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Ausstellung "Bremer Grenzgang" geplant Wie professionell sind Polizisten und Retter?

Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten kommen immer wieder in Grenzsituationen. Sollen aber trotzdem stets professionell reagieren. Eine neue Ausstellung in Bremen soll ihnen dabei helfen.
13.12.2021, 06:28 Uhr
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Von Ralf Michel Sabine Doll

Polizei und Rettungskräfte werden zur Diskomeile gerufen, eine Schlägerei unter Partygästen. Ein Verletzter liegt am Boden, die Situation, die Stimmung ist aufgeheizt. Immer mehr Partygäste kommen dazu, filmen mit Handys das Geschehen, beschimpfen und bedrohen Retter und Polizeibeamte. Szenenwechsel: Ein Obdachloser, betrunken und verletzt, liegt auf einer Mauer. Es ist nicht das erste Mal, dass Rettungskräfte den Mann in diesem Zustand vorfinden. Eingenässt und Erbrochenes auf der Kleidung. Sie prüfen, ob er ansprechbar ist. Ist ein Anstupsen mit dem Fuß gegen den Schuh des Mannes respektlos? Was gebieten Haltung und Respekt bei der persönlichen Ansprache? Der nächste Einsatz: Ein Verkehrsunfall, unter den Opfern ist ein kleines Kind. Die Wiederbelebungsmaßnahmen sind nicht mehr erfolgreich. Das Kind stirbt.

Grenzsituationen, in die Retter, Polizeibeamte und Feuerwehrkräfte regelmäßig geraten. Dennoch: Sie müssen funktionieren, ihre Arbeit machen. "Das ist die erwartete Professionalität. Aber wie gehen sie mit diesen besonderen psychischen Belastungen selbst um? Wie wirken sich Belastungen, Beschimpfungen, Bedrohungen und Übergriffe auf den inneren Wertekompass aus?", fragt Jürgen Lehmann.

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Mit diesen Fragen beschreibt der Geschäftsführer des Bremer Landesverbands des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) ein Projekt mit dem Titel "Bremer Grenzgang", das sich zunächst an Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten richtet. In einer Art Ausstellung sollen sie in Kleingruppen über Grenzsituationen ins Gespräch kommen. "Über Einsatzverläufe, besonderes Verhalten im Umgang mit schwierigen Personengruppen, über Erfahrungen mit Tod, Gewalt, Sexismus, Rassismus", zählt Lehmann auf. "Darüber, wie man ganz persönlich damit umgeht, ob sich unerwünschte Verhaltensweisen als Folge daraus in den Berufsalltag einschleichen – ob man noch auf dem richtigen Pfad ist."

"Es gibt immer wieder die Situationen, in denen man Menschen nicht mehr helfen kann. Nach vielen Berufsjahren wird das häufig nicht mehr reflektiert, auch weil man vielleicht glaubt, dass das ein Zeichen von Unprofessionalität ist", ergänzt ASB-Pressesprecher Julian Thies. "Es ist aber nicht cool, auf hart zu machen. Das gilt für alle Berufsgruppen, die solche Grenzsituationen erleben."

Die Initiative für das Projekt geht auf Carsten Roelecke zurück, Leiter des Präsidialstabs der Bremer Polizei und ehrenamtlich stellvertretender Landesvorsitzender des ASB. Der stieß in einer Zeitung auf die Ausstellungskombination "Grenzgang" und "Kraftraum" des Landesinstituts der Polizei in Selm/Nordrhein-Westfalen. Roelecke ist begeistert von dem dort verfolgten doppelten Ansatz. Einerseits greift die Ausstellung Situationen aus dem Arbeitsalltag der Polizei auf. Schwierige, unangenehme, belastende Situationen, die die Polizisten an die Grenzen ihres Berufes führen. Andererseits werden sie im "Kraftraum" an persönliche Kraftquellen erinnert. "Dort geht die Perspektive nach vorn, richtet sich auf das, was einem Halt gibt und Kraft im Leben."

