Gebäuden mit mehr als acht Wohnungen eine und bei mehr als zwanzig Wohnungen mindestens zwei R-Wohnungen vorhanden sein. Im geförderten Wohnungsbau müssen grundsätzlich alle Wohnungen barrierefrei sein.

Grundlage für die Bezeichnungen "barrierefrei" und "rollstuhlgerecht" ist die Deutsche Industrie-Norm DIN 18040. Die Wohnungen sind schwellenlos und haben Mindestmaße an Bewegungsflächen. Es gibt Anforderungen an Türbreiten, Handläufe bei Treppen und Rampen, an Aufzugsanlagen sowie an Sanitärräume. Das ist schon in den Bauunterlagen enthalten. Werden die Vorgaben nicht umgesetzt, liegt keine Baugenehmigung mehr vor.

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