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Ferkel-Skulptur wäre beinahe Schrott gewesen Messing für die Kotelettzone

Fahrerflucht: Das Ferkel aus dem Skulpturen-Ensemble an der Sögestraße konnte gerade noch gerettet werden. Die Gussformen existieren nicht mehr. Bronzegießer Thomas Schmalz kennt aber eine Alternative.
02.12.2021, 19:25 Uhr
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Messing für die Kotelettzone
Von Justus Randt

Das war borstenscharf: Beinahe wäre das von einem unbekannten Autofahrer beschädigte Schweinchen aus der Skulpturen-Gruppe aus der Sögestraße nicht mehr zu retten gewesen. „Hart an der Grenze zum Totalschaden“, nennt es Thomas Schmalz. Der Bildhauer und Bronzegießer aus Findorff hat sich des Ferkels im Auftrag der Kulturbehörde angenommen. Inzwischen ist das Ensemble „Hirt mit Schweinen“ wieder komplett. Wer genau hinschaut, sieht, dass die rechte Ferkelflanke blanker ist als die bei den anderen. „Die Patina gleicht sich wieder an“, sagt Schmalz. „Das ist eine Frage der Zeit – wie beim Grünspan auf dem Rathausdach.“ Eine Frage der Zeit dürfte es allerdings auch sein, dass Schweine, Hütehund oder Hirt ein weiteres Mal beschädigt werden.

Kunst im öffentlichen Raum ist vielen Gefahren ausgesetzt. Wie diese Hausschweine in freier Wildbahn. Das Ferkel war nicht zum ersten Mal in der Werkstatt von Thomas Schmalz. Vor nicht allzu langer Zeit war auch der Hund mit einem Bohrschaden an der Nase eingeliefert worden, nachdem aufmerksame Passanten die Folgen übermütigen Treibens bemerkt hatten. Was das Schwein betrifft, handelt es sich offenbar um Unfallflucht. „Wir gehen nicht mehr davon aus, dass, wer auch immer den Lieferwagen gefahren hat, sich noch meldet oder ermittelt werden kann“, sagt Werner Wick, der Sprecher des Kulturressorts. Das bedeutet: Die Kosten von voraussichtlich mehreren tausend Euro trägt die Allgemeinheit.

Hirten, Hund und Schwein ließen sich im Zweifelsfall nur nach Fotos wieder herstellen.
Thomas Schmalz

Dabei lässt sich noch von Glück sagen, dass die Reparatur überhaupt möglich war. Wie berichtet, existieren keine Abgussformen der von Peter Lehmann geschaffenen und 1974 aufgestellten Skulpturen mehr. Jeweils zwei der Ferkel sind immerhin aus einem Guss, was bedeutet, dass eines des anderen Abbild ist und bei einer Rekonstruktion als Muster dienen kann. Zwillinge auf vier Beinen. „Die sind so geschickt platziert, dass man das auf den ersten Blick gar nicht sieht“, findet Schmalz. „Schwieriger ist es beim Hirten, Hund und Schwein, die ließen sich im Zweifelsfall nur nach Fotos wieder herstellen." Deshalb wirbt er bei der Kulturbehörde dafür, dieses und andere Kunstwerke im öffentlichen Raum digital zu vermessen. „Ich versuche gerade, mit einem Spezialisten zusammen herauszufinden, was das kosten würde.“ Immer mehr Künstler, deren Entwürfe er umsetze, „liefern 3D-Drucke und haben nie zu Schnitzeisen oder Spachtel gegriffen“.

Weil die Delle in der Ferkelflanke so groß war, stand die Reparatur auf der Kippe: „Da wäre vielleicht eher ein Neuguss angesagt gewesen“, vermutet der Bronzeexperte, aus dessen Gießerei unter anderem auch das Loriot-Sofa mit Mops und das große Metallkissen des Bremer Künstlers Thomas Recker in Findorff stammen. Hirt und Schweine aber sind gar nicht aus Bronze, sondern aus einer viel gelberen Messinglegierung gegossen worden. Es wäre zu aufwendig gewesen, die erst einmal gründlich zu analysieren. Schmalz konzentrierte sich auf das Kernproblem: „Bei einer Wandstärke von rund sechs Millimetern lässt sich das nicht ausbeulen wie beim Auto.“

Also hat der Bronzegießer die Delle zunächst mit Ton „ausmodelliert“, dann einen Silikonabdruck genommen und daraus ein Ersatzteil für die erweiterte Kotelettzone der rund 35 Kilogramm schweren Ferkelfigur gegossen. „Dann habe ich die Delle rausgeschnitten und das neue Stück eingeschweißt. Eigentlich ist es schwierig, Messing zu schweißen, man muss löten." Aber dann sehe man hinterher das Silber aus dem Hartlot. „Hier ging das", sagt Schmalz, "weil das formal nicht so aufwendig war. Aber das kann man natürlich nur sehr begrenzt machen, bei Schnauze, Ohr oder Auge wird es schwierig. Mit 3D-Abgüssen kann man beschädigte Teile formgerecht ersetzen.“

Zur Sache

Zwölf neue Objekte pro Jahr

Kunst im öffentlichen Raum – das Programm gibt es seit rund 50 Jahren, „und Bremen war der Vorreiter“, sagt Behördensprecher Werner Wick. Zwölf neue Objekte sucht eine Jury jährlich aus, mehr als 600 Werke unterschiedlichster Gestalt und Machart sind über das  Stadtgebiet verteilt. Um sie zu unterhalten, stehe jährlich ein „mittlerer fünfstelliger Betrag“ zur Verfügung, sagt Wick. Um prominente Werke und dringend zu beseitigende Schäden kümmere man sich zuerst, oft nach Hinweisen aus der Bevölkerung.

Dabei fällt Bremerinnen und Bremern manchmal gar nicht auf, wenn plötzlich etwas fehlt. Zum Beispiel die tonnenschwere Stahlskulptur, die bis 2008 am Weserwehr stand und bei Bauarbeiten offenbar entsorgt wurde. Der Münsteraner Künstler Rolf Nolden erstritt 30.000 Euro Schadenersatz von der Stadt.

Die verschollen geglaubte Skulptur „Fischreiher“ aus dem Innenhof der Schule Schönebeck – wie „Hirt mit Schweinen“ von dem Bremer Künstler Peter Lehmann geschaffen – hat sich in einem Abstellraum wiedergefunden.

Und manchmal, wie im Fall der Waller Welle, die seit den 70ern jedes Frühjahr aus tausenden Narzissen als lebendes Kunstwerk in die Hafenböschung an der Nordstraße gepflanzt wird, ist es auch Programm, dass Kunstwerke zeitweilig verschwinden.

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