Frau Leonidakis, keine Verschärfung, aber eine genaue Auslegung des Ortsgesetzes und mehr Tempo bei den Hilfsangeboten für Wohnungslose und Drogenabhängige: Sind Sie zufrieden mit dem Kompromiss?
Sofia Leonidakis: Ich freue mich, dass nun verstärkt auf die Schaffung von Alternativen gesetzt wird. Dass man sich die Ursachen und die Bedarfe ansieht, ohne weitere Verdrängung. Die Möglichkeiten des Ortsgesetzes sind ja jetzt schon relativ weitreichend. Die Polizei, die ich übrigens rund um den Bahnhof nicht als Hardliner wahrnehme, kann ja Platzverweise erteilen, und sie macht das auch. Zentral ist für uns, dass auch die Belange von Wohnungslosen Beachtung finden. Wir hören teilweise Klagen darüber, dass Platzverweise häufig relativ schnell erteilt werden und für eine lange Zeit gelten. Ein Hauptbahnhof als zentraler Ort mit viel Durchgangsverkehr ist aber gerade für Menschen, die auf Almosen angewiesen sind, wichtig.
Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Situation am Hauptbahnhof verändert?
Sie hat sich verschärft. Ich nehme das allerdings nicht nur am Hauptbahnhof wahr, sondern auch zum Beispiel an den Wallanlagen, wo insbesondere die offene Drogenszene verstärkt sichtbar war. Das spiegelt wider, dass während der Pandemie Angebote für Obdachlose geschlossen werden mussten. Gleichzeitig verstärkt eine Situation wie die aktuelle, psychische Probleme, wodurch wiederum auch der Drogenkonsum zugenommen hat. Und dafür brauchen wir Lösungen, die die Probleme an der Wurzel angehen und nicht nur das Symptom bekämpfen, dass sich suchtkranke oder obdachlose Menschen am Hauptbahnhof oder in den Wallanlagen aufhalten.
An was für Lösungen denken Sie?
Das fängt bei kleinen Dingen wie öffentliche Toiletten an, und es geht bis hin zu großen Fragen, wie man Wohnungslosigkeit grundsätzlich vermeiden kann. Verunreinigungen werden am Bahnhof immer wieder beklagt, und das auch zu Recht. Die öffentliche Toilette ist aber nur von 9 bis 13 Uhr geöffnet. Dass jetzt die Öffnungszeiten der Toilette und des Szenetreffs zeitnah ausgeweitet werden sollen, ist gut und wichtig. Darüber hinaus sollte der Szenetreff attraktiver, sprich größer sein als bisher. Die Ausweitung der Straßensozialarbeit und Schaffung weiterer Angebote der Drogenhilfe begrüßen wir sehr. Das alles kann aus meiner Sicht zu einer Entspannung an den Haltestellen führen – und hätte gerne schon früher kommen können. Es braucht aber auch Toleranzflächen.
Was verstehen Sie unter diesem Begriff?
Die Erfahrung ist, dass Vertreibung nicht funktioniert. Es geht bei Toleranzflächen um Möglichkeiten der Übernachtung mit einem Minimum an Versorgung zum Beispiel für diejenigen, die wegen ihrer Hunde oder aus anderen Gründen keinen Platz in den Unterkünften bekommen oder annehmen wollen. Sie schlafen jetzt unter Brücken, befürchten Übergriffe, Vertreibung oder den Verlust ihrer persönlichen Gegenstände. Es braucht zudem Unterkünfte, die auch Hunde aufnehmen, Schließfächer und für obdachlose Frauen niedrigschwellige Angebote wie eine Notschlafstelle. Auch tagsüber brauchen obdachlose ebenso wie Drogen konsumierende Menschen öffentliche Bereiche, wo sie sich aufhalten können. Man kann sie ja nicht einfach nach dem Motto ,Aus den Augen, aus dem Sinn' entfernen, auch sie sind Teil der Gesellschaft. Das heißt nicht, dass ich es gut finde, wenn sie auf der Haltestellenbank sitzen und die ältere Damen neben sich stören.

Sofia Leonidakis (Linke) ist seit 2015 Abgeordnete der Bürgerschaft.
Wie könnte eine Toleranzfläche realisiert werden?
Bis Februar 2019 gab es eine am Güterbahnhof, die nach einem Unfall und mehreren Bränden aus Sicherheitsgründen geschlossen wurde. Seitdem wurde keine Alternativfläche benannt. Ende des Jahres haben die Beiräte Findorff, Mitte und Schwachhausen einen Beschluss für Toleranzflächen gefasst, den wir jetzt auf unserem Landesparteitag aufgegriffen und ebenfalls einen entsprechenden Antrag beschlossen haben. Was die Umsetzung angeht, wären zuerst die Ressorts Soziales, Stadtentwicklung und Finanzen gefordert, zu schauen, welche Flächen zur Verfügung stehen. Bei allen Hilfsangeboten ist wichtig, dass sie zusammen mit den Menschen entwickelt werden, die sich dort aufhalten sollen. Nur wenn die Orte akzeptiert werden, können sie auf Dauer funktionieren.