Emsiges Gewusel, laute Unterhaltungen, dazwischen ein Martinshorn und alles dicht an dicht: Ein Video, das Harald Lührs im vergangenen Jahr vom Fenster über seinen Laden Buddhawelt gedreht hat, zeigt einen Tag am Wochenende, der im Viertel mittlerweile Alltag ist.
„Was wir schon alles an Müll und Scherben weggefahren haben“, sagt er über seine zusätzliche Arbeit, die er mit seinen Kollegen Rosa Schnackenberg und Klaus Elleringmann verrichten muss. Der prägnante Buddhakopf, der über viele Jahre vor dem Laden die Stellung hielt, muss diese Zustände indes nicht mehr miterleben: Häufig beschmiert und mehrmals umgeworfen, steht er nun in Cuxhaven und schaut auf das Meer.
Dabei möchte Harald Lührs gar nicht so viel meckern, im Viertel sei es schön, sagt er: „Wenn man sich umschaut, freut man sich, wie lebendig das Viertel ist.“ Grundsätzlich sei es nach wie vor lebenswert, meint er, doch er sieht auch die weniger schönen Seiten. Er habe auch gehört, dass viele Menschen am Wochenende aus dem Umland kämen, doch er beobachtet auch, dass sich die Lage ein wenig entspannt: „Die Discos sind auf, es verlagert sich und es ist kühler.“ Und Klaus Elleringmann merkt an, dass die Sperrung des Sielwalls etwas gebracht habe.
Sozialarbeit sei besser als Polizei
Für Harald Lührs steht fest: „Das Viertel verändert sich und wird sich immer verändern. Ich möchte eher damit zitiert werden, dass das Viertel das Viertel bleibt“, sagt er. „Aber die Jugend möchte feiern, das muss man ihr zugestehen. Und nach Corona besonders.“ Jetzt müsse man halt schauen, dass sich alles wieder ein wenig normalisiert, sagt Klaus Elleringmann: „Und die Kneipen und damit die Belebung, das gehört ja auch dazu.“ Eine spontane Lösung für die Probleme kann Harald Lührs nicht nennen. „Eine Sperrstunde ist nicht die Lösung“, wirft Klaus Elleringmann ein, und vielleicht sei mehr Präsenz der Polizei schon ganz gut, meint Harald Lührs. Klaus Elleringmann meint, er finde auch Sozialarbeit, etwa wie es der Verein Vaja eine Zeit lang auf der Discomeile betrieben hat, sinnvoll, was Harald Lührs bestätigt: „So etwas ist fast noch besser als Polizei.“
Ob Sozialarbeit auch gegen die Probleme helfen kann, von denen Anwohnende im Fehrfeld berichten, ist nicht sicher: „Drogenhandel vor der ehemaligen Sparkasse gibt es seit vielen Jahren, doch der ist mehr geworden und auch aggressiver“, berichtet Tilmann Warnke. Seitens der Drogendealer gebe es mittlerweile auch wüste Beschimpfungen – „das gab es früher nicht“, sagt Tanja Hoffmann. Und Anwohner Winfried Dürr sagt: „Drogenhandel und Sexismus ist ein Problem.“ Die Anwohnenden würden lediglich geduldet, sagt Tanja Hoffmann, nichts sei verboten: „Es fahren Autos hier durch und die Dealer liefern an die Wagen – und alle schauen weg.“ Und auch der nächtliche Partyrummel sei mehr geworden, meint Winfried Dürr, was vielleicht auch an Corona liege. Tilmann Warnke berichtet auch von einer Zunahme der Gewalt, von sexuellen Handlungen, die er in seinen Vorgarten bemerkt habe, von der zunehmenden Vermüllung. Alle drei haben den Eindruck: „Man hat das Gefühl, dass man in der Straße mit den Problemen alleine gelassen wird.“ Genau wie die Anwohner der Linienstraße oder des Sielwalls, trifft sich auch die Nachbarschaft im Fehrfeld mittlerweile regelmäßig, um sich über die Probleme vor ihrer Haustür auszutauschen.
Polizei soll in Sparkasse ziehen
Eine mögliche Lösung sieht Winfried Dürr darin, dass die Polizei die leer stehende Sparkassenfiliale beziehen könnte. „Tägliche Polizeipräsenz ist wichtig“, sagt er. Und überhaupt solle hier nicht der Eindruck entstehen, dass man hier machen könne, was man wolle. Mehr öffentliche Toiletten sieht Tilmann Warnke als eine weitere Maßnahme an, mehr und größere Mülleimer oder die Reduzierung der Alkohol-Verkaufszeiten der Kioske. „Es ist die Summe der Maßnahmen, die etwas ausmacht“, sagt er, und wichtig sei auch zu zeigen: „Hier wohnen Leute, die arbeiten. Hier gibt es Regeln.“
Daniel Fries wohnt in der Nähe des Sielwalls und sagt, die Grundstimmung sei so: „Im Viertel geht etwas, das woanders nicht geht.“ Um die Probleme anzugehen, schlägt er ein Stadtteilmanagement vor – „Stadtentwicklung mit der Beteiligung aller“, sagt er. Man sollte sich treffen: Anwohner, Politiker, und miteinander reden. Es müsse ein Ausgleich der Interessen erfolgen, „damit die viel zitierte Buntheit bleibt und nicht grau wird.“ Das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auch im Hinblick auf den demografischen Wandel: „Wie wollen wir denn in 15 bis 20 Jahren wohnen? Bald wird die Hälfte der Bevölkerung über 65 Jahre alt sein. Und es ändert sich auch das Sicherheitsbedürfnis.“ Er findet, es fehle an Zukunftsvisionen. „Es geht darum, eine Balance zu halten. Und wenn die Balance nicht mehr stimmt, kippt das.“
Eine Straßenlaterne für mehr Licht
Ortsamtsleiterin Hellena Harttung sagt im Hinblick auf den Drogenhandel, dass die Polizei gefragt sei, dort stärker den Schwerpunkt zu setzen. „Im Eingangsbereich des Fehrfelds wird eine Straßenlaterne installiert“, erzählt sie. „Das wird nicht die Rettung sein, es ist nachts aber heller.“
Und sie sagt auch: „Mit Bluetooth-Boxen kann mittlerweile Lärm dort gemacht werden, wo zuvor keiner war“ sagt sie, doch Ordnungsdienst und Polizei können Verwarnungen aussprechen und die Geräte notfalls auch einziehen. Ein Erfolg seien die Toiletten am Osterdeich und generell sei die Reinigungsfrequenz am Osterdeich und im Viertel erhöht worden. „Und auch die Sperrung hat etwas gebracht“, sagt sie und verweist auf eine Korrektur des Geltungsbereichs der Sperrung. Der liegt jetzt zwischen Fehrfeld und Ritterstraße mehr stadtauswärts – „das wird die Situation in der Linienstraße und im Fehrfeld hoffentlich beruhigen.“ Und am Sielwall ist die Sperrung nun bis zum Körnerwall hochgezogen worden.
Zudem gehe jetzt ein Awareness-Team der Firma L‘Unità Security seit mehreren Wochenenden durch das nächtliche Viertel. Die Firma ist auch auf der Breminale im Einsatz und bietet Hilfe an und, wenn benötigt, auch einen Rückzugsraum. Sie arbeiten eng mit der Polizei zusammen, aber auch mit der Gastronomie: „Die Gastronomen haben somit einen Ansprechpartner“, sagt Hellena Harttung. „Das alles ist zur Probe, doch die Rückmeldungen der Polizei, der Beiräte und auch der Angesprochenen sind sehr positiv.“