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Özlem Ünsal im Gespräch "Wohnungsbau ist eine zutiefst soziale Frage"

Der Bremer Senat ist seit 100 Tagen im Amt. Neu dabei: Özlem Ünsal von der SPD. Was ist ihre Startbilanz an der Spitze des Bau- und Verkehrsressorts?
10.10.2023, 05:00 Uhr
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Von Jürgen Hinrichs

Frau Ünsal, 100 Tage im Amt - hat die neue Bausenatorin in Bremen mittlerweile eine feste Bleibe?

Özlem Ünsal: Ich bin bisher ganz zufrieden mit meiner Übergangsunterkunft im Viertel und habe mir ganz bewusst die Zeit der Wohnungssuche genommen, um einen nachhaltigen Eindruck von unserer Stadt und seinen Stadtteilen zu gewinnen. Das war gut und richtig. Hinter mir liegen frische Besichtigungstermine und ich bin zuversichtlich, dass die Richtige bald dabei ist.

Merken auch Sie, wie schwierig es geworden ist, in der Stadt eine annehmbare Wohnung zu finden?

Der Bremer Wohnungsmarkt ist sehr gefragt, und das spüren alle, die sich in bestimmten Preissegmenten auf die Wohnungssuche machen. Auch ich nehme gerade aktiv Anteil an diesen Erfahrungen vieler Menschen, die sich gleichzeitig auf eine Wohnung bewerben. Ich trete bei meiner Wohnungssuche ganz bewusst nicht als Senatorin auf. Das schafft besondere Einblicke für mich. Gerade wenn es um bezahlbaren Wohnraum – vom unteren bis ins mittlere Segment geht – gibt es eine enorme Nachfrage. Bremen bleibt eine attraktive und nachgefragte Stadt und steht bei Miete oder Kauf von Immobilien immer noch vergleichsweise gut da. Dennoch dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass viele Menschen kaum Chancen am freien Wohnungsmarkt finden. Hier greift unser öffentlicher Wohnraum.

Müsste der Senat gegen den Mangel an Wohnungen nicht mehr tun, als sich lediglich vorzunehmen, die Voraussetzungen für neue Einheiten zu schaffen? Damit ist noch keine einzige Wohnung gebaut.

Wohnungsbau ist und bleibt eine zutiefst soziale Frage. Sich im Koalitionsvertrag die Zielmarke zu setzen, in den nächsten vier Jahren die planerischen Grundlagen für 10.000 neue Einheiten zu schaffen, ist deshalb richtig und macht die politische Schwerpunktsetzung des Senats deutlich. Wir werden zudem alle Möglichkeiten im Rahmen unserer Instrumente und Förderprogramme ausschöpfen, um tragfähige Lösungen für das bezahlbare Wohnen anzubieten. Hierzu werden wir noch in diesem Jahr eine Novellierung der Landesbauordnung angehen und dabei alle Möglichkeiten ausnutzen, um das Bauen im Land Bremen einfacher, schneller und wirtschaftlicher zu gestalten. Unsere Wohnraumförderung werden wir nachjustieren, um den Erfordernissen der Zielgruppen gerecht zu werden. Die Entwicklung unserer Quartiere und unserer Innenstadt bleibt ebenfalls stark in meinem Fokus, mit dem Ziel, sie sicher, sauber und lebenswert weiterzuentwickeln. Bremen soll das Land der starken Quartiere werden.

Bremen besitzt die Brebau und als Mehrheitsgesellschafter auch die Gewoba. Wäre das nicht ein geeigneter Hebel? Die beiden Unternehmen könnten viel mehr noch als bisher ins Bauen kommen.

Sie sagen es, Brebau und Gewoba sind schon tatkräftig dabei. Ich möchte, dass wir unsere Wohnungsbaugesellschaften Gewoba, Brebau und Stäwog weiter stärken, um auf neue Entwicklungen rechtzeitig proaktiv reagieren zu können. Fest steht, dass unsere kommunalen Wohnungsbaugesellschaften im Land Bremen ein richtiges Pfund sind, um das uns andere Kommunen beneiden. Bremen hat nicht den Fehler gemacht, seine Wohnungsbauunternehmen zu verkaufen. Das zahlt sich jetzt aus.

