- Was ist das Besondere an dem Projekt?
- Welche Ergebnisse hat es hervorgebracht?
- Wie haben sich Einstellungen von Coronaleugnern verändert?
- Welche Untersuchungsergebnisse sind besonders?
- Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den Erkenntnissen ziehen?
Die Corona-Pandemie hat die Menschen näher zusammengebracht. Erwachsene Kinder haben sich verstärkt um ihre hochbetagten Eltern gekümmert. Die große Mehrheit der Menschen hat Masken getragen, um sich und andere vor der Übertragung des Virus zu schützen. Die Corona-Pandemie hat die Menschen aber auch entzweit und die Gesellschaft vor Zerreißproben gestellt. Coronaleugner und Impfgegner haben mobil gemacht, von Armut gefährdete Menschen haben stärker unter der Pandemie gelitten als gut situierte Familien.
Eine Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Frontiers in Sociology“ beschäftigt sich mit der Frage, ob die Pandemie den sozialen Zusammenhalt verstärkt oder geschwächt hat. Unter dem Titel „Die Pandemie und der soziale Zusammenhalt rund um den Globus“ sind jetzt wichtige Aufsätze und Forschungen zu dem Thema online gebündelt worden. Federführend dabei waren zwei Forscher der Constructor University in Bremen-Nord, die Sozialwissenschaftlerin Mandi Larsen und ihr Kollege Georgi Dragolov. Wir haben mit Mandi Larsen über die wichtigsten Erkenntnisse gesprochen.

Die Pandemie hat das Gute und das Schlechte an den Menschen zum Vorschein gebracht – wie hat es sich auf den Zusammenhalt der Gesellschaft ausgewirkt?
Was ist das Besondere an dem Projekt?
„Das Besondere ist, dass wir erstmals ganz viele Daten aus mehreren Phasen der Pandemie und aus mehreren Ländern zusammenführen konnten“, sagt Larsen. Es geht um acht Studien aus Deutschland, Österreich, Russland und Chile sowie länderübergreifende Befragungen. Eine Untersuchung über die Situation älterer Menschen zum Beispiel vereint Ergebnisse aus den Befragungen von 45.000 Menschen aus 27 Ländern, eine andere hat sich mit den sozialen Auswirkungen von Corona bei über 20.000 Kindern in 18 Ländern auf der ganzen Welt befasst.
Welche Ergebnisse hat es hervorgebracht?
Die erste Erkenntnis scheint unbefriedigend zu sein. „Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob die Pandemie das gesellschaftliche Miteinander fördert oder diesem schadet, gibt es nicht“, sagt Larsen. Trotzdem hätten die Forschungen wichtige Ergebnisse geliefert.
Mit der ideologischen Polarisierung hat sich zu 24 verschiedenen Zeitpunkten eine Studie aus Österreich in den Jahren 2020 und 2021 beschäftigt. Eine Feststellung: Nachdem zunächst alle Gruppen die Corona-Maßnahmen der Regierung als geeignet angesehen hatten, änderte sich diese Einschätzung mit der Zeit zunächst bei links- und rechtsorientierten Menschen. Sie empfanden die Maßnahmen als zu extrem. Später, als die Pandemie nach und nach beherrschbarer schien, änderten auch gemäßigte Gruppen ihre Einstellung und bewerteten Maßnahmen als zu streng. „Das zeigt uns, dass sich Einstellungen über einen Zeitraum ändern können“, sagt Larsen.
Wie haben sich Einstellungen von Coronaleugnern verändert?
„Die Gruppe der Coronaleugner ist nicht gewachsen, wie eine deutsche Studie zeigt“, sagt Larsen, die Gruppe sei vergleichsweise überschaubar geblieben. Auch wer dazu neigt, die Pandemie zu leugnen oder zu verharmlosen, können die Forscher nun belegen: Es sind Menschen mit wenig Vertrauen in Institutionen, die politischen Entscheider und die Medien.
Welche Untersuchungsergebnisse sind besonders?
„Mich hat die Langzeitstudie aus Chile beeindruckt“, sagt Larsen. Zwischen 2015 und 2021 haben Forscher dort die Meinung von Menschen über Migranten erfragt. Ergebnis: Vor der Pandemie war die Einstellung gegenüber Migranten positiver als nach dem Ausbruch des Virus. Migranten wurden während der Pandemie zunehmend als Überträger der Krankheit gesehen, vor allem dort, wo es einen Mangel an Bildung und einen hohen Ausländeranteil gibt.

Vor allem in der Anfangsphase der Corona-Pandemie war die Hilfsbereitschaft der Menschen groß. Allerdings stößt die Solidarität auch irgendwann an Grenzen.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den Erkenntnissen ziehen?
Die Welt ist völlig unvorbereitet von der Pandemie getroffen worden. „Es gab nirgendwo eine Pandemiepolitik“, sagt Larsen. Jetzt haben Staaten, Regierungen und Gesellschaften Erfahrungen gesammelt, wissen besser, was auf sie zukommen kann. Am Beispiel Armut lassen sich nun Handlungsanweisungen ableiten. „Wir wissen jetzt, dass auch wenn wir Solidarität mit den Armen zeigen“, sagt Larsen, „der Zusammenhalt an Grenzen stößt.“ In diesem Fall ist die Politik gefordert, Risiken, die aus der Armut resultieren, abzufedern. „Jeder Mensch kann helfen“, sagt Larsen, „aber es ist ein gesellschaftliches Problem.“