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Die Beispiele im "Grenzgang" sind mit Fragen an die Betrachter verbunden: "Wie fühlen Sie sich dabei, welche Gedanken haben Sie?", wird zum Beispiel bei Bildern gefragt, die Polizisten im Hambacher Forst zeigen, die Uniformen beschmiert mit Fäkalien, die die Baumbesetzer auf sie geworfen haben. Natürlich sei man als Polizist auch mal fassungslos, frustriert oder wütend, sagt Roelecke. Aber dann kommt die nächste Frage der Ausstellung: "Könnten Sie diese Gedanken auch öffentlich im Fernsehen vertreten?" Man werde auf die eigene Professionalität zurückgeführt, müsse sich fragen, ob man noch angemessen und respektvoll mit dem Gegenüber umgeht. Und gelange so automatisch zu der Frage, ob der eigene innere Wertekompass noch stimme, mit dem man doch einst bei der Polizei angetreten war. "Selbstreflektion, aber ohne mahnenden Zeigefinger." 

Als er in Bremen von der Ausstellung erzählt habe, sei er auf großes Interesse gestoßen, berichtet Roelecke. Als Träger für das Projekt konnte der ASB gewonnen werden. Damit verbunden die Idee, "da etwas richtig Großes für Bremen draus zu machen". Also nicht wie in Selm nur für die Polizei, sondern auch für Feuerwehr und Rettungsdienste im Land Bremen, und in einem weiteren Schritt vielleicht auch für interessierte Bürger.

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In der zweiten Hälfte kommenden Jahres soll das "Projekt für ethische Bildung" an den Start gehen. "Aktuell sind wir noch auf der Suche nach einem Gebäude", sagt Lehmann. Ein erster Grundriss liegt vor ihm auf dem Tisch: Mehrere Räume zu Themen wie Ethik, Respekt, Würde oder Belastungen soll es geben, in denen sich die Besucher auf ihren persönlichen Grenzgang begeben. Das soll anhand konkreter Fallbeispiele passieren, die Polizisten, Feuerwehr- und Einsatzkräfte auch selbst liefern – und die dann in dem Ausstellungsgebäude etwa als Filme, Erzählungen, Tonaufnahmen, Bilder und an interaktiven Stationen gezeigt werden. 

Schirmherr des Projekts ist Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Er spricht von einem "Leuchtturmprojekt". Polizist zu sein, sei zwar ein ungemein sinnstiftender und erfüllender Beruf, betont Mäurer. Zugleich aber eben auch verbunden mit ständig neuen Herausforderungen,  menschlichen Abgründen und extremen Zumutungen. „Um sich im Laufe der Zeit nicht zu verhärten oder Vorurteilen gegen bestimmte Gruppen zu erliegen, braucht es deshalb ein klares, inneres Koordinatenkreuz." Es gelte, diese inneren Widerstandskräfte bei den Betroffenen mehr als bisher zu stärken. Das Grenzgang-Projekt böte ihnen einen geschützten Raum, um "selbst zu überprüfen, wo sie nach drei, fünf oder 20 Jahren Polizeidienst stehen und wie sich ihr Menschenbild womöglich verändert hat".

Zur Sache

Der Kraftraum

Herzstück des geplanten "Bremer Grenzgangs" ist der letzte Themenraum der Ausstellung: der Kraftraum. Dort sollen die Einsatzkräfte an einem Tisch zusammenkommen, über die Grenzsituationen sprechen und darüber, wie sie Kraft schöpfen können. Der Kraftraum soll so gestaltet sein, dass er Stärke und Kraft mit auf den Weg gibt. Bei dem Vorreiter-Projekt im nordrhein-westfälischen Selm beginnt das beim Betreten des Raums: Ein Kies-Steinteppich auf dem Boden, Fototapeten mit Motiven aus der Natur an den Wänden. Auf Monitorwürfeln laufen Animationen von potenziellen Kraftquellen.

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