Die Situation ist neu, das kennen die Grünen noch nicht. Das erste Mal, dass es in der Frage, wer bei den Wahlen zur Bürgerschaft die Spitzenkandidatur übernimmt, keine klare und schnelle Antwort gibt. In den vergangenen 15 Jahren war das immer nur mit dem einen Namen verbunden: Karoline Linnert. Die Finanzsenatorin und Bürgermeisterin galt für den ersten Platz auf der Wahlliste als gesetzt. Doch das ist im Vorfeld der Wahl im Mai kommenden Jahres nicht mehr der Fall. Zwar hat sich noch niemand erklärt, auch Linnert nicht. Dass die 59-Jährige aber nicht mehr unangefochten ist, bestreitet niemand bei den Grünen.
Es gibt eine zweite Frau in der Partei, die sich das zunutze machen könnte: Maike Schaefer, Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bürgerschaft. Der 46-Jährigen werden Ambitionen nachgesagt, als Spitzenkandidatin in den aufkeimenden Wahlkampf zu ziehen. Die Personalie gilt als richtungsweisend bei den Grünen, die nach den massiven Stimmenverlusten bei der Wahl im Jahr 2015 und erkennbaren Abnutzungserscheinungen als Regierungspartei schon lange auf der Suche nach einem neuen Profil sind.
Offiziell verhält es sich so: Bis Pfingsten will sich der Grünen-Landesvorstand entscheiden, wen er seiner Partei als Spitzenkandidatin vorschlägt. Dass es eine Frau wird, steht fest, dafür sorgt die Quote. „Wir streben eine Lösung im Konsens an“, sagt Grünen-Vorsitzender Ralph Saxe. Gespräche habe es bislang sowohl mit Linnert als auch mit Schaefer gegeben. Infrage käme aus dem Spitzenpersonal der Partei auch Sozialsenatorin Anja Stahmann. Sie soll aber frühzeitig abgewinkt haben.
Das letzte Wort in der Angelegenheit haben im Dezember die Mitglieder der Grünen. In der Regel ist das aber eine Formalität, jedenfalls was den ersten Platz auf der Liste angeht. Höchst unwahrscheinlich, dass so spät eine Spitzenkandidatin abgesägt wird, auf die bis dahin der Wahlkampf ausgerichtet war. Eigentlich sollte bereits zum vergangenen Jahreswechsel feststehen, wer im Ringen um die Gunst der Wähler das Gesicht der Grünen sein wird. Die Entscheidung wurde auf Ostern verschoben, zuletzt auf Pfingsten. Ein Zeichen, wie schwer sich die Partei tut und wie sehr diese Frage mit der strategischen Ausrichtung für die nächsten Jahre verquickt ist.
Linnert kann Erfolge vorweisen
Die Grünen waren lange Zeit treuer Partner der SPD und sind das bis heute. Dass dieses Bündnis nach der Wahl Bestand hat, ist wegen der schlechten Umfrageergebnisse beider Parteien aber unwahrscheinlich geworden. Bei den Grünen wird davon ausgegangen, dass es für die Regierungsbildung entweder eine Große Koalition von SPD und CDU gibt oder eine Dreierkonstellation, an der mit Glück sie selbst beteiligt wären. Parteichef Saxe hält solche Überlegungen für müßig, jedenfalls dann, wenn sie in der Öffentlichkeit angestellt werden: „Wir kämpfen für eine Bestätigung von Rot-Grün, alles andere ist Kaffeesatzleserei.“
Rot-Grün – dafür steht ohne Zweifel Karoline Linnert. Sie hat im Regierungs-geschäft wenig Probleme mit der SPD und pflegt gute Kontakte zum Bürgermeister, zuerst zu Jens Böhrnsen, jetzt zu Carsten Sieling. Spötter bezeichnen die Finanzsenatorin gerne als grün lackierte Sozialdemokratin. Linnert steht für eine strikte Konsolidierung des Haushalts und hat damit in der Vergangenheit große Erfolge erzielt. Zusammen mit Sieling und im Gleichschritt mit anderen Bundesländern erreichte sie eine Neuordnung im Ausgleich der Länderfinanzen, mit dem Ergebnis, dass Bremen ab dem Jahr 2020 deutlich mehr Geld zur Verfügung hat.
Mit dem Verkauf der Bremer Landesbank (BLB) gelang es ihr, einen schweren Klotz am Bein loszuwerden. Das Problem mit der notleidenden Bank haben jetzt die Niedersachsen und mussten sogar noch etwas dafür bezahlen. Allerdings war es auch Linnert, die als Aufsichtsratsvorsitzende der BLB große Verantwortung dafür trug, dass das Institut wegen fauler Schiffskredite überhaupt erst in diese prekäre Lage geriet. Die CDU hatte aus diesem Grund in der Bürgerschaft einen Misstrauensantrag gegen die Senatorin gestellt, blieb damit aber ohne Erfolg.
Schaefer steht für Kernthema Umwelt
Linnerts alles in allem gute Bilanz, begünstigt durch eine lange Niedrigzinsphase, ist aber nicht unbedingt etwas, was auf das Konto der Grünen einzahlt. Solide Finanzen, schön und gut, die Gene der Partei sind aber andere, Umwelt zum Beispiel und Klimaschutz. Für diese Themen steht die promovierte Biologin Maike Schaefer. Anders als Linnert, die sich zur Frage der Spitzenkandidatur vor der Entscheidung des Landesvorstands nicht äußern will, lässt Schaefer sich auf ein Gespräch ein. „Zurzeit beschäftigen wir uns erst einmal mit dem Wahlprogramm“, sagt sie. Ihre Partei müsse sich auf eine Zäsur vorbereiten: „Für Rot-Grün wird‘s nicht mehr reichen.“
Ideen und Gedankenspiele, mit welchen Leuten die Grünen bei der Bürgerschaftswahl ins Rennen gehen, gebe es natürlich – „am Ende wird aber die Partei entscheiden“. Stress oder Streit hinter den Kulissen kann Schaefer nach eigenen Worten nicht erkennen. Ob sie sich als Spitzenkandidatin bewerben wird, lässt die Abgeordnete offen: „Auf jeden Fall habe ich das Interesse, auf einem der ersten vier Plätze zu landen.“ Das sind Ränge, auf denen es eng wird, seitdem die Grünen beschlossen haben, jüngeren Bewerbern mehr Chancen zu geben, in die Bürgerschaft einzuziehen. Ihnen werden auf der Wahlliste die Plätze fünf und sechs garantiert. Da ist das Gerangel ganz oben zwangsläufig groß, zumal drei Senatoren untergebracht sein wollen.
Die Krux der Grünen ist, dass sie einen Neuanfang wagen müssen, die Vergangenheit aber nicht entwerten wollen. Karoline Linnert ist eine Frau mit großen Verdiensten. Mehr zum Wohle des Landes allerdings und weniger der Partei. Um die Grünen hat sich Linnert wenig gekümmert, in der Fraktion ist sie als harsch und rechthaberisch verschrien. Trotzdem: Jagt man so jemanden vom Hof? Und was ist mit Maike Schaefer? Ist sie in der Lage, als Senatorin eine Behörde zu führen, sollten die Grünen wieder an die Macht kommen? Das Herz der Partei mag sie stärker ansprechen als Linnert. Aber reicht das?
So wogt es hin und her. Der Landesvorstand muss diesen Prozess steuern und moderieren. Viele bei den Grünen trauen ihm das nicht zu. Er ist zu schwach, heißt es. Doch sollte das so sein, hätte die Partei noch ein anderes Problem als die Besetzung der Spitzenkandidatur.