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Von Solarzellen-Pflicht bis zu grünem Stahl Das sind die Empfehlungen der Klimaschutz-Kommission

Auf fünf großen Feldern haben die Abgeordneten und externe Fachleute beraten, wie die Klimaschutzziele in Bremen zu erreichen sind. Wir haben ihre wichtigsten Empfehlungen zusammengetragen.
17.12.2021, 17:13 Uhr
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Das sind die Empfehlungen der Klimaschutz-Kommission
Von Joerg Helge Wagner

18 Monate lang haben auf Initiative der CDU neun Abgeordnete der Bürgerschaft und ebenso viele externe Sachverständige beraten, was Bremen dazu beitragen kann, Erderwärmung und Klimawandel zu bremsen. In einem 370 Seiten starken Abschlussbericht werden zu fünf Sektoren Vorschläge für politische Maßnahmen gemacht. Zudem hat man sich mit der Finanzierung befasst. In allen Bereichen soll Bremen nach Aussage des Kommissionsvorsitzenden Martin Michalik (CDU) ausdrücklich national wie international eine Vorbildfunktion einnehmen.

Energie- und Abfallwirtschaft

Angestrebt wird ein Kohleausstieg schon 2023. Falls bis dahin nicht sämtliche Kohlekraftwerke abgeschaltet werden können, soll die Landesregierung Gaskraftwerke als Übergangslösung einrichten – möglichst schon so, dass sie später ohne Weiteres mit Wasserstoff betrieben werden können. Das Kraftwerk in Farge soll möglichst schnell auf Biomasse (Altholz) umgestellt werden.

Die Windkraftanlagen sollen bis 2030 auf eine Kapazität von 300 Megawatt und in weiteren Schritten auf bis zu 400 Megawatt ausgebaut werden. Dazu sollen unter anderem neue Windkraftanlagen in Gewerbegebiete integriert werden und bestehende Anlagen aufgerüstet werden (Repowering). Im Rahmen eines Flächennutzungsplans kommen laut Kommission auch Anlagen in Landschaftsschutzgebieten in Betracht. Ausdrücklich wird eine frühzeitige Bürger-Beteiligung gefordert.

Die Kapazität der Fotovoltaik-Anlagen (Sonnenenergie) soll auf 1000 Megawatt gesteigert werden. Das will man unter anderem durch eine Pflicht zur Installation und zum Betrieb von Fotovoltaik-Anlagen ab 2023 "auf allen geeigneten Dachflächen" erreichen. Ausnahmen aus wirtschaftlichen oder Denkmalschutzgründen sind vorgesehen. Bei Neubauten müssen mindestens 70 Prozent der Bruttodachfläche eines Gebäudes mit Solarzellen bedeckt sein. Bei Dachsanierungen soll es mindestens die Hälfte der Fläche sein. Zudem will man mit einem Förderprogramm dafür sorgen, dass möglichst viele Pkw-Stellplätze mit Solaranlagen überdacht werden.

Grüner Wasserstoff soll zügig produziert und eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut werden. Das betrifft den Bau von Elektrolyse-Anlagen beim Stahlwerk Bremen und beim Kraftwerk Mittelsbüren sowie im Fischereihafen Bremerhaven bis spätestens 2030. Zudem schlägt man vor, im Rahmen einer kommunalen Wärmeplanung die bestehenden Gasnetze zurückzubauen und zu einem Wasserstoffnetz umzubauen.

Die Abfallwirtschaft soll komplett klimaneutral werden, indem sämtliche Sammelfahrzeuge auf Elektro- oder Wasserstoffbetrieb umgestellt werden. Die Kapazität der Müllheizkraftwerke wird hochgefahren.

Industrie und Wirtschaft

Im Mittelpunkt steht hier das Stahlwerk Bremen als der mit Abstand größte Energieverbraucher und CO2-Verursacher. Der mit Koks betriebene Hochofen 3 soll 2026 durch eine Direktreduktionsanlage mit Elektrolichtbogenofen ersetzt werden. Kosten und Stromverbrauch sind zwar enorm, reduzieren aber den Ausstoß der gesamten bremischen Treibhausgase schon einmal um 16 Prozent. Deshalb müsse der Senat für eine "schnellstmögliche Planung und Genehmigung" zur Anbindung an das 380-Kilovolt-Netz sorgen. Gleiches gelte für den Auf- und Ausbau eines Wasserstoffnetzes.

In einem zweiten Schritt soll bis spätestens 2032 der größere Hochofen 2 entsprechend ersetzt werden, was den bremischen CO2-Ausstoß dann schon um 50 Prozent senkt. Parallel dazu will man andere Anlagen der Stahlindustrie schnellstmöglich auf den Betrieb mit Wasserstoff "oder anderen grünen Gasen" umrüsten.

In der Auto- und Luftfahrtindustrie sowie beim Schiffbau geht es vor allem um die Förderung alternativer Antriebe sowie die Forschung an neuen und/oder leichteren Materialien. Bei der Fliesen- und Keramikindustrie will man die Industrieabwärme in die kommunale Wärmeversorgung einbinden.

Gewerbegebiete sollen durch entsprechende Energieversorgung und Sharing-Angebote beim Verkehr klimafreundlich werden. Unternehmen, die sich ansiedeln wollen, müssen nach Vorstellung der Kommission Konzepte vorlegen, wie sie bis 2035 klimaneutral sein wollen. Sie sollen sich "so weit möglich" zur Nutzung regenerativer Energien verpflichten und ein Mobilitätsmanagement "mit klarem Anreiz für klimafreundliche Technologien" einführen.

