„Sie müssen jetzt sehr tapfer sein“, wendet sich der Vorsitzende Richter direkt an den Angeklagten. Und schickt – gleichsam als Warnung an alle anderen im Gerichtssaal – hinterher: „Das wird schwere Kost. Aber da müssen wir jetzt durch.“ Was folgt, sind mehrere Videofilme, insgesamt eine gute Dreiviertelstunde. Aufgenommen wurden sie von der Bodycam eines Polizisten. Sie zeigt den Einsatz der Polizei bei der Festnahme des Mannes im Juni 2024. Wie er um sich schlägt und herumbrüllt. Zeigt, wie die Beamten ihn schließlich niederringen. Und wie sie plötzlich um sein Leben fürchten müssen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem heute 25-jährigen Algerier vor, vor einem Supermarkt in Gröpelingen und in einem Club am Hillmannplatz zwei Männern ihre Goldketten vom Hals gerissen zu haben und einem von ihnen dazu noch ein Goldarmband vom Handgelenk. In der Waller Heerstraße soll er außerdem zusammen mit zwei anderen einen Mann niedergeschlagen und ihm 200 Euro geraubt haben.
Die beiden ersten Taten räumt der Angeklagte ein. Er sei drogenkrank und völlig hinüber gewesen, habe dringend Geld für neue Drogen gebraucht. Von dem Raub in der Waller Heerstraße wisse er aber nichts, das sei er nicht gewesen.
Auch den aggressiven Widerstand gegen die Polizeibeamten, darunter die Versuche, an Reizgas und Pistole eines Beamten zu gelangen, streitet der Angeklagte nicht ab. Er begründet sein Verhalten mit Panik und dem Einfluss von Kokain. „Ich war nicht Herr meiner Sinne.“ Außerdem habe er sich ungerecht behandelt gefühlt. Und das Verhalten der Polizei sei auch nicht eben deeskalierend gewesen, ergänzt sein Verteidiger.
Griff nach Dienstwaffe
Dank der Aufnahmen der Videokamera, die einer der Polizisten am Körper trug, kann sich das Gericht von alldem ein Bild machen. Es beginnt in einem Polizeirevier. Mehrere Beamte versuchen, den Angeklagten am Boden zu halten und ihm Handschellen anzulegen. Einer drückt seinen Kopf runter. „Entspann dich, bleib einfach mal ruhig.“ Doch der Mann stemmt sich mit aller Kraft dagegen. „Guck mal, was ihr mit mir macht“, schreit er. „Ich hab‘ nichts getan.“ Und: „Ich sterbe doch.“
Am Ende sind sechs Polizisten notwendig, um ihm Handschellen anzulegen. Trotzdem versucht er in dem Gerangel, nach dem Pfefferspray eines der Beamten zu greifen. „Hör auf, lass das los“, schreit einer der Beamten ihn an. Doch er macht weiter, greift jetzt nach der Pistole eines Polizisten, der ihn daraufhin schlägt. „Warum schlägst du mich, du Hurensohn?“, schreit der Mann. Weil er nicht aufhöre, nach den Sachen zu greifen, erklärt ihm der Polizist in ruhigem Ton und ergänzt: „Du bestimmst, was hier passiert.“
Die nächsten Aufnahmen zeigen, wie der Mann in einen Bulli der Polizei gebracht wird. Er soll ins Klinikum Bremen-Ost gebracht werden. Auch im engen Fahrzeug sind mehrere Beamte notwendig, um ihn zu bändigen. „Warum stehst du auf meinem Fuß, du Hurensohn?“, schreit er. „Weil du immer wieder nach uns trittst. Wenn du dich entspannst, sind wir auch entspannt, okay?“
Dann ändert sich alles. Der Mann ist endlich ruhig. Zu ruhig. „Hörst du mich“, rüttelt ihm einer der Beamten an der Schulter. Keine Reaktion. „Fuck, der ist bewusstlos!“ Mehrere Rufe, durcheinander. „Puls und Atmung sind da, der Mund ist frei.“ „Schauspielert er?“ „Junge, wach auf.“
Das Fahrzeug stoppt. Die Polizisten tragen den Mann aus dem Wagen, nehmen ihm die Handschellen ab und legen ihn am Straßenrand in die stabile Seitenlage. Einer ruft den Notarzt. Ein Defibrillator wird geholt, der Herzrhythmus des Mannes überprüft. „Ja, er kommt wieder“, gibt einer der Polizisten vorsichtige Entwarnung. „Atme ganz ruhig ein. Ja, das machst du gut“, spricht er den auf dem Boden Liegenden an. Da tönt der Defibrillator: „Wiederbelebungsmaßnahmen durchführen.“ Im selben Moment treffen die Rettungssanitäter ein und übernehmen. Schnitt.
Die letzten Aufnahmen stammen aus dem Krankenhaus. Keine Hektik mehr, der 25-Jährige liegt, erneut mit Handschellen fixiert, auf einer Trage. Es ist Ruhe eingekehrt. Oder fast, denn wieder bei Bewusstsein, erkennt der Mann seine Lage, sieht die blauen Flecken an seinem Körper, spürt, dass einer seiner Finger gebrochen ist. „Digga, guck mal, wie ich aussehe. Willst du mich verarschen?“, rüpelt er einen der Beamten an, die um ihn herumstehen.
Er habe doch nichts getan, ruft er und will wissen, warum ihn die Polizei so behandele. Einer der Beamten versucht, es ihm zu erklären, bringt ihn damit aber erst wieder auf Betriebstemperatur. Er werde jetzt machen, was der Teufel in seinem Kopf ihm sage, brüllt er und stößt weitere Beleidigungen und Drohungen aus. Vor allem gegen einen der Polizisten, auf den er mit dem Finger zeigt. „Ich schwöre bei Gott, ist mir egal, ob ich lebenslänglich kriege.“ Im letzten Video, die Verletzungen des Mannes sind inzwischen verbunden, schaut er direkt in die Kamera. Die Beamten hätten Glück gehabt, dass er nicht an die Waffe gelangt sei, sagt er. „Ich hätte geschossen.“
Damit endet der erste Prozesstag. Die Verhandlung wird am 27. Februar fortgesetzt.