Die Bremer Bildungsbehörde hat in den vergangenen Jahren offenbar mindestens eine weitere schwarze Kasse unterhalten, in der Geld geparkt wurde, um es im Bedarfsfall abrufen zu können. Das ist das Ergebnis eines Zwischenberichts der Rechtsberatungsfirma KPMG Law. Sie war im Sommer von Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) eingeschaltet worden, nachdem irreguläre Finanzströme zwischen der Behörde und dem Verein Stadtteilschule aufgedeckt worden waren. Auch im neuen Fall, der den Inklusionsbetrieb Martinsclub betrifft, geht es um einen Millionenbetrag.
Nach bisherigem Kenntnisstand funktionierte das System der schwarzen Kassen beim Martinsclub in ähnlicher Weise wie beim Verein Stadtteilschule. Er beschäftigt im Auftrag der Bildungsbehörde Aushilfslehrkräfte für Bremer Schulen und erhält dafür entsprechende Zahlungen. Die Stadtteilschule bezog allerdings über einige Jahre deutlich mehr Geld, als ihr für die erbrachten Leistungen zustand. Diese Überzahlungen wuchsen nach und nach zu einem Finanzpolster von rund neun Millionen Euro heran, die auf Konten des Vereins gehortet wurden. Weder zahlte er die zu viel erhaltenen Mittel zurück, noch stellte das Bildungsressort Rückzahlungsansprüche. Das Geld war schlicht als stille Reserve des Bildungsressorts beim Verein geparkt. Die neun Millionen Euro steckten gewissermaßen in einer illegalen Spardose der Behörde – denn normalerweise dürfen die Senatsressorts keine Haushaltsmittel über mehrere Jahre hinweg anhäufen. Über die schwarze Kasse bei der Stadtteilschule verschaffte sich das Bildungsressort also finanzielle Beinfreiheit, die sonst nicht gegeben gewesen wäre.
Gleiches soll nun beim Martinsclub passiert sein. Die Einrichtung mit Sitz im Buntentor erbringt für das Bildungsressort Leistungen im Bereich der inklusiven Beschulung behinderter Kinder und Jugendlicher. Mitarbeiter des Martinsclubs betreuen sie im Klassenraum und helfen ihnen im Schulalltag. Im laufenden Haushaltsjahr bekommt der Martinsclub dafür von der Bildungsbehörde 3,4 Millionen Euro. Nach Informationen des WESER-KURIER hat die Behörde der Einrichtung jedoch in den vergangenen Jahren insgesamt rund 1,8 Millionen Euro zu viel bezahlt. Wie bei der Stadtteilschule wurde das Geld vom Martinsclub lange Zeit nicht zurück überwiesen und von der Behörde auch nicht zurückgefordert. Und wieder besteht der Verdacht, dass die Überzahlungen kein Zufall waren, sondern dem Aufbau einer weiteren illegalen Finanzreserve galten. Die Unregelmäßigkeiten fielen jetzt den Prüfern von KPMG Law auf, als sie sämtliche Finanzbeziehungen des Bildungsressorts mit externen Vertragspartnern aus den vergangenen Jahren durchleuchteten. Der Vorstand des Martinsclubs, Thomas Bretschneider, wollte sich auf Anfrage nicht näher äußern. Aus seiner Sicht sei der Vorgang inzwischen abgeschlossen, erklärte Bretschneider. Von der Bildungsbehörde war keine kurzfristige Stellungnahme zu erhalten.
Die zentrale Frage, der auch die Staatsanwaltschaft nachgeht, lautet: Wer hat das mutmaßliche System von schwarzen Kassen eigentlich aufgezogen? Wessen Plan war es, durch gehortete Millionen außerhalb des Behördenhaushalts finanzielle Spielräume zu schaffen, die bei Bedarf angezapft werden könnten? Fest steht: Die Praxis der überzahlten und nicht zurückgeforderten Gelder fällt in die Amts- und fachliche Zuständigkeit der früheren Staatsrätin Arnhild Moning. Sie verstarb im Juni. Moning war vor ihrer Staatsratszeit Referatsleiterin für Haushaltsfragen im Bildungsressort. In der Behörde gehen führende Akteure davon aus, dass die einstige Spitzenbeamtin das System ohne eigene Bereicherungsabsicht aufgebaut hat. Nach außen wird dieser Verdacht nicht offen kommuniziert. Man will den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, bei der inzwischen auch die Vorgänge beim Martinsclub angezeigt wurden, nicht vorgreifen. Oberstaatsanwalt Frank Passade sagte dem WESER-KURIER, die Untersuchungen seien noch nicht abgeschlossen.
Bei der strafrechtlichen Bewertung der Vorgänge wird es auch um die Frage gehen, ob der öffentlichen Hand überhaupt ein Vermögensschaden entstanden ist. Schließlich sind die Millionenbeträge zwar in falsche Kanäle geraten, aber nicht veruntreut worden – die Gelder sind inzwischen gesichert und stehen dem Haus von Senatorin Aulepp wieder zur Verfügung. Allerdings stellen die Vorgänge den behördeninternen Abläufen kein gutes Zeugnis aus. Offenbar gab es in der Bildungsbehörde jahrelang kein funktionierendes Controlling der Finanzflüsse und der ordnungsgemäßen Verwendung von Haushaltsmitteln.