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Am Bremen-Stand Wie die Immobilienbranche bei der Expo-Real mit der Krise umgeht

Am Bremen-Stand auf der Expo Real: Wie die Immobilienbranche beim großen Treffen in München mit der Krise umgeht - und was Bremer Unternehmer dazu sagen.
06.10.2023, 05:00 Uhr
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Wie die Immobilienbranche bei der Expo-Real mit der Krise umgeht
Von Jürgen Hinrichs

"Klassenfahrt“, sagt einer im Flieger von Bremen nach München, und stimmt, so ist das immer beim Besuch der Expo Real, Europas größter Immobilienmesse, die an diesem Freitag nach drei Tagen zu Ende geht. Man kennt sich, pflegt ein gewisses Grundvertrauen und kommt deshalb schnell ins Gespräch. Gute Voraussetzungen, um gemeinsam die Wunden zu lecken, denn der Branche geht es schlecht, sehr schlecht. Bremen ist davon nicht ausgenommen, hat aber den Vorteil, dass viele Großprojekte schon lange am Laufen sind und, wie es aussieht, auch zu Ende gebracht werden. Das Bundesland mischt mit während der Messe und hat einen eigenen Stand. Wie ist die Stimmung? Was geht noch, und was nicht mehr?

Rolf Specht und Klaus Meier, zwei Großmogule unter den Projektentwicklern in Bremen, stecken am Stehtisch die Köpfe zusammen. Beide sind in der Überseestadt engagiert: Specht mit seinen Wohnungsbauplänen auf dem Gelände von Rickmers-Reismühle. Meier im Megaformat auf der sogenannten Überseeinsel, zu der die ehemalige Kellogg-Fabrik gehört. Besonderen Spaß können sie daran gerade nicht haben – angesichts vierfach höherer Zinsen als zu Beginn der Vorhaben, deutlich gestiegener Baupreise und schwächelnder Nachfrage beim Erwerb von Immobilien. Eine Gesamtsituation, die nicht wenige Entwickler bereits in die Insolvenz getrieben hat, darunter sehr potente.

Tal der Tränen? „Nein“, sagt Specht, „das haben wir 2008 nach der Lehman-Pleite und der anschließenden weltweiten Finanzkrise erlebt. So schlimm ist es dieses Mal nicht.“ Klar, die Investoren, vor allem die großen Fondsgesellschaften, würden abwarten, „man guckt sich an, was passiert“. Doch neben dieser Zurückhaltung spüre er auch einen gewissen Optimismus.

Meier, der sich am Bremen-Stand mit süßen Köstlichkeiten versorgt hat, die darauf warten, verzehrt zu werden, spricht von einer „unglaublichen Unsicherheit“. Einerseits. Andererseits wundert er sich: „Ich hatte die Stimmung auf der Expo Real viel düsterer erwartet und wollte hier eigentlich Licht und Farbe reinbringen.“ Muss er also gar nicht so unbedingt. Meier grinst, während er das sagt, ein Mann der guten Laune, immer für einen Schalk zu haben. „Wir lassen uns nicht beirren“, betont der Unternehmer, schiebt aber nach, dass ihn die Zahlen in den Büchern schon beschäftigen, „da kneife ich manchmal einfach die Augen zu“.

Die Expo Real ist seit 25 Jahren das Hochamt der Immobilienwirtschaft. Für Leute wie Specht und Meier geht kein Weg an ihr vorbei, auch wenn es dieses Mal kaum Abschlüsse geben dürfte. 1850 Aussteller haben sich nach Messe-Angaben registrieren lassen, nur eine Handvoll weniger als in den Vorjahren. Das zeigt, worauf es jetzt offenbar ankommt: Den Kopf raus aus dem Sand, sich vergewissern, wie den anderen zumute ist, ausloten, wohin der Hase läuft, wenn er denn eines Tages wieder loshoppelt.

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Ein Bremer Makler, der zu den Stammgästen zählt, hat die Expo Real nach seinen Worten früher als Haifischbecken wahrgenommen. „Das ist dieses Mal nicht so, alle sind friedlich, fast demütig“, sagt er. Zwar sei die Gräte der Krise halbwegs aus dem Hals, es gebe einen Gewöhnungseffekt, aber den Elan, sich auf Neues zu stürzen, spüre er nicht. Ratlosigkeit, und vielleicht die Einsicht, das Engagement vorübergehend woanders zu parken: „Manche Projektentwickler wenden sich jetzt stärker der Verwaltung ihres Bestands zu“, beobachtet der Makler.

Kristina Vogt, Bremens Wirtschaftssenatorin, hat es vor vier Jahren, als sie das erste Mal die Expo Real besuchte, noch anders erlebt: „Das war damals ein einziger Boom“, erinnert sie sich. Nun seien die Vorzeichen völlig andere, wenngleich sich Bremen bislang recht gut gehalten habe.

