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Bremerin hilft bei der Hochwasser-Katastrophe "Das bricht einem das Herz"

Die Bremerin Julia Strahl hilft in ihrer Heimat in der Eifel bei den Aufräumarbeiten nach der Hochwasser-Katastrophe. Eine Spendensammlung für Raumtrockner ist angelaufen.
25.07.2021, 06:00 Uhr
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Von Mathias Sonnenberg

Frau Strahl, warum fährt eine Bremerin nach Insul und hilft bei der Bewältigung der Hochwasser-Katastrophe? 

Julia Strahl: Ich bin dort aufgewachsen, große Teile meiner Familie leben in der Eifel in Erfstadt, Ahrweiler und Insul, also dort, wo das Hochwasser besonders schlimm gewütet hat. Ich helfe jetzt in Insul, das Ausmaß der Zerstörung ist so groß und eigentlich unvorstellbar. 

Was war Ihr erster Gedanke, als Sie vor einer Woche in der Gegend ankamen?

Den kann ich gar nicht beschreiben, ich stelle mir vor, dass es wie nach dem Krieg aussieht, wie nach einem Bombenangriff. Ich kann das noch immer nicht begreifen. Und es ist schwer, wenn man mit dem Menschen im Ort spricht, die teilweise wirklich alles verloren haben. Für mich war es unerträglich, die Bilder in den Nachrichten zu sehen. Das ist ja meine Heimat, hier habe ich die ersten 19 Jahre meines Lebens verbracht. Jetzt ist vieles kaputt, das bricht einem das Herz. 

Gab es ein Schicksal, das Sie besonders erschüttert hat?

In meiner direkten Familie sind zumindest alle körperlich unversehrt geblieben, das Haus einer Verwandten ist zerstört. Viele Menschen stehen wirklich vor dem Ruin, weil sie nicht versichert waren. Jetzt ist das Haus weg, ihr einziges Hab und Gut. Es gibt viele Geschichten von Familien, in denen Kinder ertrunken sind. Ein Mann in meinem Alter ist im Nachbardorf mit seiner ganzen Familie ertrunken, mit drei Kindern. Oder Ehepaare, die sich im Wasser aneinander festgehalten haben, die Frauen dann aber keine Kraft mehr hatten und in den Fluten ums Leben gekommen sind. Das ist schwer zu ertragen. Es wird sehr viel erzählt, oft ist es dann wohl eine Mischung aus Gerüchten und Fakten.

Wie erleben Sie die Situation vor Ort?

In Insul gab es gleich zu Beginn der Aufräumarbeiten viele, viele Menschen, die angepackt haben. Baufirmen haben ihre Lkw und Trecker zur Verfügung gestellt, es wird den ganzen Tag lang Schutt abtransportiert, von morgens bis abends. Es sind riesige Müllhalden entstanden. Bei vielen Häusern ist das Erdgeschoss nur noch Schrott, der Estrich muss dann raus, weil die Böden verseucht sind. Es roch in den ersten Tagen ganz stark nach Heizöl, die Umwelt wird dadurch stark belastet. Der Malteser Hilfsdienst ist vor Ort und impft die Bewohner gegen Tetanus. Es sind Zustände, die ich mir nicht im Ansatz vorstellen konnte. 

Spielt Corona eine Rolle?

Nein, überhaupt nicht, das ist komplett ins Hintertreffen geraten. Hier arbeiten teilweise ja 20 bis 30 Menschen aus vielen Haushalten auf engem Raum zusammen, es werden Menschenketten gebildet, um die Häuser von Schlamm und Unrat zu befreien. Masken werden kaum getragen. 

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Wie sieht Ihr Tagesablauf aus?

Ich helfe jetzt aktuell in einem Haus einer Verwandten. Wir haben angefangen, den Schlamm rauszutragen und die Pellets zu entsorgen, mit denen im Haus geheizt wurde. Das allein hat schon zwei Tage gedauert. Wasser steht teilweise wieder zur Verfügung, damit kann ich die Dinge vom Schlamm befreien, die noch nutzbar sind. Es ist wirklich schwere Arbeit, richtige Drecksarbeit. Jetzt wird der Estrich mit Hämmern rausgeholt. Hier gab es eine Truppe von sechs Männern, die von Haus zu Haus gezogen ist und den Estrich rausgekloppt hat. Und ich versuche, in Bremen Hilfe zu mobilisieren. 

Wie sieht die aus?

Ich habe Raumtrockner organisiert. Das ist mein wichtigstes Anliegen, weil ich die hier an Bewohner verteile, die nicht versichert waren. Die Trockner müssen bis zu vier Wochen im Einsatz bleiben und kosten dann jeweils etwa 600 Euro. Zehn Trockner habe ich schon organisiert, ein Freund von mir zehn weitere, auch Estrich-Trockner. Die würden wir den Bewohnern gerne spendieren. Und dafür benötigen wir finanzielle Hilfe.

