Eine Partei, die seit Langem unter ihren Möglichkeiten bleibt: So sehen viele Akteure des Bremer Politikbetriebs die Grünen. Auf 17,4 Prozent kam die Öko-Partei bei der Bürgerschaftswahl 2019 und schöpfte damit ihr Potenzial im kleinsten Bundesland nicht annähernd aus. In vergleichbaren, eher links tickenden Großstädten mit Universität erreichen die Grünen oft Ergebnisse von deutlich über 20 Prozent. In Hamburg etwa kamen sie bei der Bürgerschaftswahl 2020 auf einen Stimmanteil von gut 24 Prozent, mehr als doppelt so viel wie die dortige CDU. Demoskopische Analysen aus den vergangenen Jahren sahen für die Grünen in Bremen ein theoretisch erreichbares Wählerreservoir von bis zu 30 Prozent.
Ziel muss es also sein, sich diesem Limit bei der Wahl 2023 stärker anzunähern. Helfen soll dabei die Werbeagentur Dieckertschmidt, eine angesehene PR-Firma aus Berlin, die sich mit zahlreichen Preisen schmücken kann, darunter dem in der Branche begehrten Effie Award. Inhaber Kurt Georg Dieckert ist zwar kein Bremer, kennt als gebürtiger Oldenburger aber den Nordwesten. Zuletzt entwarf er die erfolgreiche Kampagne der niedersächsischen Grünen, zuvor war er für die Partei 2016 bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl und für die Bundesgrünen bei der Europawahl tätig. Und ihn verbindet mit diesen Auftraggebern mehr als der Honorarscheck. "Ich bin ein grüner Überzeugungstäter", sagt Dieckert von sich.
Die Ausgangslage ein halbes Jahr vor dem Urnengang bezeichnet der PR-Stratege als "volatil", also als unbeständig. Das Pendel, so die Vorstellung, kann jederzeit noch deutlich in unvorhersehbare Richtungen ausschlagen. In dieser Lage wollen die Grünen auf Kernthemen setzen. "Klimaschutz, Umweltschutz, Artenschutz, das sind Begriffe, die wir in den Vordergrund stellen werden", kündigt Grünen-Geschäftsführer Jonas Kassow an, mit dem Dieckert in den kommenden Monaten eng zusammenarbeiten wird. Die Enquetekommission der Bürgerschaft, die 2021 eine Klimaschutzstrategie für Bremen erarbeitete, habe mit ihren Empfehlungen bereits den Weg gewiesen. An dieser Strategie waren zwar alle Bürgerschaftsfraktionen beteiligt, "aber wir wollen als das grüne Original wahrgenommen werden", sagt Kassow.
Verkörpern soll diesen grünen Markenkern die Spitzenkandidatin, Umweltsenatorin Maike Schaefer. Dass sie es mit Schaefer nicht ganz leicht haben, dürfte Dieckert und Kassow bewusst sein, denn: Schaefer ist beim Wahlvolk nicht beliebt. Dieses demoskopische Faktum kann man drehen und wenden, wie man will. Als das Institut Infratest dimap im Mai im Auftrag des WESER-KURIER Werte zur Zufriedenheit mit Bremens Spitzenpolitikern erhob, gaben 44 Prozent der Befragten an, mit Schaefers Arbeit nicht oder weniger zufrieden zu sein, 22 Prozent sahen das umgekehrt – bei keinem anderen Senatsmitglied waren die Gewichte so ungünstig verteilt. Vor wenigen Wochen veröffentlichte die Plattform Wahlkreisprognose.de Zahlen zu der Frage, wen die Wähler nach der Wahl am 14. Mai kommenden Jahres gern an der Spitze der Landesregierung sähen. Deutlich mehr als die Hälfte der knapp 1000 Befragten votierte für Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), obwohl seine Partei nicht mehr als 26 Prozent erreichte. Auch CDU-Konkurrent Frank Imhoff liegt über den Werten für seine Christdemokraten. Ganz anders bei den Grünen. Sie lagen in der Sonntagsfrage mit 21 Prozent zwar gleichauf mit der Union, doch für Maike Schaefer als Präsidentin des Senats sprachen sich lediglich sieben Prozent aus. Anders ausgedrückt: Zwei von drei Grünen-Wählern sehen in Schaefer nicht die Spitzenkraft fürs Rathaus.
Mit solchen Befunden muss man als Wahlkampfteam erst mal umgehen. Dieckert und Kassow glauben allerdings, dass man die bescheidenen Beliebtheitswerte für die Spitzenkandidaten auch ins Positive wenden kann. Schaefer soll als Kämpferin für klassische grüne Ziele inszeniert werden, als charakterstarke Person, die keine Phrasen drischt und die eigentlich auch keine typische Politikerin ist, weil sie bereit ist anzuecken. Maike Schaefer, so geht die Erzählung, ist als promovierte Biologin und Wissenschaftlerin nicht aus Kalkül in die Politik gegangen, sondern um Dinge zu verändern. Da kann man nicht jedermanns Liebling sein. Die grüne Spitzenkandidatin, sagt Kurt Georg Dieckert, redet nicht wie viele Akteure aus dem Politikbetrieb, sondern wie du und ich. Das werde auch in der Tonalität der Kampagne zum Ausdruck kommen.
Rund 300.000 Euro darf der grüne Wahlkampf im kommenden Jahr kosten. An der Gestaltung der Text- und Bildbotschaften wird noch gearbeitet. In welchem Umfang das übrige grüne Spitzenpersonal in den Vordergrund gerückt wird, ist ebenfalls noch unklar. Das hängt auch damit zusammen, dass die Grünen anders als SPD, CDU, FDP und Linke ihre Bürgerschaftsliste noch nicht beisammen haben. Mit Maike Schaefer steht seit September die Spitzenkandidatin fest, die sonstige personelle Aufstellung klärt sich aber erst bei einer Landesmitgliederversammlung am 3. Dezember.