Der Verschleiß ist kaum sichtbar, aber mit dem Finger deutlich spürbar. Eine millimetertiefe Einbuchtung im Schienenkanal unterscheidet das langjährig genutzte Straßenbahngleis von dem neuen Abschnitt, der ein paar Meter weiter beginnt. An anderen Stellen sind im Laufe der Jahre aus Millimetern Zentimeter geworden – dieser Verschleiß macht die Brill-Kreuzung derzeit zur Großbaustelle. Die BSAG tauscht insgesamt 850 Meter Gleis aus, ersetzt sechs Weichen und acht Kreuzungen. Seit Mitte Juli sind zwei von der BSAG beauftragte Firmen und deren Subunternehmer im Dauereinsatz. Anfang August hat die zweite Bauphase begonnen, für Autos ist kein Durchkommen mehr, Busse und Straßenbahnen fahren Umleitungen.
Abschnitte werden zusammengeschweißt
An diesem Sonnabend trotzen etwa 30 Arbeiter der Mittagshitze – gebaut wird auch an den Wochenenden, damit der Zeitplan eingehalten werden kann. Ende August soll der Verkehrsknotenpunkt wieder befahrbar sein. Bis zu 60 Leute seien täglich im Einsatz, erklärt Ingo Schnieders, Projektleiter bei der BSAG. Schnieders, orangene Warnweste, steht am Rand der Baustelle und deutet auf den Wirrwarr aus Gleisen und Weichen, auf Steuerelemente und Fundamente. Gebaggert und gehämmert wird zwischen Martinistraße und Bürgermeister-Smidt-Straße noch immer, aber aus dem Gröbsten sei man raus, sagt Schnieders. Die 20 Jahre alten Gleise sind größtenteils entfernt. Der nächste Schritt, die neuen Gleisteile einzupassen und miteinander zu verbinden, ist vorangeschritten. "850 Meter Gleis lassen sich natürlich nicht am Stück transportieren", sagt Schnieders. Stattdessen habe man 15 Meter lange Abschnitte angeliefert bekommen, die dann vor Ort zusammengeschweißt würden. "Das sind alles Unikate, speziell für diese Baustelle angefertigt", erklärt der Projektleiter.
Großbaustellen wie die am Brill sind von langer Hand geplant. Etwa fünf Jahre sei die Vorlaufzeit für solche Projekte, sagt Schnieders. Dass es trotzdem zu Verzögerungen kommen kann, dafür ist der Brill auch ein gutes Beispiel: Ursprünglich war der millionenschwere Umbau schon für die Sommerferien des vergangenen Jahres geplant, musste dann aber wegen pandemiebedingter Lieferschwierigkeiten verschoben werden. Ein Jahr Verzögerung sei noch verkraftbar gewesen, sagt BSAG-Sprecher Andreas Holling. Viel länger hätte man die Erneuerung vor allem aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht verschieben können. Darum geht es schließlich bei dem Umbau: Abgenutzte Gleise und Weichen können zur Gefahr werden – im schlimmsten Fall entgleisen die Straßenbahnen. Deshalb gebe es bestimmte Verschleißwerte, die nicht überschritten werden dürften, sagt Holling.
Wie stark die Gleise im Laufe der Jahre verschleißen, hängt zum einen davon ab, wie stark sie befahren werden. An der Domsheide müssten die Gleise alle 16 Jahre ausgetauscht werden, sagt Schnieders. Er nennt eine weitere Grundregel: "In Kurven gibt es mehr Verschleiß als auf Geraden." Grund dafür ist die Funktionsweise der Straßenbahn, deren Räder mit sogenannten Spurkränzen ausgestattet sind. Diese Verdickungen an den Innenseiten der Räder verhindern, dass die Räder den Schienenkanal verlassen können. Auf geraden Strecken berühren sich Spurkranz und Schiene nicht, in den Kurven trifft Metall auf Metall.
Schnieders und seine Kollegen, die Verkehrsanlagenplaner und Gleisbauer, sie alle planen die Abläufe genau: Wann wird an welcher Stelle gearbeitet? Wann muss etwas aushärten? Das Wetter allerdings können sie nicht beeinflussen. "Da vorne wird jetzt gekühlt", sagt Schnieders und deutet auf einen Trupp, der gerade die Gleise mit einem Füllmaterial untergießt. Bei Hitze arbeitet das Material stärker als gewünscht, weshalb mit Wasser nachgeholfen wird.
Dämmendes Material gegen Lärmbelästigung
Das Unterfüttern der Gleise sei ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen Bauphase, erklärt Schnieders. Das dämmende Material reduziere Schall und Erschütterungen in der Umgebung, die sonst vor allem für Anwohner zum Ärgernis werden könnten. Dass in unmittelbarer Brill-Nähe nur wenig Menschen wohnen, hilft nicht zuletzt Ingo Schnieders, der als Projektleiter auch für die Kommunikation mit den Anliegern und Anwohnern zuständig ist. Größere Beschwerden über die Baustelle habe es bislang nicht gegeben, sagt er. Bislang sei alles nach Plan gelaufen. Am 24. August, so der Wunsch von Schnieders und Holling, sollen die Gleise liegen. Dann folgen die technischen Feinheiten: Zum Beispiel müssen die Signalanlagen wieder in Betrieb genommen und miteinander verknüpft werden. Bevor die Straßenbahnen wieder Passagiere über den Brill transportieren, wird es dann noch einige Testfahrten geben. "Und danach haben wir erst mal Ruhe. Wenn die Gleise das nächste Mal getauscht werden, bin ich auf jeden Fall im Ruhestand", sagt Schnieders.