Eine Umfrage unter 425 Notfallsanitätern und Rettungsassistenten des Deutschen Roten Kreuz (DRK) gab Anlass zur Besorgnis: Danach hatte jeder von ihnen im Jahr 2019 mindestens einmal verbale oder körperliche Gewalt erlitten. Bei fast jedem Fünften kamen Beschimpfungen und Beleidigungen sogar mehrfach pro Woche vor. In Bremen und umzu kommen Übergriffe auf Rettungskräfte unterschiedlich häufig und intensiv vor.
Beim hiesigen DRK-Kreisverband verzeichnet man eher selten verbale Übergriffe oder gar physische Gewalt. „Wenn, dann ist es Spucken“, sagt Sprecher Lübbo Roewer. In diesem Jahr sei bislang eine einzige Rettungsdienst-Besatzung körperlich angegriffen worden. Doch das mag auch daran liegen, dass Großveranstaltungen oder Nachtleben corona-bedingt nicht stattfinden. Zu Übergriffen kommt es laut Roewer auffallend oft dann, „wenn die Menschen in Gruppen feiern“. An Wochenenden passiere das zumeist auf der Discomeile in der Nähe des Hauptbahnhofs. Fast immer sei Alkohol im Spiel, wenn es zu Ausfällen gegenüber Rettungskräften komme.
Eskalationen nicht ortsabhängig
Grundsätzlich seien solche Eskalationen aber weder orts- noch gruppenabhängig, betont Christian Patzelt von der Feuerwehr Bremen: „Eine solche Situation kann sich tagsüber auf dem Bahnhofsvorplatz ergeben, aber auch nachts in einer Wohnung im gutbürgerlichen Wohnumfeld.“
Bei Rettungseinsätzen agiert die Feuerwehr auch als Auftraggeberin für die Hilfsorganisationen DRK, Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) und Malteser-Hilfsdienst (MHD). Attacken auf Rettungskräfte werden seit Mitte 2017 mit einem differenzierten Meldeverfahren dokumentiert. Die so erfassten Fallzahlen bewegen sich im einstelligen Bereich pro Jahr, sagt Patzelt.
Allerdings müsse man auch von einer höheren Dunkelziffer ausgehen. Im Einsatz seien die Rettungskräfte eben aufs Retten fokussiert, da würden Pöbeleien oder Schubsereien oft kaum wahrgenommen und folglich auch später nicht gemeldet. Andererseits gebe aber auch immer wieder Kollegen, die vor allem durch tätliche Angriffe regelrecht traumatisiert würden, sagt Patzelt. „Für die Betroffenen ist es absolut unverständlich, warum gerade sie, die doch mit dem Auftrag und der Absicht des Helfens in einer Notsituation an die Einsatzstelle gerufen wurden, mit Ablehnung konfrontiert werden.“ Deshalb bemüht man sich bei der Feuerwehr, solche Vorkommnisse mit den Betroffenen aufzuarbeiten. Manchmal werden dazu auch externe Fachleute hinzugezogen. „Ergänzend werten wir diese Fälle aus, um Erkenntnisse in die Aus- und Fortbildung unserer Kräfte einfließen zu lassen.“
Nicht immer gehen die Attacken von alkoholisierten oder anders berauschten Menschen aus. Die Täter sind in drei Viertel der Fälle die Patienten selbst, heißt es in der bundesweiten DRK-Studie. Und auch bei der Feuerwehr Bremen bestätigt man: Die Übergriffe können vom Patienten selbst oder von dessen Angehörigen ausgehen, genauso gut aber auch völlig unvermittelt aus einer Gruppe heraus, die sich an einer Einsatzstelle versammelt. Die Gründe sind offenbar vielfältig: „Das umfasst Aspekte wie Angst und Unbeholfenheit der Angehörigen, das Vorliegen einer irrealen Erwartungshaltung, wie Feuerwehr und Rettungsdienst nach subjektivem Empfinden handeln sollten“, berichtet Patzelt.
Manchmal sei es aber auch schlicht „eine vorliegende Grundaggressivität“. Das geht offenbar nicht erst am Einsatzort los, sondern schon am Telefon. Zunehmend würden die Sachbearbeiter in der Leitstelle schon „im Zuge der Notrufannahme mit Respektlosigkeit konfrontiert“. Viele Kollegen nähmen dies inzwischen als „alltägliche Einsatzbegleiterscheinung“ hin, sagt Patzelt.
Dennoch bemüht man sich, die Rettungskräfte auf die zunehmende Verrohung vorzubereiten. Beim Deeskalationstraining des DRK werden vor allem Kommunikationswege trainiert. „Körpersprache und verbale Sprache sollen beruhigend wirken“, erklärt Lübbo Roewer. Dem aggressiven Gegenüber soll signalisiert werden: „Ich will nichts von Dir“. Das Training findet jährlich im Rahmen der Fortbildung für den Rettungsdienst statt – aktuell allerdings nicht, wegen der Corona-Pandemie.
Feuerwehr-Sprecher Christian Patzelt sieht nicht nur die Dienste selbst, sondern auch die Gesellschaft in der Pflicht. Zum einen müssten die Motivation und das Grundverständnis der Einsatzkräfte verdeutlicht werden. Ebenso wichtig sei aber auch „die konsequente Verfolgung und Ahndung angezeigter Fälle durch die Strafverfolgungsbehörden“.
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