„Du, guckst du dir auch mal unser Kunstwerk an?“ Fragend zupft ein Zweitklässler am Ärmel der Journalistin. Die steht im Parterre der Weserburg inmitten von schätzungsweise 500 Kindern und versucht sich bei der Vernissage der Ausstellung „Schau mal ... Land in Sicht“einen Überblick zu verschaffen.
Gar nicht so leicht angesichts einer beeindruckenden Fülle von kreativen Kunstwerken, die jugendliche Künstler aus allen Stadtteilen Bremens und Bremerhavens geschaffen haben. 37 Kinder- und Jugend-Einrichtungen waren an dem Projekt beteiligt. Das ist rekordverdächtig.
Inspiriert von der aktuellen Schau „Land in Sicht / 400 Jahre Landschaftsbilder“ in der Weserburg begleiteten 32 professionelle Künstlerinnen und Künstler ihre jungen Kollegen im Alter zwischen drei und 18 Jahren auf ihren intensiven, kritischen Stadt-Erkundungs-Spaziergängen, deren Ergebnis Landschaftskunstwerke sind. Der Verein Quartier, der vor 25 Jahren gegründet worden ist, hat mit diesem Projekt nicht nur der kooperierenden Weserburg, sondern auch den jungen Künstlerinnen und Künstlern und sich selbst ein Geschenk zum Jubiläum gemacht.
Denkanstöße
Amir Omerovic, der sein Atelier in Woltmershausen hat und mit seinen Schützlingen von der Kinderschule Bremen aus Hemelingen gearbeitet hat, erzählt: „Wir haben uns auf das Thema Umwelt und den Umgang mit der Natur geeinigt.“ In einer großen Gemeinschaftsarbeit wurde von den neun Sieben- bis Zehnjährigen erst mit Farben ein Bremen-Bild gemalt. Das großformatige Duplikat gestalteten die Kinder dann mit im Stadtteil gefundenen Gegenständen und gefundenem Müll. Jedes Kind malte außerdem noch ein eigenes Bild.
Unweit leuchten von einer Fensterbank her eine Reihe von Diorama-Boxen herüber. Die Kinder von der Schule an der Witzlebenstraße in der Neuen Vahr haben sich unter Leitung der Künstlerin Katrin Seithel in der „Land in Sicht“-Ausstellung unter anderem von Franz Radziwills „Der kleine Hafen“ zu acht Dioramen inspirieren lassen. In den kleinen Schaukästen sind beispielsweise ein schwarzer Vulkan oder rosa Flamingos zu sehen, die unter kleinen Papp-Sonnenschirmchen stehen.
Besonders schön sind auch die fantasievoll gestalteten, bunten Pflanzenobjekte in Keramik, die die vier- bis sechsjährigen Kinder der Kita Osterholz (Conpart e.V.) unter der Leitung der Künstlerin Caroline Schwarz geschaffen haben. Die Landschaft zur Bühne machten die 13- bis 15-Jährigen von der Gesamtschule Mitte. Unter der Leitung von Dorit Hillebrecht nahmen sie die in der Weserburg ausgestellten, flächigen Bilder als Vorlage, um in der Stadtteilwerkstatt nach diesem Vorbild dreidimensionale Bühnenbilder anzufertigen.
Ganz außergewöhnlich ist das Projekt „Impromptu der Natur“. Der Komponist Peter Friemer nahm zunächst mit den Kindern von der Kita an der Höhpost in Huchting Geräusche von Enten, Fröschen und Vögeln in der freien Natur auf, um sie dann mit seinen musikalischen Improvisationen zu verweben. Auf Baumstümpfen sitzend können Museumsbesucher diesen besonderen, groovend stampfenden Natursounds über Kopfhörer lauschen. Passend dazu wurde aber mit Pinseln auch visuell ein Klangraum entwickelt. „Begleitet von Trommelrhythmen entwarfen die Kinder mit dynamischen Bewegungen die Landschaften“, erläutert Friemer.
Vorwitzig und von einer gewissen Gesellschaftskritik geprägt sind die Bildhauerarbeiten der Kinder vom Treff Spielhaus und Hort Kita Wischmannstraße in Kattenturm/Huckelriede. Auf einem Fundstück, einem großen Ast, haben sie unter Anleitung des Künstlers Markus Keuler die „Streikenden in der Landschaft“ drapiert, mal in Ton geformt oder in Holz gefräst. Auf diese Weise reflektierten sie, weshalb ihre Erzieherinnen gestreikt hatten. So halten die Figürchen Tafeln in die Höhe, auf denen gefordert wird: „Mehr Umwelt!“ oder „Mehr Geld, mehr gute Laune, mehr Kindergärten!“
„Mehr Kultur!“ ließe sich der Forderungskatalog mühelos ergänzen. Denn Kunst ist zwar schön, macht aber, nach Karl Valentin, auch viel Arbeit und kostet eben auch Geld. Das gilt ebenfalls für die Museumspädagogik. Zwar hat Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) sehr zur Freude von Projektleiterin Andrea Siamis vom Quartier die Schirmherrschaft über das Kinderkultur-Jahresprojekt übernommen und fand bei der Vernissage auch warme Worte für alle Beteiligten: So etwas müsse in dieser Stadt immer möglich sein, trotz Haushaltsnotlage. Geld gibt es von Seiten des Kulturressorts für die museumspädagogische Arbeit der Weserburg indes nicht. Umso lobenswerter, dass eine Reihe von Sponsoren diese Lücke füllt. Allen voran die Wohnungsbaugesellschaft Gewoba, die den Kindern und Jugendlichen die Ausflüge in die Natur und die künstlerische Ausstattung ermöglichte. Und die Sparkasse Bremen prämiert das Kinderkulturprojekt im Ideenwettbewerb „Bremen macht Helden“ mit einer Förderung. Auch das Sozialressort und die Start-Jugend-Kunst-Stiftung Bremen steuerten Mittel bei. „Weserburg goes Tenever“, strahlte bei der Vernissage Peter Friese, der frisch gekürte Direktor der Weserburg. „Diese Ausstellung ist der beste Beweis dafür, dass wir unsere sozialen Aufgaben sehr ernst nehmen und dass die Weserburg in die gesamte Stadt hinein ausstrahlt“. Und an die Jugendlichen gewandt, betonte er: „Ihr habt in diesem Projekt gelernt, die künstlerische Aufgabe als Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu begreifen. Die Weserburg ist der geeignetste Ort dafür“.
Die Ausstellung „Schau mal ... Land in Sicht“ ist in der Weserburg, Teerhof 20, bis Sonntag, 4. Oktober zu sehen: dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr und donnerstags von 11 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei. Zu der Schau werden umfangreiche Mitmachaktionen angeboten. Weitere Infos online unter www.quartier-bremen.de.