Zehn Fälle möglicher Kindeswohlgefährdung sind dem Landesjugendamt in diesem Jahr bekannt geworden. Das teilt Aygun Kilincsoy, Büroleiter der Senatorin für Kinder und Bildung, Sascha Aulepp (SPD), mit. Dabei sei mit einer „deutlich höheren Dunkelziffer zu rechnen“, sagt Kilincsoy. „Eine statistische Erhebung und Auswertung der Meldungen zu besonderen Vorkommnissen erfolgt seit Herbst 2022.“ Deshalb sei ein Vergleich zum Vorjahr nicht möglich. Statistisch erhoben werden demnach „besondere Vorkommnisse in Bezug auf Übergriffe von Fachkräften auf Kinder sowie Aufsichtspflichtverletzungen“.
Liege eine Meldung vor, fordere die Behörde eine Stellungnahme des Kita-Trägers ein. „Danach findet in der Regel ein Beratungsgespräch zwischen Träger und Landesjugendamt statt“, erläutert Kilincsoy das Verfahren. „Von diesen beiden Faktoren hängt der weitere Prozess ab.“ Fälle aus der Vergangenheit seien zwar im Einzelfall dokumentiert worden, „sind aber nicht statistisch auswertbar“.
Körperliche Züchtigungen und Zangsfütterungen
In Niedersachsen wurden nach Angaben des regionalen Landesamtes für Schule und Bildung in Lüneburg im vergangenen Jahr 393 Meldungen an das Landesjugendamt registriert. Das sind 63 Meldungen mehr als im Jahr 2021. Zahlen aus dem laufenden Jahr gibt es aus Niedersachsen noch nicht. Die Statistik für 2022 erfasst körperliche Züchtigungen, Isolation und Einsperren von Kindern, Zwangsfütterung, verbale oder sexuelle Übergriffe. In 93 Fällen ging es um mangelhafte Aufsicht, wenn Kinder untereinander übergriffig waren.
„Zehn Fälle im Land Bremen, das ist ein sehr kleines Hellfeld, wir gehen von viel mehr aus“, sagt Jana Rump, kommissarische Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Bremen. Die Angaben aus dem Kinderressort beziehen sich auf sämtliche, mehr als 320 öffentlichen Kindertageseinrichtungen im Land Bremen. Das sind laut Homepage der Senatorin Krippen, Spielkreise und Betriebskindergärten. Die Einrichtungen werden vom städtischen Eigenbetrieb Kita Bremen oder beispielsweise von Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbänden und Elternvereinen getragen. Die Träger haben eine gesetzliche Meldepflicht an das Landesjugendamt, die die Mitteilung „besonderer Vorkommnisse, die geeignet sind, das Wohl der Kinder in der Einrichtung zu gefährden“, einschließt.
Viele Anfragen beim Bündnis für Kinderschutz
Unter Beschäftigten von Kitas in Bremen „ist das ein Thema, und das nicht zu knapp“, sagt Jana Rump. Das Bremer Bündnis für Kinderschutz, dem das Mädchenhaus Schattenriss, das Bremer Jungenbüro, das Kinderschutzzentrum und das Mädchenhaus angehören, habe „sehr viele Fachberatungsanfragen von engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“. Im vergangenen Jahr habe es 208 Anfragen allein im Kinderschutzzentrum gegeben, 40 davon betrafen den Bereich der Kindertagesstätten, 32 die Schulen, weitere bezogen sich Rump zufolge auf Flüchtlinge und das Amt für soziale Dienste. Eine übergreifende Statistik der Beratungsstellen, sagt Rump, gebe es nicht.
Vor dem Hintergrund des 2021 in Kraft getretenen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes seien die Kita-Träger sensibilisiert für mögliche Kindeswohlgefährdungen, wird im niedersächsischen Kultusministerium vermutet. Auch Einrichtungen der Bremer Kinder- und Jugendhilfe arbeiten mit an der Erstellung sogenannter Schutzkonzepte, die laut Jana Rump im Oktober vorliegen müssen. Allerdings, kritisiert die Kinderschutzbund-Geschäftsführerin, „werden viele Einrichtungen damit allein gelassen, weil es keine Refinanzierung gibt“.
Diese „Schutz- und Interventionspläne“ sollen sehr konkrete Fragen beantworten: „Hat das Kind Gelegenheit, sich Hilfe zu holen? Darf ich das Kind anfassen? Dürfen Kosenamen verwendet werden? Das betrifft nicht nur pädagogische Kräfte, sondern beispielsweise auch Hauswirtschaftskräfte“, sagt Rump. „Die Frage ist: Wie wird es zur Haltung, wie kommt es in die Köpfe? Das kann nicht nur von oben vorgeschrieben werden.“
Die Ombudsstelle für die Kinder- und Jugendhilfe im Land Bremen (Bebee) vermittelt Hilfen, wenn Eltern oder Kinder Probleme mit dem Jugendamt und anderen Behörden haben. „Der Kita-Bereich gehört noch nicht so lange dazu“, sagt Tania Hellberg vom Bebee. „Als Anlaufstelle haben wir da noch keine Erfahrung.“ Markus Westermann, Bezirksgeschäftsführer der Gewerkschaft Verdi, beklagt indessen den hohen Druck auf Kita-Beschäftigte, die unter Personalmangel und Überlastung litten. Jana Rump vom Kinderschutzbund spricht ebenfalls von einer grundsätzlichen Überforderung der Fachkräfte in den Einrichtungen. „Die Menschen kommen an ihre Grenzen.“ Das leiste Hilflosigkeit und „unguten Erziehungsmethoden“ Vorschub. „Ich gehe davon aus, dass zunehmend Gewalt in Einrichtungen vorkommt."