Werden, Sein und Verlöschen der Erde - und das auf fünf Metern Breite. Der von Bernd Finkenwirth gestaltete "Altar" ist ein Hingucker. "Urwirbels Anlitz" hat der Künstler sein Werk betitelt.
Bernd Finkenwirth steht vor seinem raumgreifenden, dreiteiligen Altar im Obergeschoss vom Kränholm Kunstcafé. Noch sind die beiden Seitenflügel geschlossen und verdecken die Mitteltafel. Die Außenansicht zeigt eine netzartige Struktur, die der Künstler bewusst in unspektakulären Grautönen gemalt hat. So fällt der 250 mal 190 Zentimeter große Altar weniger ins Auge. Aufgeklappt ist das Werk mit dem kryptischen Titel „Urwirbels Antlitz“ jedoch ein absoluter Hingucker, zeigt es doch das Werden, Sein und allmähliche Verlöschen unsere Erde. Und das nunmehr auf einer Breite von fünf Metern.
„Es ist der Lauf der Welt“, sagt der Künstler feierlich, während er die beiden Seitenflügel aufklappt. Sein dreiteiliges Werk in altmeisterlicher Maltechnik präsentiert sich in opulenten Farben: Links das archaische Brodeln der Materie, die sich in einem Planeten zusammenballt, in der Mitte die lichtdurchflutete Entfaltung des Lebens mit Pflanzen, Wolken, Eierschalen, knöchernen Strukturen, Molekülen und Strudeln, rechts eine düstere, verglimmende Landschaft mit etlichen rechten Winkeln, die unzweifelhaft auf die Bauwut des Menschen verweisen.
Perspektive: Auflösung
Traditionelle mittelalterliche Altare zeigen häufig links die Schöpfungsgeschichte, auf der Haupttafel die Kreuzigung und auf der rechten Tafel das jüngste Gericht. „Ich stelle stattdessen den Weltzyklus vom Urknall bis zur Auflösung dar“, erklärt Finkenwirth. Die Botschaft seines Werkes sei die Überzeugung, dass das paradiesische Leben jetzt und heute stattfinde – und nicht etwa in der Zukunft. Er halte es daher für überflüssig, dass „sich die Leute auf Kissen den Hintern platt meditieren, um im Hier und Jetzt zu sein“. „Perspektivisch ist eher Auflösung zu erwarten“, glaubt Finkenwirth.
Zwei Jahre lang hat der gebürtige Ostberliner – inzwischen in Bleyen an der polnischen Grenze ansässig – an den drei Altarbildern gearbeitet. Finanziell unterstützt hat ihn der Nordbremer Kunstmäzen Hans Herbert Saacke. Ohne den Begründer der Stiftung Haus Kränholm hätte der 57-jährige Maler das Werk nicht realisieren können, „denn es hat ja kein kommerzielles Ziel. So was hängt sich ja niemand ins Wohnzimmer“.
Schon lange habe er geplant, ein Triptychon zu kreieren, sagt Finkenwirth. „Die Idee ist über Jahre gereift, das ist nicht aus der Hüfte geschossen.“ Und Hans Herbert Saacke, den er auf Spiekeroog erstmals traf, fand die Idee spannend. „Er hat beschlossen, mich für ein Jahr zu fördern und mir damit die Ruhe ermöglicht.“ Entstanden ist ein „Denk- und Meditationsbild, das aus der Wissenschaft gespeist wird und eine sinnliche Ebene hat“, erzählt Bernd Finkenwirth. Nun hofft er, dass sich ein Käufer findet oder der Altar auf Tournee gehen kann, damit ihn möglichst viele Menschen sehen.
Finkenwirth liest gern naturwissenschaftliche Bücher und beschäftigt sich mit Naturstudien. Auch philosophische Texte und die Bibel fesseln ihn. „Das Alte Testament konnte ich teilweise auswendig“, erzählt er. Während seines Studiums an der Kunsthochschule in Dresden habe er vor allem ungegenständlich gearbeitet und sei damit angeeckt. „Das war politisch problematisch.“ Ohne Examen und ohne Zulassung als Künstler sei es ihm in der DDR Ende der 70er-Jahre nicht möglich gewesen, Bilder öffentlich auszustellen und zu verkaufen.
„Ich habe mich allein jenseits des öffentlichen Programms durchgeschlagen. Das war schwierig, ich musste alle möglichen Jobs annehmen, aber das hat sich bis heute nicht groß geändert“, fügt er hinzu. Inzwischen male er zwar gegenständlicher, „aber mein Stil ist zu eigen – damit können Galerien nicht viel anfangen“. Sein Statement, aktuelle Themen mit selbst angerührter Ei-Tempera und Öl in altmeisterlicher Technik darzustellen, mache ihn zum „Außenseiter im Kunstbetrieb“.
Umso dankbarer ist der Künstler für die Unterstützung aus Bremen-Nord. Und es freut ihn, dass sein Altar bei den Betrachtern so unterschiedliche Emotionen auslöst. „Für einen alten Kunstfreund war zum Beispiel der kleine blaue Balken auf dem rechten Altarteil ein Symbol der Hoffnung“, so Finkenwirth. „Aber auch Leute, die überhaupt keinen Kunstsinn haben, können den Altar lesen.“
Vorbilder für seine Arbeit sind unter anderem die alten Niederländer. „An Rembrandt schätze ich die Hell-Dunkel-Malerei mit der Inszenierung des Lichts. Aber Diego Velázquez ist eher mein Guru“, betont der Maler. Er selbst bringt in alter Manier erst mal eine Zeichnung auf die Leinwand. Auf die untere einheitliche Farbschicht in Ocker trägt er dann Schicht für Schicht zarte lichtdurchlässige Farblasuren in Öl und setzt am Ende Akzente mit weißer Ei-Tempera.
„Ich bin Teil der Tradition, gespeist aus der Vergangenheit“, so der 57-Jährige, aber die Wissenschaft inspiriere zu neuen Themen und Formen. „Alle haben beispielsweise eine Vorstellung, wie es in der Tiefsee aussieht, obwohl niemals jemand dort war.“
Die Ausstellung „Urwirbels Antlitz – Ein Weltbild von Bernd Finkenwirth“ ist noch bis zum 31. Januar im Kränholm Café, Auf dem Hohen Ufer 35 / 35 a, zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr.