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Bürgerrat Ernährung Wie sich ein Bremer für gesundes Essen stark macht

Der Bremer Detlef Sarakatsanis ist einer von 160 Bundesbürgern, die im Bürgerrat Ernährung sitzen. Was genau er dort macht und wie er die Arbeit der Politik bewertet, hat er uns erzählt.
25.01.2024, 05:00 Uhr
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Wie sich ein Bremer für gesundes Essen stark macht
Von Marc Hagedorn

Auf dem Tisch in der Küche steht eine Schale mit Obst. Bananen, Äpfel, Orangen. Die Kaffeetafel ist eingedeckt, es gibt Apfelkuchen. „Selbstgebacken von meiner Frau“, sagt der Gastgeber. Die Äpfel kommen aus der Region, aus dem Alten Land, „wir legen Wert auf gutes und bewusstes Essen“, sagt Detlef Sarakatsanis.

Mehr noch als sonst hat sich der Bremer in den vergangenen Monaten mit dem Thema Essen beschäftigt. Sarakatsanis, 76 Jahre alt, sitzt als einer von 160 Bundesbürgern im Bürgerrat Ernährung. Neun Ideen für eine gesunde Ernährung hat das Gremium seit September in mehreren Sitzungen und Workshops entwickelt. Das Gutachten muss jetzt noch offiziell im Bundestag an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas überreicht werden. Sarakatsanis freut sich darauf: „Das wird ein wichtiger Tag.“ In knapp vier Wochen fährt er zur feierlichen Übergabe nach Berlin.

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Doch jetzt sitzt Sarakatsanis erst einmal in seinem Wohnzimmer in Oberneuland und soll dem WESER-KURIER erzählen, wie das überhaupt so war: Mitglied in einem Bürgerrat zu sein. Empfehlungen zu entwickeln, an die sich die Politik bei künftigen ernährungspolitischen Entscheidungen bitteschön orientieren soll.

Sarakatsanis holt einen Stapel Papier aus seinem Arbeitszimmer. 29 Seiten umfasst das Dokument, das mit "Ernährung im Wandel" überschrieben ist. Auf neun Empfehlungen konnten sich die Mitglieder des Bürgerrates einigen. Und so heißt es unter Punkt eins jetzt zum Beispiel: kostenfreies Mittagessen für alle Kinder in Kindergärten und Schulen. „Vor allem die Mütter im Bürgerrat haben dafür gesorgt, dass dieses Thema ganz weit oben steht“, sagt Sarakatsanis, „und das finde ich auch gut so.“

Gut findet er auch, dass der Bürgerrat Maximalforderungen aufgestellt hat. „Natürlich gab es schnell Rückmeldungen aus der Politik, dass es nicht so einfach werde, zum Beispiel ein kostenloses Mittagessen für alle Kinder zu finanzieren. Aber wissen Sie was? Das hat uns nicht interessiert. Wenn es leicht wäre, hätte man es längst gemacht. Jetzt muss sich die Politik eben mehr anstrengen.“

Das hätten im Übrigen auch sie als Bürger getan. Intensive Diskussionen hätten sie geführt. Fleischesser sitzen im Bürgerrat neben Veganern, Flexitarier neben Vegetariern. Emotional, aber nie ideologisierend und moralisierend seien die Gespräche gewesen. „Ich habe selten Menschen mit so viel Toleranz erlebt“, sagt Sarakatsanis.

Menschen möglichst aus allen Alters- und Gesellschaftsgruppen waren im Vorfeld ausgelost und für eine Teilnahme angefragt worden. Er habe das zunächst für einen Witz gehalten, als er entsprechende Post aus Berlin bekommen habe, sagt Sarakatsanis, „fake news, dachte ich“. Und auch: Bürgerrat? „Das klang komisch. Sie wissen schon: Räterepublik und so.“ Außerdem gebe es doch schon das Parlament, Ausschüsse und Gremien. Aber gut, er habe sich überzeugen lassen und sein Mitwirken nicht bereut. „Es war eine spannende Zeit.“

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Sarakatsanis hat sich intensiv bei zwei Themen eingebracht: dem Tierwohl und der Kennzeichnung von Lebensmitteln. „Ich esse gerne Fleisch“, sagt Sarakatsanis. Er ist gelernter Hotelkaufmann, hat als Steward auf Schiffen gearbeitet und war in Berlin jahrelang Hotelier. „Ich kenne mich aus, ich weiß, wie in Küchen gearbeitet wird. Wenn ich deshalb Fleisch esse, möchte ich, dass das Tier eine gute Zeit hatte, also dass es artgerecht gehalten wurde und keine langen Transportwege zurücklegen musste.“ Jetzt steht unter Punkt vier in den Empfehlungen: „Ein verpflichtendes und staatlich kontrolliertes, ganzheitliches Tierwohllabel soll den gesamten Lebenszyklus von Nutztieren abbilden.“

Sarakatsanis bezeichnet sich als politisch interessierten Menschen. Es macht ihm sichtlich Spaß, im Gespräch mit dem WESER-KURIER die Politik der Ampelregierung zu sezieren, das Wirken von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen zu bewerten oder den CDU-Abgeordneten Philipp Amthor anzuzählen. „Das müssen Sie sich mal vorstellen“, sagt Sarakatsanis, „der Amthor spricht bei der Begrüßung davon, wie toll es wäre, wenn wir Bürger uns einbringen würden. Ein paar Tage vorher hat er die Einführung des Bürgerrates noch kritisiert. Da packt man sich doch an den Kopf.“

Sehr genau werde er deshalb beobachten, was aus ihren Empfehlungen werde, sagt Sarakatsanis, „nicht, dass die in irgendeiner Schublade verschwinden“. Die Gefahr besteht, denn nicht nur das kostenlose Mittagessen für Kinder ist eine Forderung, die es in sich hat. Der Bürgerrat schlägt auch vor, die Mehrwertsteuer bei unverarbeitetem Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität auf null zu setzen. Auch Mineralwasser, Hülsenfrüchte und Vollkorngetreide soll von der Mehrwertsteuer befreit werden. Dafür soll Fleisch aus der Haltungsform 1 und 2 mit 19 Prozent höher besteuert werden als Fleischersatz und Fleisch der Stufen 3 und 4 mit sieben Prozent.

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Minister Özdemir hat vor wenigen Tagen seine Strategie „Gutes Essen für Deutschland“ vorgestellt. 90 Maßnahmen bündelt das Konzept. Kritiker werfen Özdemir vor, in mehreren Punkten hinter den Empfehlungen des Bürgerrats zurückzubleiben. Auch Sarakatsanis hält das Engagement des Ministers für ausbaufähig. Dafür weiß er selbst zu gut, wie wichtig die richtige Ernährung ist. Vor drei Jahren, damals wog er noch 110 Kilo, hat Sarakatsanis seine Essgewohnheiten umgestellt. Heute liegt sein Gewicht bei 80 Kilo.

Zur Sache

Die neun Empfehlungen des Bürgerrates

Als Investition in die Zukunft versteht der Bürgerrat Ernährung seine Forderung, Kindern künftig ein kostenfreies Mittagessen in Schulen und Kindergärten anzubieten. Bewusstes Einkaufen soll künftig durch ein verpflichtendes staatliches Label erleichtert werden. Der Lebensmitteleinzelhandel soll dazu verpflichtet werden, genießbare Lebensmittel weiterzugeben. Im Sinne des Tierwohls sollen Lebensbedingungen und Herkunft der Tiere auf Verpackungen transparent dargestellt werden. Der Bürgerrat plädiert weiter dafür, Steuern so einzusetzen, dass gesunde Lebensmittel geringer besteuert werden als ungesunde. Eine gesunde, ausgewogene und angepasste Gemeinschaftsverpflegung soll in Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen Standard werden. Für mehr Tierwohl empfiehlt der Bürgerrat eine Verbrauchsabgabe. Energydrinks sollen nur mit Altersgrenzen freigegeben werden. Und um alle Maßnahmen zu kontrollieren, soll mehr Personal in diesem Bereich zum Einsatz kommen.

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