In einem verbindlichen Plan müsse zudem der Senat festlegen, wie öffentliche Unternehmen des Landes und der Stadtgemeinden bis 2032 klimaneutral gestaltet werden sollen. In den Häfen bedeutet dies vor allem Umstellung auf E-Antriebe bei der Ladeinfrastruktur (Container-Carrier), eine klimaneutrale Landstromversorgung der Schiffe, Bunker für klimaneutrale Kraftstoffe ("grünes Methanol") und Aufbau einer Versorgung mit Wasserstoff.

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Gebäude und Wohnen

Die Sanierung bestehender Gebäude soll mithilfe von Förderprogrammen deutlich beschleunigt werden. Das betrifft vor allem den Ausbau von erneuerbaren Heizungsanlagen, vor allem Wärmepumpen im Rahmen eines Landeswärmegesetzes. Neubaugebiete sollen "ab sofort" ganz ohne fossile Wärmeträger wie Kohle, Heizöl, Erd- und Flüssigerdgas, aber auch ohne Biomasse-Heizungen auskommen müssen. Beim Verkauf von städtischen Grundstücken sowie beim Abschluss von städtebaulichen Verträgen müssten eine komplett erneuerbare Wärmeversorgung und die Nutzung von Solarenergie im Vertrag verankert werden.

Für die öffentlichen Gebäude wird dem Senat ein "verpflichtender Sanierungsfahrplan" empfohlen, um den Bestand bis 2035 möglichst klimaneutral auszubauen. Ziel sei, ab 2023 eine Sanierungsquote von drei Prozent jährlich zu erreichen und ab 2025 möglichst fünf Prozent. Dazu gehören für die Kommission die Entsiegelung von Flächen, Dachbegrünung, Fassadenbegrünung, aber auch Nutzung von hellen Baumaterialien und Hitzeschutz an öffentlichen Gebäuden.

Mobilität und Verkehr

Vorrang haben der Ausbau der bisherigen Bus- und Straßenbahnlinien sowie Quer- und Gewerbelinien, vor allem auch in den Randgebieten Bremens und Bremerhavens. Dazu gehört die Taktverdichtung, die sich auch an den Arbeitszeiten bei großen Arbeitgebern und in den Gewerbegebieten orientieren soll. Am Ende soll der ÖPNV ganzjährig ticketlos sein. Mehr Sauberkeit und flächendeckendes WLAN in Bussen und Bahnen soll schon kurzfristig deren Attraktivität steigern.

Den Straßenraum will man zugunsten des Umweltverbunds (Fußgänger, Radfahrer, ÖPNV) "umverteilen". Mindestens sechs Fahrrad-Premiumrouten sollen bis 2030 auch das Umland anbinden. Ein deutlicher Ausbau von Carsharing, Bikesharing und E-Rollern soll den "motorisierten Individualverkehr" (MIV) zurückdrängen. Wer seinen Führerschein ganz abgibt, erhält nach Vorstellungen der Kommission für zwei Jahre ein kostenloses ÖPNV-Ticket.

Autofreie Quartiere sollen entstehen, indem die Verpflichtung zum Bau von Pkw-Stellplätzen "merklich reduziert wird". Öffentliche Parkplätze sollen zudem jährlich immer weiter verringert werden (siehe auch Bericht unten). Dafür will man das Bewohnerparken "auf die gesamten Stadtgebiete" ausweiten – und die Kosten dafür erhöhen: "Generell starten die Gebühren für nachbarschaftliches Bewohnerparken bei 100 Euro/Jahr in 2022 und 365 Euro/Jahr in 2030, jeweils mit höheren Preisen für bestimmte Gewichtsklassen."

Der Senat wird aufgefordert, bis spätestens Ende kommenden Jahres einen Masterplan zur Elektromobilität einschließlich einer Ladeinfrastruktur-Strategie vorzulegen. Damit soll bis 2035 eine 100-prozentige E-Mobilität ermöglicht werden mit dem Zwischenziel, 2030 die Hälfte aller Pkw elektrifiziert zu haben.

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Konsum und Ernährung

Den Verbrauchern sollen im Rahmen einer breiten Aufklärung zahlreiche Angebote gemacht werden, um an einer klimafreundlichen Kreislaufwirtschaft teilzunehmen. Im Vordergrund stehen Recycling und Reparaturen. So könnte der Senat etwa Reparaturdienstleistungen durch eine verringerte Gewerbesteuer für diese Angebote ökonomisch attraktiver machen. Den Kammern und Verbänden wird eine freiwillige Vereinbarung zur Förderung von Mehrwegverpackungen empfohlen; bei Veranstaltungen im öffentlichen Raum solle ein Mehrweggebot für Trinkbecher etc. greifen.

Mit diversen Maßnahmen will man die Verschwendung von Lebensmitteln bekämpfen, aber auch den Genuss tierischer Lebensmittel verringern. So müsse jeweils ein Viertel aller Essensstände bei öffentlichen Veranstaltungen rein vegan oder rein vegetarisch sein, alle anderen müssten entsprechende Alternativen anbieten. Diese Anteile seien schrittweise zu erhöhen. Gastronomie und privaten Kantinen will man entsprechende Beratungs- und Coaching-Angebote machen.

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