Die rot-grün-roten Koalitionsfraktionen und die oppositionelle CDU sind vielleicht nicht ziemlich beste Freunde, aber mitunter doch ziemlich einer Meinung: zum Beispiel, wenn es um illegale Müllablagerungen geht. Die CDU-Fraktion, namentlich deren umweltpolitischer Sprecher Hartmut Bodeit, hatte bereits im Herbst ihren Bürgerschaftsantrag formuliert, die Bremer Stadtreinigung (DBS) mit dem Recht auszustatten, Personalien von Müllsündern aufzunehmen und an Ort und Stelle Bußgelder zu verhängen. Das fordern in einem Dringlichkeitsantrag vom Dienstag, dem Tag der Bürgerschaftssitzung, auch Grüne, SPD und Linke – im Prinzip.
Die einstündige Debatte endete am frühen Abend mit dem Votum für den Koalitionsantrag. Der wich unter anderem darin vom Antrag der CDU ab, dass Rot-Grün-Rot darauf beharrte, die Übertragung hoheitlicher Rechte auf Beschäftigte der Bremer Stadtreinigung sei nichts, "dass in drei bis fünf Monaten umsetzbar" sei, wie Arno Gottschalk (SPD) anmerkte. "So funktioniert es nicht." Deshalb, so der Beschluss, sollen die Deputationen für Umwelt, Klima und Landwirtschaft sowie Inneres in sechs Monaten Berichte über die Vor- und Nachteile der Übertragung von Aufgaben erhalten. Die CDU hatte auf eine schnelle Entscheidung gesetzt.
Vorwurf: Bußgeldeinnahmen versäumt
Personalien feststellen, fremde Grundstücke betreten, eventuell aggressiven Reaktionen ausgesetzt sein – das alles sei "nicht trivial", sagte Ralph Saxe (Grüne). Zudem gehe es darum, mögliche "Doppelstrukturen zu beseitigen". Er warf der CDU vor, ihren Antrag "relativ schlampig" gefasst zu haben. Im Gegenzug hatten Hartmut Bodeit und auch Marcel Schröder (FDP) der Koalition vorgeworfen, es in der vergangenen Legislaturperiode versäumt zu haben, beim Thema Bußgeldeinnahmen voranzukommen.
"Von Hamburg lernen – Befugnisse der Bremer Stadtreinigung erweitern", so lautete der Titel des ursprünglichen CDU-Antrags. Jetzt, zur Sitzung, hatte Hartmut Bodeit noch einmal nachgelegt: In Hamburg habe die seit 2018 entsprechend befugte Stadtreinigung "allein im Jahr 2022" Bußgeldbescheide über eine halbe Million Euro ausgestellt. Solche sogenannten "Waste-Watcher benötigen wir in Bremen auch dringend". Arno Gottschalk und andere bezweifelten, dass das Hamburger Modell wirtschaftlich erfolgreich sein könne, wenn die 30 Waste-Watcher wiederum 1,2 Millionen Euro kosteten.
Doppelstrukturen vermeiden
Die Fraktionen von SPD, Linken und den Grünen, die den Dringlichkeitsantrag initiiert haben, gehen ebenfalls davon aus, dass eine "Bündelung der Tätigkeiten und Kompetenzen bei der Bremer Stadtreinigung" – wie zum Beispiel in Hamburg – "effektiver und wirksamer" sein könne. Die DBS übrigens hat, wie Sprecherin Antje von Horn bestätigt, aktuell sechs sogenannte Ermittler und sieben Berater in Sachen Müll und seiner Entsorgung im Einsatz.
Derzeit, so der gemeinsame Dringlichkeitsantrag, sei die Senatorin für Umwelt, Klima, Wissenschaft "für die "Bearbeitung der Ordnungswidrigkeitenanzeigen zu Verstößen gegen abfallrechtliche Vorschriften im Land Bremen zuständig". Aber eben nicht nur sie. Anzeigen wegen illegaler Müllablagerungen würden vom Ordnungsamt, der Polizei, der Stadtreinigung, von Privatpersonen und den Verwaltungsbehörden gestellt. "Eine Abstimmung zwischen den beteiligten Stellen ist notwendig, weil es mehrere Schnittstellen gibt. Ermittlung und Abfallabräumung erfolgen durch die Bremer Straßenreinigung." Die allerdings bisher keine Befugnisse hat, Personalien festzustellen "oder anderweitig mit polizeilichen Mitteln Sachverhalte aufzuklären". Dazu könne beispielsweise das Recht gehören, private Grundstücke zu betreten.
Wilde Müllkippen kosten eine Million Euro pro Jahr
Der Ordnungsdienst darf bereits an Ort und Stelle Bußgelder erheben, hat aber das Problem, Müllfrevler und -frevlerinnen oftmals nicht fassen und überführen zu können. Entsprechende Daten, so die Innenbehörde, würden nicht erfasst. Dass der Umweltbußgeldkatalog 2022 verschärft worden ist, scheint nur wenig Erfolg zu zeitigen. Zigarettenkippen wegzuwerfen oder Kaugummis in die Gegend zu spucken, kostet seither 50 Euro (zuvor 20 Euro). Das ist auch die Taxe für liegengelassenen Hundekot. Wer dabei erwischt wird, dass er oder sie mehr als einen Kubikmeter Sperrmüll illegal entsorgt, kann mit Forderungen bis zu 2500 Euro rechnen.
Seit dem Jahr 2018 erfasst die DBS illegale Halden ab einem Volumen von 100 Litern. 2019 waren es demnach 9000 Ablagerungen, der bislang höchste Wert. 2021 waren es laut Stadtreinigung 8334, im Jahr darauf 6772. Die Zahl für das gesamte Jahr 2023 liegt noch nicht vor, sie lag bis Ende November bei rund 6000 Meldungen. Trotz der Schwankungen wird von rund einer Million Euro pro Jahr zur Beseitigung dieser Hinterlassenschaften ausgegangen.
Nicht nur das Geld ist ein Problem: Immer mehr Bremerinnen und Bremern geht die Rücksichtslosigkeit ihrer Mitmenschen auf die Nerven. Ein Indiz dafür ist, dass sich jedes Jahr Tausende Kinder und Erwachsene an freiwilligen Aufräumaktionen beteiligen. Ein weiteres sind die Eingaben gegen Müll, die den Petitionsausschuss der Bremischen Bürgerschaft erreichen. Claas Rohmeyer, dem Ausschussvorsitzenden, fällt spontan der Bultensee in Osterholz als beliebte Ablade-Adresse ein, oder der Waller Feldmarksee. "Und überall an Sammelcontainern für Altglas oder Altkleider."