Gemessen an der üblichen statistischen Verteilung in Deutschland, entfällt auf Bremen in der Regel etwa "ein Prozent allen Elends und Übels", sagt Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Doch beim Thema Extremismus geht diese Rechnung nicht auf: Bremen hat sowohl überproportional viele gewaltorientierte Linksextremisten als auch überproportional viele Salafisten. Unterdurchschnittlich ist dagegen die Zahl der Rechtsextremisten. Was für Bremens Innensenator aber nichts an der grundsätzlichen Bewertung ändert: "Die größte Gefahr für unsere Verfassung geht von den Rechtsextremisten aus", sagte Mäurer am Freitagvormittag im Rahmen der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2021.
Manchmal ist es hilfreich, etwas hinterherzuhinken: Krankheitsbedingt musste die Vorstellung des Bremer Verfassungsschutzberichtes in diesem Jahr zweimal verschoben werden. Was dazu führte, dass inzwischen die Zahlen und Daten des Bundes und auch die aus Berlin und Hamburg vorliegen. Mäurer und der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Dierk Schittkowski, nutzten dies am Freitag für eine Reihe prozentualer Berechnungen und den Vergleich Bremens mit den beiden anderen Stadtstaaten.
Bei den Linksextremisten geht der Verfassungsschutz von bundesweit 10.300 gewaltorientierten Personen aus. "In Bremen sind es 240, also deutlich mehr als das eine Prozent, das es eigentlich sein sollte", sagt Mäurer. In Hamburg sind es 940, in Berlin 950. Anders ausgedrückt: In Bremen kommen auf 100.000 Einwohner 35 gewaltbereite Linksextremisten, mehr als in Berlin (26), aber weniger als in Hamburg (51). Für einen bundesweiten Spitzenplatz reicht das allemal. In Deutschland gibt es laut Innensenator vier Zentren für Linksextremismus. Bremen gehöre neben Hamburg, Leipzig und Berlin dazu. "Die Folgen sieht man unter anderem an der hohen Zahl von Brandanschlägen, die wir seit Jahren haben."
Unveränderter Spitzenreiter im Städteranking ist Bremen, wenn es um die Zahl der Salafisten geht. 12.150 dieser Islamisten zählt der Verfassungsschutz bundesweit, 510 davon leben in Bremen. In Hamburg sind es 550, in Berlin 1100. Auf 100.000 Einwohner umgerechnet bedeutet dies für Bremen 75, mehr als doppelt so viele wie in Hamburg (29) oder Berlin (30). Zumindest war die Zahl der Salafisten in Bremen zuletzt leicht rückgängig. Für Mäurer "ein Erfolg unserer früh eingesetzten und anhaltenden Strategie einer sehr konsequenten Aufklärung der Szene, die regelmäßig in Exekutivmaßnahmen mündet".
Radikalisierung der Täter findet in den sozialen Medien statt
Sorge bereitet dem Verfassungsschutz beim Thema Islamismus die Fragmentierung der salafistischen Szene. "Wir stellen eine besorgniserregende digitale Professionalisierung fest, begünstigt durch die andauernde Corona-Pandemie", erklärte Verfassungsschutz-Chef Dierk Schittkowski. Zentrale Anlaufstellen wie etwa Moscheen würden weniger stark frequentiert, die Radikalisierung allein handelnder Täter finde im Netz statt, vor allem in den sozialen Medien.
Im rechtsextremistischen Lager weist Bremen mit 190 Personen (von denen 90 als gewaltbereit eingestuft werden) eine unterdurchschnittliche Zahl auf. In Relation zu 100.000 Einwohnern käme Bremen damit auf 28 Rechtsextremisten, Hamburg auf 20 und Berlin auf 39. Die Gefahr rechtsterroristisch motivierter Anschläge schätzt Innensenator Mäurer trotzdem unverändert als konstant hoch ein. Hier dürfe man sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, warnte er. Zumal die andauernde Pandemie die Aktivitäten im virtuellen Raum weiterhin verstärke. „Hass und Hetze im Internet schaffen einen Nährboden, indem sich menschenverachtende Ideologien verbreiten und verfestigen und sich Personen immer weiter radikalisieren.“
Eingang in den aktuellen Verfassungsschutzbericht fanden auch die sogenannten Querdenker, zumeist im Zusammenhang mit Aktionen gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Für sie wurde eigens ein neuer Phänomenbereich geschaffen, erläuterte Dierk Schittkowski – die „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Auch dieses Spektrum habe man frühzeitig unter Beobachtung genommen. Eine Feststellung dabei: Die Proteste seien zum Teil massiv durch extremistische Akteure beeinflusst und gelenkt worden. Unter dem Deckmantel des Protestes würden hier staatsfeindliche Propaganda und antisemitisch gefärbte Verschwörungsmythen in weite Teile der Gesellschaft getragen. Der Verfassungsschutz hat in Bremen einen Kern von etwa 20 bis 30 Personen ausgemacht, die voll Hass und Hetze gegen das politische System seien und darauf abzielten, "unsere Demokratie abzuschaffen".
Dabei gehe es nicht darum, die gesetzlich garantierte Meinungsfreiheit beschränken zu wollen, betonte Schittkowski. Vielmehr sei es wichtig, die Bürger darüber zu informieren, wenn sie sich bei ihren Protesten extremistischen Akteuren anschließen würden. Es müsse ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, welche Auswirkungen die stetige Verächtlichmachung des Staates und seiner Repräsentanten auf den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Demokratie habe.
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