Vogts Wirtschaftsförderer von der WFB haben vor wenigen Tagen einen Marktbericht abgeliefert, der nicht glücklich macht, aber auch keine Trübsal verbreitet. „Hier entwickeln viele lokale Akteurinnen und Akteure mit Augenmaß ihre Projekte – was für ein stabiles Ergebnis in ausgesprochen schwierigen Zeiten sorgt“, fasst WFB-Chef Andreas Heyer den Bericht zusammen. Die Akteure sind solche wie Specht und Meier, aber zum Beispiel auch Kurt Zech mit seinen jüngst bezogenen Neubauten am Kopf des Europahafens in der Überseestadt und Christian Jacobs mit seinem sogenannten Balgequartier zwischen Obern- und Langenstraße in der Innenstadt.

Vogt mahnt zur Eröffnung des Bremen-Stands, den Verlauf der Krise genau im Auge zu behalten: „Es ist schön, dass bei uns abgearbeitet wird, was einmal begonnen wurde, wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass kaum noch etwas nachkommt“, erklärt die Linken-Politikerin. Sie hat eine Vorstellung, wie das anders werden könnte und teilt sie mit ihrer neuen Kollegin im Senat, die ebenfalls nach München gereist ist: „Wir müssen schneller, effizienter und wirtschaftlicher bauen, ohne das Ziel aus den Augen zu verlieren, es auch klimafreundlich zu tun“, sagt Özlem Ünsal (SPD). Das ist ihr Mantra an diesem Tag auf der Messe, sie trägt es überall hin. 

Zum Beispiel zu Christian Gaebler, dem Berliner Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. Gaebler sitzt am Messestand seines Bundeslands und empfängt die Gäste aus Bremen. Neben Ünsal sind Wirtschaftssenatorin Vogt und andere hochmögende Herrschaften aus den Behörden an der Weser. Ein Austausch, von dem nur die etwas haben, die ganz nah dran sitzen, es summt und braust in Halle B2, ein Geräuschpegel, der mehr oder weniger nur Zwiegespräche möglich macht.

Gaebler, ein SPD-Mann, liebt offenkundig das offene Wort. Als Ünsal von der Bauministerkonferenz anfängt, dass sie Gaebler dort kennengelernt habe, tut der Senator die Konferenz als „verschnarcht“ ab. Er beklagt den mangelnden Tatendrang, die vielen Auflagen beim Bauen und die langen Planungszeiten. „Die Umweltämter setzen oft noch eins drauf, mit dem Ergebnis, dass wir uns selbst ausbremsen“, so Gaebler. Die Genehmigungspraxis müsse unbedingt verschlankt werden. „Wir brauchen mehr Pragmatismus!“ Kopfnicken bei Ünsal und Vogt. Und als der Senator erzählt, dass Berlin dabei ist, ein „Schneller-bauen-Gesetz“ auf den Weg zu bringen, zeigt die Bremer Seite größtes Interesse: Her damit!

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Der Bund hat wegen der Krise vorerst darauf verzichtet, die Energievorgaben beim Wohnungsbau noch einmal zu verschärfen. Geplant war das ursprünglich. Für Ünsal ist die Absage, den Gebäudestandard EH 40 einzuführen, das richtige Signal: „Die Standards müssen insgesamt runter. Der Bund macht es vor, die meisten Länder folgen, und Bremen wird kaum durchhalten können, es nicht zu tun.“ Vogt sieht das genauso, kein Blatt zwischen den beiden, zumindest in dieser Frage nicht.

Die Wirtschaftssenatorin nennt ein Beispiel – die Idee, nach dem Forschungs- und Technologiezentrum Ecomat am Bremer Flughafen, das sich unter anderem mit dem Thema grünes Fliegen beschäftigt, eine zweite Einrichtung dieser Art zu schaffen: „Wenn wir bei den bisherigen Verfahren bleiben, benötigen wir für Ecomat 2 sechs bis acht Jahre. Bis dahin ist der Wasserstoffzug abgefahren. Ohne uns.“ Sie sei außerdem der Meinung, nicht für jede Gewerbeimmobilie einen Architekturwettbewerb ausloben zu müssen. Eine Spitze gegen Senatsbaudirektorin Iris Reuther, die auf der Messe zum Ünsal-Gefolge gehört.

Die beiden Senatorinnen machen das Auswärtsspiel in München zu einem Heimspiel, ausgetragen im Bremer Senat. Der Gegner sind die Grünen in der Koalition, auch wenn Ünsal und Vogt das so nie sagen würden. Denn selbst wenn SPD und Linke sich einig sind, das Bauen zu vereinfachen, die Grünen haben sie nur dann auf ihrer Seite, wenn es gleichzeitig keine Abstriche geben sollte, dem Klimawandel auch im Gebäudesektor entgegenzuwirken. Fraglich, ob das gelingen kann; der Streit ist programmiert, zum Beispiel bei der anstehenden Neufassung der Landesbauordnung und dem Fortbestand des besonders strengen und erst ein Jahr alten „Bremer Standards“.

Doch zunächst die Freuden zum Ausklang des Tages, abseits von Krisen-Gebimmel und drohenden politischen Zwistigkeiten zu Hause: „Bremen-Abend“ im Paulaner am Nockherberg. Der hat schon Tradition, ist immer zünftig, und warum auch nicht? Eine Maß auf die Messe! Vielleicht auch zwei.

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