Mit den Slogans "Behindern verhindern" und "Behindert, wenn Du nicht mitmachst" geht der Martinsclub in die Offensive: Auf Plakaten und Straßenbahnen wirbt der größte Träger der Behindertenhilfe in Bremen mit diesen Schriftzügen in Verbindung mit ungewöhnlichen Fotomotiven für die Inklusion, die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen – und fürs Mitmachen.
Der Martinsclub setzt sich seit 1973 für gehandicapte Menschen in allen Stadtteilen ein, unterstützt sie durch viele Leistungen und Hilfsangebote, damit sie so selbstständig wie möglich ein "ganz normales“ Leben führen können. Um diese Bandbreite aufrechterhalten zu können, ist der gemeinnützige Verein auf Unterstützung angewiesen. Er sucht über die Aktion interessierte Menschen für ein finanzielles Engagement durch Mitgliedschaft oder Spende und auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer.
So bunt wie das Leben und "wie wir" sind nach Ansicht von Julia Renke die Möglichkeiten, Menschen mit Behinderung Zeit zu schenken. "Wir sind ganz flexibel und können freiwilligen Helfern unterschiedliche Angebote machen", sagt die Martinsclub-Ansprechpartnerin fürs Ehrenamt, "egal, ob sie einfach mal reinschnuppern oder sich regelmäßig und langfristig einbringen wollen."
Eine große Hilfe wären ihrer Einschätzung nach Menschen, die in ihrer Freizeit die Wohnbereiche besuchen, um mit Bewohnerinnen und Bewohnern zu spielen, spazieren zu gehen oder ihnen etwas vorzulesen. "Wir suchen die Paare immer so aus, dass es beiden Spaß macht", versichert Julia Renke.
Weil der Martinsclub das ganze Jahr über unterwegs ist, werden auch Reisebegleiter für Kurztrips, Tagesausflüge und Freizeiten gesucht. Der Bereich der Freizeitangebote – Kurse oder Ferienprogramme – und Veranstaltungen wie das Sommerfest eignet sich zum Reinschnuppern. Wer indes vielleicht nur eine Aktion unterstützen möchte, den könnte sich Reincke gut für den Verkauf der Wohlfahrtsmarken beim Bremer Weihnachtsmarkt vorstellen. Aktuell sucht sie Menschen mit einem grünen Daumen für das neue Gartenprojekt der Blauhaus-Wohngemeinschaft in der Überseestadt. "Wir wollen auf dem Balkon Hochbeete aufstellen und mit Gemüse bepflanzen", sagt sie zur jüngsten Idee gegen Langeweile.
Dass mancher Student und Jugendliche darüber derzeit klagt, kann Timo Leib nicht verstehen. "Es ist traurig, dass sich so wenig junge Leute ehrenamtlich engagieren", findet der 20-jährige Hemelinger. Er trifft sich seit November 2020 in seiner Freizeit mit dem 36-jährigen Rafael. "Im Haus am Werdersee gibt es viele Werder-Fans. Die finden es toll, wenn mal jemand Jüngeres kommt und mit ihnen Fußball spielt", sagt der Student der öffentlichen Verwaltung.
Über einen ehemaligen Mitschüler hat Timo Leib erfahren, dass der Martinsclub Ehrenamtliche sucht. Durch die Stippvisiten, die der 20-Jährige nun regelmäßig einmal in der Woche einplant, würde er nicht nur andere unterstützen, sondern "sie bringen mir auch ganz viel", sagt er. "Ich sammle viele tolle Erfahrungen, lerne unheimlich viel über Inklusion und stelle fest, dass viele Menschen eine völlig falsche Vorstellung von Menschen mit Behinderungen haben." Sie seien viel eigenständiger als vielfach angenommen und vor allem "was Sozialität angeht unglaublich weit."
Ein Paradebeispiel dafür ist Julia Thomann. Die hilfsbereite 31-Jährige arbeitet in der Martinshof-Werkstatt und im Kindergarten. In ihrer Freizeit legt die selbst gehandicapte Bremerin einmal im Monat bei der Disko die Musik auf und hilft bei der Getränkeausgabe. Ihre Motivation: "Weil mir das Spaß macht, und die Leute sind alle ganz nett."
Der Meinung schließt sich Werner Kreye aus Vegesack gern an. Der 59-Jährige gehört seit fast zehn Jahren zum Martinsclub-Team der ehrenamtlichen Reisebegleiter. Denn in diesem Ehrenamt kann er nach eigener Aussage Menschen helfen, "die immer eine direkte Rückmeldung geben und ehrlich sind", neue Kontakte knüpfen und zugleich Ziele entdecken, für die er sich schon immer interessiert hat.
"Ich habe als Frührentner nach meinem schweren Unfall eine schöne, sinnvolle Beschäftigung gesucht", erzählt Kreye. Vier bis fünf Mal im Jahr begleitet er behinderte Reisegruppen aller Altersstufen bei Reisen innerhalb Deutschlands oder ins Ausland. Auch die anstrengenderen und aufwendigeren ausschließlich für Rollstuhlfahrer gehören dazu. "Ich bin praktisch sprungbereit", sagt der Vegesacker, der auch bei Ausfällen einspringt und fast alle Fortbildungsangebote annimmt, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein.
Nun fiebert Werner Kreye ebenso wie einige Martinsclub-Bewohner dem ersten Reiseziel in diesem Jahr entgegen. "In einer Woche geht's an die Nordsee nach Tossens", verrät der Vegesacker voller Vorfreude und ist erleichtert über die gelockerten Corona-Regeln, die selbstverständlich auch vor Ort streng eingehalten würden.