Abbes Chihi soll Deutschland verlassen und in den kommenden 20 Jahren nicht wieder einreisen dürfen. So sieht es ein wegen Formfehler gleich dreimal ergangener Bescheid der Innenbehörde vor. Unterstützung von terroristischen Vereinigungen, Gefährdung der Bundesrepublik Deutschland und hohe Wiederholungsgefahr dieser Taten lauten die Vorwürfe. Das alles soll er in seiner Funktion als Prediger der Moschee des Islamischen Kulturzentrum Bremen (IKZ) am Breitenweg getan haben, wo er seit 2006 aktiv ist, unter anderem auch als Schatzmeister des Moscheevereins.
Der gebürtige Tunesier hat vor dem Verwaltungsgericht gegen diese Bescheide geklagt und darum sitzt die Stadt Bremen nun als Angeklagte vor Gericht, formal vertreten durch den Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Tatsächlich darf sich eine Prozessbevollmächtigte der Innenbehörde die Kritik der Verwaltungsrichter an den von ihrer Behörde verschickten Ausweisungsbescheiden anhören. Bemängelt wird eine fehlende juristische Präzision der Begründung. Die Auflistung von Äußerungen des Klägers und deren rechtliche Bewertung als Tatbestände, die eine Ausweisung rechtfertigen, sind nach Meinung der Richter etwas unsortiert.
Weitere Ausweisungen angekündigt
Zugleich lässt die zweite Kammer des Verwaltungsgerichts durchblicken, dass sie gewillt ist, das Ganze juristisch sauber aufzudröseln. Das dürfte auch deshalb wichtig werden, weil die Innenbehörde auf Rückfrage des Gerichts angab, neben Chihi noch weitere Personen aus dem Umfeld des IKZ ausweisen zu wollen. Das des Predigers sei nur das erste Verfahren vor Gericht. Spätestens Mitte Juli will das Verwaltungsgericht seine Entscheidung mitteilen.
Das 2001 gegründete IKZ gilt den Sicherheitsbehörden als Hochburg der Salafisten in Bremen, deshalb steht es unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. In den Vorträgen, Seminaren und Predigten dieser Strömung wird der Koran besonders konservativ und zumeist sehr wörtlich ausgelegt. Das betrifft die gesamte Lebensführung der Gläubigen.
Ob allerdings die entsprechenden und konkreten Äußerungen des Imam in seinen von bis zu 500 Muslimen besuchten Freitagspredigten auch einen ausreichenden Grund darstellen, Chihi nach mehr als 20 Jahren in Deutschland des Landes verweisen zu dürfen, steht auf einem anderen Blatt. Das Gericht muss im Grunde bewerten, ob seine Einlassungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, oder ob sie die im Aufenthaltsgesetz genannten Bedingungen erfüllen, die eine möglichst umgehende Ausreise rechtfertigen. Weil es dabei nicht um tatsächlich begangene, klar nachgewiesene Straftaten geht, sondern allein um seine Aussagen, stiegen Richter, Kläger und der Angeklagte tief in die Auslegung einzelner Zitate ein.
Zum Beispiel die 2019 in einer Predigt getätigte Bemerkung, dass der Al-Kaida-Gründer und Anführer Osama bin Laden ein Totengebet verdient habe. Verfassungsschutz und Innenbehörde sehen darin Werbung und Unterstützung für eine terroristische Vereinigung. Chihi will in einem größeren Zusammenhang nur den Hinweis gegeben haben, dass jeder Muslim, unabhängig von seinen Taten, eine ordentliche Beerdigung verdient habe – ein Prinzip, das ja auch im Christentum bekannt sei.
Aufrufe als Terror-Werbung?
Und wie ist Chihis Äußerung vom Januar 2020 zu verstehen, dass jemand, der nach Syrien geht, dort das Versprechen Gottes findet? Ein Aufruf, sich dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen, sagt die Innenbehörde. Ein aus dem Zusammenhang gerissenes Detail, sagt Chihi, der sich nach eigenem Bekunden vom IS distanziert. Was ist mit seiner in einer anderen Predigt formulierten Forderung, in der deutschen Gesellschaft einen islamischen Staat zu gründen? Keine Hasspredigt gegen den deutschen Staat, sondern die Aufforderung, den Islam zu verinnerlichen als Richtschnur im persönlichen Leben, erläutert Chihi.
Bei manchen Zitaten scheitert die Innenbehörde mutmaßlich auch an formalen Anforderungen. Aufrufe, die Muslimbruderschaft oder die Mudschahidin zu unterstützen, könnten schon deswegen keine Werbung für terroristische Vereinigungen sein, weil beides gar keine abgeschlossenen und klar definierten Terrorgruppen seien, befindet Chihis Verteidiger. Mudschahidin sei außerdem auch eine Bezeichnung für jeden Muslim, der sich um die Verbreitung des Islam bemühe oder sich ganz individuell um seinen Glauben kümmere.
Und so ging es Detail um Detail durch Chihis Predigten. Abwertende Äußerungen zur Gleichstellung der Frau? Nicht so gesagt. Muslime sollen besser unter sich bleiben und Parallelgesellschaften errichten? Aus dem Zusammenhang gerissen.
Die Vertreterin der Innenbehörde sah sich irgendwann bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass die Predigten vielfach vollständig als Video vorliegen, nicht zuletzt, weil das IKZ sie während der Corona-Pandemie aufgezeichnet und ins Internet gestellt hat. Das werde das Gericht natürlich in seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen, ebenso wie den jüngsten Verfassungsschutzbericht zu der Moschee, hieß es nach rund drei Stunden Verhandlung.