Die Jugendberufsagentur (JBA) soll jungen Menschen dabei helfen, einen Beruf zu ergreifen oder einen Abschluss zu erreichen. Sie fordern nun in einem Antrag Änderungen des Systems. Was läuft aus Ihrer Sicht nicht so gut?
Bettina Hornhues: Die Jugendberufsagentur ist aus unserer Sicht, um es vorsichtig zu formulieren, nicht optimal aufgestellt. Sie müsste eigentlich viel schlagkräftiger sein, viel näher an die Jugendlichen herankommen. Aber dem stehen viele Barrieren entgegen. Ob es nun der Datenschutz ist oder dass nicht nachgehalten wird, wo die Jugendlichen dann später bleiben.
Christoph Weiss: Es fehlen klare Ziele und in Problemsituationen dann gezielte Verbesserungsmaßnahmen, die man regelmäßig überprüft, also evaluiert, ob und wie damit die Ziele erreicht wurden. In Bremen fehlen diese klaren Ziele als wichtige Orientierung und das Ergebnis der Evaluierung lautet: Man kann es nicht evaluieren. 165 Vollzeitkräfte arbeiten für die JBA, aber man kann deren Beitrag zur Zielerreichung nicht messen. Das ist doch abenteuerlich.
Laut dem Wirtschaftsressort wird derzeit ein neues Berichtswesen entwickelt, mit dem die Wirkung der Maßnahmen anhand eines neuen Kennzahlensystems besser nachverfolgt und dargestellt werden soll.
Christoph Weiss: Das glaube ich erst, wenn ich eine aussagefähige Auswertung gesehen habe. Nach sechs Jahren wäre es dafür tatsächlich höchste Zeit.
Bettina Hornhues: Wir erwarten, dass für die notwendigen Gestaltungsaufgaben endlich klare Rahmenvorgaben gemacht werden. Und die können nur durch ein vernünftiges Controlling evaluiert werden. Vor allem aber müssen durch übergreifende Zielvereinbarungen und Qualitätsstandards auch ein bundesweiter Erfahrungsaustausch und ein Qualitätsentwicklungsprozess ermöglicht werden.
Halten Sie denn das Konstrukt, dass sich das Wirtschafts- und das Bildungsressort mit der Handelskammer und der Agentur für Arbeit zur Unterstützung der Jugendlichen zusammenschließen, grundsätzlich für richtig?
Christoph Weiss: Die Idee, dafür zu sorgen, dass kein Jugendlicher auf dem Weg von der Schule zum Beruf verloren geht, ist erst einmal eine sehr gute. Das Konstrukt stammt aus Hamburg, der damalige sozialdemokratische Sozialsenator Detlef Scheele hat es entwickelt und dort 2013 eingeführt. Aber man muss es eben auch gut umsetzen, gerade in Bremen.
Was meinen Sie genau?
Christoph Weiss: Es gibt von der Arbeitnehmerkammer eine aktuelle Auswertung zum Thema Armut, die den Zusammenhang mit Ausbildung herstellt. Bremen hat mit 16 Prozent den höchsten Anteil aller Bundesländer von 25-Jährigen ohne Abschluss. Im Bundesdurchschnitt sind es 10,3 Prozent. Es gibt einen Zusammenhang zwischen mangelnder Ausbildung, dem, was die Jugendberufsagentur ja gerade verhindern soll, und einem hohen Armutsrisiko. Deshalb ärgert es mich, dass das gerade in Bremen so schlecht umgesetzt wird.
Hornhues: Das Dramatische ist auch, dass ein Teil dieser 16 Prozent, nämlich die Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss mehr geworden sind, seit es die Jugendberufsagentur gibt. Im Jahr 2015 hatten wir 447 Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss, 2019 waren es 607. Das muss doch wachrütteln.
Sie nannten als einen der Schwachpunkte den Datenschutz. Inwiefern führt er zu Problemen?
Christoph Weiss: Man braucht eine Vereinbarung mit den jungen Leuten, dass sie einwilligen, ihre Daten im Bereich der Partner der Jugendberufsagentur frei zu geben. In Hamburg ist das so geregelt, die Jugendlichen profitieren ja auch davon. In Bremen hat man die Werkzeuge, aber sie werden nicht genutzt. Es gibt eine große Bereitschaft in vielen Bereichen, sich beteiligen zu wollen, aber diese Bereitschaft versandet.
Bettina Hornhues: Theoretisch könnte sich ja auch der Part Bildung sich die Daten von den Schülern freigeben lassen und sagen: Unser Auftrag ist es, das nachzuhalten. Sie müssen ja nicht ans Wirtschaftsressort oder an die Agentur für Arbeit weitergegeben werden.
Christoph Weiss: Aktuell ist coronabedingt auch die Verfügbarkeit des Personals ein Problem. Die Ressourcen stehen nicht so zur Verfügung wie man sie bräuchte, die Arbeitsagentur ist im Moment stark mit der Abwicklung des Kurzarbeitergeldes beschäftigt, darunter auch viele Mitarbeiter, die sonst für die Jugendberufsagentur die Vor- und Nachbereitung machen.
In diesem Bereich sehen Sie auch Nachbesserungsbedarf. Was schlagen Sie vor, um die Jugendlichen besser zu erreichen?
Bettina Hornhues: Es geht um niedrigschwellige Aktionen. Wenn Jugendliche erst mal aus dem System rausgefallen sind, kriegt man die nicht so schnell wieder. Ich hatte letztens Kontakt zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund, der nicht zum Abitur zugelassen wurde. Dass es die Jugendberufsagentur gibt, wusste er gar nicht. Warum nicht mal bei Instagram oder bei Tiktok Anzeigen schalten? Da, wo sich die Jugendlichen aufhalten. Oder warum nicht Flyer verteilen in der Disco, wenn das wieder möglich ist?
Christoph Weiss: Wenn man weiß, dass jedes Jahr rund 1000 Jugendliche unversorgt sind, könnte man sie ja auch einfach mal anrufen. Es gibt 165 JBA-Mitarbeiter, da führt jeder zehn Gespräche, dann hätte man 1650 Kontakte. Ich glaube nicht, dass die jungen Leute durch klassische Briefe erreicht werden.
Befürchten Sie, dass die Corona-Krise die Lage dieser Jugendlichen noch verschlechtert?
Bettina Hornhues: Auf jeden Fall. Es sind gerade so gut wie keine Berufspraktika möglich. Bei vielen Schülern findet eine Demotivierung statt. Sie denken sich: Wenn ich schon kein Praktikum bekomme, warum soll ich mich dann für eine Ausbildung bewerben? Gerade die Schüler aus bildungsfernen Familien müssten jetzt eigentlich erst recht an die Hand genommen werden. Viele Jugendliche haben keinen Plan, was sie machen wollen. Da sehe ich die Jugendberufsagentur in der Verantwortung, zusammen mit ihnen diese Frage zu klären. Ob es um fachliche Interessen geht oder zuerst einmal darum, ihnen beizubringen, dass man morgens pünktlich irgendwo erscheinen muss.
Glauben Sie, dass sich die von Ihnen benannten strukturellen Probleme durch mehr Geld für die JBA lösen ließen?
Christoph Weiss: Es ist keine Geldfrage. Es ist eine Frage von effizienter Organisation, von „Einfach mal machen“. Man muss sich auch mal trauen, und gegen Widerstände angehen. Die Lösungen sind da, aber sie werden nicht umgesetzt. Der Bremer Senat wird seiner Verantwortung nicht gerecht, einen wichtigen Beitrag zur Armutsvermeidung zu leisten.