Das Bremer Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus schlägt Alarm: "Die schlechte Besetzung mit Pflegekräften in den Krankenhäusern führt dazu, dass wir immer häufiger von gefährlicher Pflege sprechen müssen", sagt Ariane Müller. Im August vergangenen Jahres hat die examinierte Krankenschwester das Bündnis in Bremen gegründet, sie ist seit 40 Jahren im Beruf und arbeitet auf einer Intensivstation im Klinikum Mitte.
"Jetzt ist wirklich eine prekäre Situation erreicht. In allen Bremer Kliniken gibt es diese Probleme, den Patienten gegenüber ist das kaum noch zu verantworten. Dazu kommt, dass die Kliniken wegen eines generellen Pflegekräftemangels im Wettbewerb um das Personal stehen. Dennoch wird zusätzliches Pflegepersonal auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht eingestellt", sagt sie.
Die Folgen auf den Stationen: Früh- und Nachtschichten seien oft nur mit einer examinierten Pflegekraft besetzt, und diese Pflegekraft sei dann – zum Beispiel auf sogenannten Normalstationen – für über 30 Patienten zuständig. Sie müsse entscheiden, welcher Patient dringender Hilfe benötige, wenn aus mehreren oder auch "nur" aus zwei Zimmern gleichzeitig geklingelt werde.
"Eine Person in einer Schicht bedeutet gefährliche Pflege", sagt Ariane Müller. Schichtpläne seien grundsätzlich "auf Kante gestrickt", sagt sie, "wenn sich dann noch jemand krank meldet, wird's noch enger." Das betreffe auch die Tagschichten: Pro Patient hätten Pflegekräfte eine bestimmte Zeit zur Verfügung, bei Unterbesetzung könnten medizinische und pflegerische Standards nicht eingehalten werden.
Wie eng und welche Folgen diese Unterbesetzung hat, können Pflegekräfte in sogenannten Gefährdungs- oder Überlastungsanzeigen dokumentieren. Die Zahl dieser Meldungen steige, betont der Betriebsrat des Klinikums Links der Weser, Roman Fabian. "Wir haben inzwischen ganze Ordner mit solchen Anzeigen aus unserem Haus, in denen einzelne Mitarbeiter oder auch komplette Stationen eine Gefährdung anzeigen."
Gefährdungsanzeigen seien aus zwei Gründen ein wichtiges Instrument: "Damit sichern sich Pflegekräfte rechtlich ab, wenn etwa während einer unterbesetzten Schicht etwas passiert. Außerdem dokumentieren Gefährdungsanzeigen den Personalnotstand." Erhalten Vorgesetzte und Klinikleitungen eine solche Anzeige, sollen sie für Abhilfe sorgen. Etwa: Personal aus anderen Stationen abziehen, sogenannte Leihpflegekräfte einsetzen, Mitarbeiter aus der Freizeit zurückrufen – oder im extremsten Fall Betten oder eine Station schließen.
"Es gibt keine festen und verpflichtenden Personal-Schlüssel"
"Das passiert auch manchmal, aber oftmals eben auch nicht", sagt Jörn Bracker, Gewerkschaftssekretär für den Fachbereich Gesundheit bei Verdi. "Das Grundproblem ist: Bis auf wenige Bereiche wie Intensiv- und Frühgeborenenstationen gibt es keine festen und verpflichtenden Personalschlüssel bei der Besetzung. Das heißt, es liegt an Pflegedienst- oder Klinikleitung, wie ernst eine Gefährdungsanzeige im jeweiligen Fall genommen wird und wie sie die konkrete Situation bewerten. Dass Betten gesperrt oder Stationen geschlossen werden, passiert natürlich nur ganz selten, weil das Geld kostet", sagt Bracker.
Gäbe es einen gesetzlich festgelegten Personalschlüssel, müssten die Kliniken Pflegekräfte einstellen. Verdi fordert für alle Abteilungen im Krankenhaus verbindliche Personalschlüssel im Verhältnis Pflegekraft zu Patient sowie einklagbare Maßnahmen, wenn diese nicht eingehalten werden. "Das muss passieren", fordert auch Ariane Müller vom Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus. Aus ihrer Sicht verpuffen die Gefährdungsanzeigen "im Nirwana", die von den Pflegekräften in Bremer Krankenhäusern jedes Jahr hundertfach formuliert würden.
Der kommunale Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno) ist mit vier Häusern der größte Krankenhausträger im Land Bremen: Jedes Jahr erreichen die Direktionen der einzelnen Häuser zusammen Hunderte Gefährdungsanzeigen. Im größten Krankenhaus, dem Klinikum Mitte, waren es nach Angaben von Geno-Sprecherin Karen Matiszick im vergangenen Jahr im ersten Halbjahr 146 Anzeigen, im Klinikum Links der Weser 916, im Klinikum Ost 130 und im Klinikum Nord 133 Meldungen. "Jede Gefährdungsanzeige wird natürlich ernst genommen, bewertet und abgearbeitet", betont die Sprecherin.
"Neben der akuten Lösung des Problems muss der Vorgesetzte eine Stellungnahme an die Klinikleitung schreiben, wie es zu dem Problem gekommen ist. Außerdem werden Gefährdungsanzeigen regelmäßig dahingehend ausgewertet, ob es sich um strukturelle Defizite handelt, um sie abzustellen." Für Überlastungsanzeigen gebe es jedoch keine festgelegten Kriterien, sodass sie jederzeit und bei jedem Anlass formuliert werden könnten, betont Matiszick. "Das erklärt häufig auch die schwankenden Zahlen."
Auch in den vier Freien Kliniken seien Gefährdungsanzeigen und Pflegekräftemangel akute Themen, sagt Wilfried Elfers, Betriebsrat im Rotes Kreuz Krankenhaus in der Neustadt. Das treffe auf alle Krankenhäuser zu. Konkrete Zahlen kann er nicht nennen, "aber wir haben immer einige Anzeigen im Umlauf". Auch Elfers hält Überlastungsanzeigen für ein wichtiges Instrument zum Schutz der Pflegekräfte, aber vor allem auch, um auf Notstände hinzuweisen. Verschärft würden die Probleme dadurch, dass jahrelang bundesweit zu wenige Pflegekräfte ausgebildet und Kliniken Pflegepersonal abgebaut hätten.
Die Folgen dieses Versäumnisses hat die Gesundheitsbehörde Ende April in einer Studie für Bremen aufgezeigt: Danach werden bis 2035 über 2500 Pflegekräfte im kleinsten Bundesland fehlen, wenn die Ausbildungskapazitäten nicht erhöht würden. Darin sind auch Altenpflegekräfte eingerechnet. Laut Verdi fehlen in Bremer Kliniken schon heute 700 Stellen.