
Der Weg für die Einrichtung einer Inklusionsklasse am Gymnasium Horn ist frei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage von Schulleiterin Christel Kelm gegen eine entsprechende Entscheidung der Bildungsbehörde zurückgewiesen. Die Klägerin hatte geltend gemacht, die Beschulung behinderter Schüler an einem Gymnasium widerspreche der Konzeption dieser Schulform, denn dort würden an Lernfähigkeit und Lerntempo der Kinder besondere Anforderungen gestellt. Mit ihren Bedenken hatte sich Kelm behördenintern zuvor nicht durchsetzen können und deswegen das Verwaltungsgericht gegen den eigenen Dienstherrn angerufen. Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen.
Ende Juni trafen die Prozessparteien vor dem Verwaltungsgericht aufeinander. Das Urteil wurde ihnen erst jetzt zugestellt. Schon in der mündlichen Verhandlung hatten die Richter deutlich gemacht, dass sie Kelms Klage kaum Erfolgsaussichten einräumen. Eine Schulleiterinhabe kein Ermessen, ob sie die Weisungen ihrer vorgesetzten Behörde zur Umsetzung des inklusiven Unterrichts am Gymnasium umsetzt oder nicht. So liest es sich auch im nun vorliegenden schriftlichen Urteil. Die Schulleiterin sei als Beamtin "durch innerdienstliche Weisungen regelmäßig nicht in eigenen Rechten betroffen".
Sie könne daher lediglich verwaltungsintern Bedenken gegen die Recht- und Zweckmäßigkeit angeordneter Maßnahmen äußern. Ein Klagerecht, das über eine solche sogenannte Remonstration hinausgeht, besitze die Schulleiterin nicht. Wichtig auch: "Die Organisationskompetenz zur Entscheidung, an welchen Schulen inklusiver Unterricht eingeführt wird, liegt allein bei der Stadtgemeinde Bremen und wird durch die Senatorin für Kinder und Bildung ausgeübt."
Eindeutiger könnte der Spruch des Verwaltungsgerichts kaum ausfallen, doch ob er Bestand hat, ist noch nicht sicher. Christel Kelms Anwalt Andreas Reich ließ im Gespräch mit dem WESER-KURIER offen, ob seine Mandantin Rechtsmittel gegen das Urteil einlegt. Genugtuung dagegen auf Seiten der Beklagten. "Ich freue mich sehr darüber", sagte Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD). Inklusion sei "eine Frage der Haltung und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die in vielen bremischen Schulen bereits gelebt wird". Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf hätten ein Recht auf Teilhabe. "Dabei geht es nicht darum, dass alle Jugendlichen das Abitur erreichen müssen, sondern auch Werte und Rechte vermittelt bekommen", so Bogedan.
Aus ihrer Sicht geht es nun darum, die schulischen Rahmenbedingungen für die Inklusion weiterzuentwickeln. Fortschritte seien auf diesem Gebiet bereits erzielt worden, etwa durch die Aufstockung des Lehr- und sonderpädagogischen Personals, die Einstellung von Diplom-Reha-Pädagogen und durch den Aufbau des Studiengangs Inklusive Pädagogik / Sonderpädagogik. Bogedan zeigte sich überzeugt, dass die Inklusionsklasse im fünften Jahrgang des Gymnasiums Horn nach den Sommerferien starten kann. Geplant ist, dort einen Klassenverband mit 19 Regelschülern und fünf geistig oder körperlich behinderten Kindern einzurichten. Die notwendigen Umbauarbeiten fänden in den Ferien statt, und "das Personal wird vorhanden sein", versprach die Senatorin.
Das noch nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts wurde am Montag auch in den politischen Parteien aufmerksam registriert. Je nach politischer Couleur bewegten sich die Reaktionen zwischen freudiger Zustimmung und Warnung vor Selbstzufriedenheit bei den Befürwortern der Inklusion. SPD-Bildungspolitiker Mustafa Güngör begrüßte die juristische Niederlage der Schulleiterin. Besonders freue es ihn, dass das Gericht auch inhaltlich Stellung genommen habe und die Einrichtung von Inklusionsklassen generell als rechtmäßig erachte. "Dadurch fühlen wir uns in unserer Haltung bestätigt", so der Sozialdemokrat.
Ähnlich wie für Bildungssenatorin Bogedan geht es nun auch aus Güngörs Sicht darum, "gemeinsam gute Rahmenbedingungen zu schaffen und gemeinsam daran zu arbeiten, dass die Inklusion vor Ort gelingt". Das müsse auch eines der Ziele bei der Weiterführung des Bremer Schulkonsenses sein. Diesen bildungspolitischen Pakt hatten SPD, Grüne und CDU im Jahr 2009 geschlossen, um den Schulen im kleinsten Bundesland Planungssicherheit zu verschaffen. Die Verständigung, die zum Beispiel einen Bestandsschutz für die acht Bremer Gymnasien vorsah, läuft im kommenden Jahr aus. Die SPD hatte die CDU, aber auch FDP und Linke bereits im März zu Gesprächen über eine Fortsetzung des Schulkonsenses eingeladen.
Für die Linke begrüßte Fraktionschefin Kristina Vogt das Urteil genauso uneingeschränkt wie Bildungsressort und SPD. Es "gehe nun allerdings darum die Ausstattung der Schulen so voranzutreiben, dass Inklusion auch gelingen kann", so Vogt. "Hier besteht nach wie vor Handlungsbedarf.“ Für den CDU-Bildungsexperten Thomas vom Bruch löst das Urteil des Verwaltungsgerichts noch kein Problem in der Praxis. Das "Triumphgeheul insbesondere der SPD-Fraktion über das Gerichtsurteil" sei deshalb "völlig fehl am Platz". Vom Bruch beklagte: "Die Bedingungen für eine erfolgsversprechende und gelingende Inklusion haben sich auch nach der Klageabweisung nicht verbessert."
+++ Zuletzt aktualisiert am 9. Juli um 20.03 +++
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