Ob öffentlich oder privat gebaut wird – alle Beteiligten stöhnen nicht nur über die gestiegenen Zinsen, hohe Baustoffpreise und Fachkräftemangel, sondern genauso über die vielen Auflagen. Ist der besonders strenge „Bremer Standard“ ein fataler Hemmschuh?

Wir stehen zu unseren Standards, jedoch erfordert der aktuelle Druck am Wohnungsmarkt von allen Beteiligten eine Neujustierung des sozialen Anspruchs. Deshalb teile ich den Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dass mit der Einführung des Gebäudeenergiegesetzes sichergestellt wird, Neubauten ab 2024 klimafreundlich zu heizen und aktuell deshalb von Bund und Ländern nicht mehr die Dringlichkeit gesehen wird, den neuen Standard EH 40 in dieser Legislatur einzuführen.

Spannend, zu welcher Seite die Waage ausschlägt und wie sehr speziell die Grünen bereit sind, beim „Bremer Standard“ Kompromisse einzugehen.

Die Koalition muss sich dazu verhalten. Für mich steht außer Zweifel, dass wir beim Bauen und Modernisieren schneller und effizienter werden müssen. Ich werbe für einen gemeinsamen und tragfähigen Weg, der uns nicht lahmlegt, sondern Antworten auf die soziale Frage unserer Zeit liefert.

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Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war, die Wohngeldstelle neu zu formieren, um den Bearbeitungsstau aufzulösen. Ist das gelungen?

Um die Bearbeitung der Anträge auf Wohngeld zu beschleunigen, haben wir eine Verwaltungsvereinbarung auf den Weg gebracht und seitdem den Rückstand signifikant gesenkt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten mit großem Engagement und Motivation am Abbau des Staus. Ihnen gilt mein großer Dank. Innerhalb weniger Wochen ist es uns gelungen, den Rückstand von 7500 Anträgen auf 5200 zu reduzieren. Das Ziel, bis Anfang 2024 auf null zu kommen, werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit erreichen.

Kommen wir zuletzt zu Ihrer Aufgabe als Verkehrssenatorin. Wie sind Sie eigentlich in der Stadt unterwegs, mit dem Dienstwagen?

Ich bin überwiegend zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs – selten auch mit dem Dienstwagen. Privat besitze ich zwar ein Auto, habe es aber in meiner alten Heimat Kiel stehen gelassen. Bremen entdecke ich bevorzugt zu Fuß und nutze aktiv mein Deutschland-Ticket.

Kein Auto, kein Parkproblem. Worauf will ich hinaus?

Lassen Sie mich raten: Auf die Brötchentaste?

. . . genau.

Sie kommt zurück, und zwar sehr bald. Überall dort, wo es die Brötchentaste gab, wird es wieder möglich sein, für den schnellen Einkauf kostenfrei zu parken. Es dauert allerdings noch wenige Wochen, bis die 78 Parkautomaten mit der entsprechenden Software ausgestattet sind. Die Kosten hierfür bleiben überschaubar. Wir rechnen fest damit, dass die Brötchentaste zu Beginn des Weihnachtsgeschäfts wieder in Betrieb geht. Das ist ein Baustein unseres Versprechens, die Verkehrswende für alle Beteiligten in Balance zu halten.

Das Gespräch führte Jürgen Hinrichs.

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Zur Person

Özlem Ünsal (49)

wurde in der Türkei geboren und wuchs in Lübeck auf. Sie hat in Kiel Politikwissenschaften, Soziologie und Psychologie studiert. Nach verschiedenen Tätigkeiten in den Bereichen Zuwanderung und Integration saß Ünsal zwischen 2017 und 2022 für die SPD im Landtag von Schleswig-Holstein. Dort war sie unter anderem Sprecherin für Wohnungs- und Städtebau ihrer Fraktion.

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