Mit überkreuzten Waden, ihren Händen im Schoß und einem aufmerksamen Blick sitzt Wibke Schumann neben dem Fenster im Behandlungsraum. Sie strahlt Selbstbewusstsein aus und lächelt. Auf die Frage, welchen Stellenwert Weihnachten für sie hat, antwortet die Zahnärztin für Oralchirurgie achselzuckend und sagt: "Keinen." Was nicht heißt, dass der Begriff Nächstenliebe für sie nicht von Bedeutung ist. Im Gegenteil, Schumann reist zweimal pro Jahr nach Indien und Afrika, um Kinder dort kostenfrei zu behandeln. Und beschenkt sich damit so ganz nebenbei auch selbst. „Ich empfinde es als großes Geschenk, so vielen Kindern helfen zu können.“
Während sie das so erzählt, schweift ihr Blick immer wieder zur Collage an der Wand. Dort tummeln sich viele Eindrücke aus ihrer Zeit in Indien: Schumann im "dental room", Fotografien der indischen Kinder des Heimes, Patienten während der Behandlung sowie Bilder von Krokodilen und Salamandern. Die indische Fauna finden Patienten auch in der Praxis in Findorff: Über dem Behandlungsstuhl sind Krokodile an der Decke angebracht. "Das hier ist das indische Behandlungszimmer, nebenan ist das afrikanische. Dort sind statt der Krokodile, Elefanten an der Decke und eine Collage aus meinen Einsätzen in Afrika", erklärt Schumann.
14 Einsätze hat die Zahnärztin insgesamt schon begleitet. Ihren ersten 2016 in Namibia, damals noch mit dem Verein "Zahnärzte ohne Grenzen". Zweimal pro Jahr für jeweils zwei Wochen ist sie ehrenamtlich unterwegs, entweder in Indien oder in Afrika. Vier Wochen, in denen sie auf Einnahmen verzichtet. Und alle Kosten trägt.
Schumanns indische Familie
"Wenn man erst mal mit so was anfängt, wissen Menschen, dass man so was macht", sagt Schumann mit einem Lächeln. Dörte und Andreas Bölts seien so auf sie aufmerksam geworden, das Ehepaar betreibt in Indien das ISA Childrens Home. "Alles, was wir da machen, ist aus eigener Tasche", betont Schumann. In dem Kinderheim leben 25 Mädchen. "Die gehen zur Privatschule, bekommen eine Ausbildung, Liebe und Zahnpflege", erklärt Schumann das Konzept des Kinderheimes. Bezahlt wird alles mithilfe von Spenden. Schumann sei jedes Jahr einmal vor Ort, der Kontakt bleibe auch dann bestehen, wenn sie in Deutschland sei. "Das ist meine indische Familie", sagt Schumann. Gibt es vor Ort zahnärztliche Probleme, helfe sie schon mal mit Tipps per SMS oder Mail.

Wibke Schumann bei der Behandlung eines Hochzeitsgastes gemeinsam mit der angehenden Zahnärztin Lisa. Beide Frauen tragen einen Sari, traditionelle indische Bekleidung. Direkt nach der Behandlung ging es zurück zur Hochzeitsparty.
Für die Menschen in Indien sei die zahnärztliche Behandlung ein Luxusgut und nicht bezahlbar. Der Behandlungsraum im "dental room" sehe ähnlich aus wie in der Praxis in Findorff. Mit einem Zahnarztstuhl, an dem ein kleines Spülbecken, Licht und das Tablett mit den Instrumenten befestigt ist. "Wenn Sie dann die Praxis im Heim betreten, ziehen Sie Ihre Schuhe aus und klettern den Zahnarztstuhl von hinten hinauf", lacht Schumann.
Ihr Einsatz in Togo, Afrika
Neben ihrem regelmäßigen Einsatz im indischen Kinderheim hilft Schumann auch im afrikanischen Togo. Von dort kehrte sie Ende November zurück, es war ihr letzter Einsatz in diesem Jahr. Unterstützt wird das Projekt in Togo von der Bremer Norddeutschen Mission, die Zahnarztpraxis im Krankenhaus wird laut Schumann von einem Verein in Hamburg betrieben. Dort habe Schumann auch die Patienten behandelt. "Dort treffe ich immer andere Leute. Die sehen, dass die Praxis besetzt ist und kommen, wenn sie gerade Zahnschmerzen haben", sagt sie.

Bei einem Besuch im Waisenhaus in Kpalime, einer Siedlung im afrikanischen Togo, untersucht Wibke Schumann die Zähne des Jungen Mausi.
Auf das Projekt in Togo ist Schumann durch den Arzt-Kollegen Lür Köper aufmerksam geworden. Dieser habe viele Einsätze dort mitgemacht. "Das erste Mal, als ich nach Togo gefahren bin, war das mit ihm zusammen", erinnert sich Schumann.

Wibke Schumann bei der Behandlung einer Patientin in der Praxis im Hospital Bethesda in Agou Nyogo 2023. Begleitet wurde sie unter anderem von ihrer Zahnarzthelferin Dea Furriko.
Ein Generationen-Traum geht in Erfüllung
Den Wunsch, in die Entwicklungshilfe zu gehen, sei ihr praktisch in die Wiege gelegt worden. "Bei uns hieß es nicht, dass es aussieht wie bei Hempels unterm Sofa, sondern wie in Lambarene", erinnert sich die 50-Jährige an die Sprüche im Elternhaus. Zur Einordnung: In Lambarene befindet sich das Tropenkrankenhaus, das von Albert Schweitzer 1913 gegründet wurde. Schumanns Eltern sind beide Ärzte und hatten immer das Ziel, eines Tages Einsätze im Ausland zu begleiten. Doch dazu sei es nie gekommen. "Sie hatten kleine Kinder, trennten sich früh und hatten zwei Praxen", erklärt Schumann. Stellvertretend für ihre Eltern setzt sie den Wunsch in die Tat um und erfüllt sich damit auch ihren eigenen Traum. "Wer nicht mit Herzblut und Leidenschaft dabei ist, nimmt nicht an solchen Einsätzen teil", weiß Schumann.
Das alles funktioniere nur, weil sie eine Gemeinschaftspraxis habe. Die Auslandseinsätze liefen neben ihrem Urlaub. Begleitet wird sie dabei von einer Zahnarzthelferin. Da gelte in der Praxis das Motto: Freiwillige vor. "Da kann man niemanden hindrängeln, die müssen von sich aus Lust drauf haben", sagt sie. Bei ihrem Einsatz in Togo im November wurde sie von ihrer Zahnarzthelferin Dea Furriko begleitet – schon zum zweiten Mal. Die Lust, anderen Menschen freiwillig zu helfen, scheint in der Praxis sehr groß zu sein.