Was brauchen die Menschen vor Ort am dringendsten?

Menschen mit einer unzureichenden Versicherung brauchen staatliche Unterstützung. Und tatkräftige Hilfe wird auch benötigt, Menschen, die auch in den kommenden Wochen und an Wochenenden mit anpacken. Für den Wiederaufbau der Häuser ist auch Hilfe von Firmen gefragt, die die entsprechenden Geräte besitzen. Und auf jeden Fall eben auch die Trocknungsgeräte.

Warum sind die so wichtig?

Viele Häuser sind jetzt immerhin schon mal leer, jetzt müssen sie getrocknet werden, das ist der nächste Schritt. Leider sind noch längst nicht alle Orte so weit, im Nachbarort Schuld wurde zuletzt immer noch geprüft, welche Häuser überhaupt gerettet werden können. Die wurden dann vom THW entsprechend gekennzeichnet. Und erst dann konnte mit den Aufräumarbeiten begonnen werden. Dort sind die Straßen sehr eng, an viele Häuser konnten die Hilfstruppen gar nicht ran, weil sich der Müll und die Bäume meterhoch getürmt hatten. Dort war ja auch das Mobilfunknetz zusammengebrochen. Ich denke, das war auch der Grund für die hohe Vermisstenzahl in den ersten Tagen, viele Menschen waren nicht erreichbar. 

Haben die Betroffenen überhaupt schon ein Gefühl dafür, wie das Hochwasser ihr Leben verändern wird? 

Ich glaube, das ist sehr gemischt. Viele sind im Macher-Modus, es wird ununterbrochen gearbeitet oder malocht, wie die Leute hier sagen. Viele haben mit ihren Versicherungen telefoniert und die Nachricht bekommen, dass ihnen nichts ersetzt wird. In meiner Verwandtschaft arbeitet jemand bei einer Versicherung, da klingelt das Telefon den ganzen Tag. Sie muss vielen Leuten mitteilen, dass nichts bezahlt wird, weil keine Elementarschadenversicherung abgeschlossen wurde. Da ist sie auch Seelsorgerin, in der Eifel kennt ja praktisch jeder jeden.   

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In der Politik wird über falsche Warnsysteme diskutiert und fehlende Sirenen. Ist das auch in Insul oder Schuld ein Thema?

Nein, das habe ich nicht wahrgenommen. Die Menschen sind so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, da ist für diese Diskussion gar kein Platz. Viele wissen nicht mal, dass außerhalb der Orte die Autobahn kaputt ist oder gesperrt war. Die meisten Menschen sind wirklich nur damit beschäftigt, ihre Häuser zu retten. Es ist noch keine Zeit für andere Gedanken. Thema ist natürlich, wie lange der Wiederaufbau gehen wird. Aber da wird von Jahren, nicht von Monaten geredet.

Haben Sie Katastrophen-Tourismus erlebt? Also Menschen, die einfach mal vorbei kommen, um sich das Elend anzuschauen? 

Ich habe am Donnerstag einen Radfahrer gesehen, der sich hier umschauen wollte. Es gibt viele skurrile Geschichten, aber ob die alle stimmen, mag ich nicht einzuschätzen. Aber aus den Randgebieten kommen schon Menschen, um sich ein Bild zu machen. An der Steinbachtalsperre waren offenbar viele Leute, die sich selbst in Gefahr begeben oder die Rettungskräfte behindert haben sollen. 

Wie lange werden Sie noch vor Ort helfen?

Das weiß ich noch nicht genau, aber ich werde sicherlich auch danach noch einige Wochenenden hierher kommen, um den Menschen zu helfen. Es wird so viel Hilfe benötigt und Arbeit findet man immer. Viele ältere Menschen sind sehr hilflos, weil sie die Arbeit nicht koordinieren können. Aber irgendwann wird ja hoffentlich auch wieder aufgebaut. Da möchte ich dann auch helfen. 

Das Gespräch führte Mathias Sonnenberg.

Zur Person

Julia Strahl (42)

lebt in Bremen und arbeitet als Wissenschaftlerin am Helmholtz-Institut für Funktionelle Marine Biodiversität in Oldenburg. Das Institut gehört zum Alfred-Wegener-Institut.

Zur Sache

Spenden für Hochwasser-Opfer

Julia Strahl hilft in ihrer Heimat in der Eifel den Opfern der Hochwasser-Katastrophe mit Raumtrocknern, die dringend benötigt werden. Um die zu finanzieren, sammelt sie Spendengelder. Überweisungen sind möglich über das Paypal-Spendenkonto von Thomas Krumpen: https://paypal.me/pools/c/8Bq5Po5DJ1. Wer Fragen hat, kann sich per Mail an Julia Strahl wenden. Mailadresse: j.strahl@gmx.de.

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