Die Vorgänge um den mutmaßlichen massenhaften Sozialbetrug in Bremerhaven sollen von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden.
Der Skandal um den mutmaßlichen organisierten Sozialleistungsbetrug in Bremerhaven wird Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA). CDU und Linke werden in der kommenden Woche die Einsetzung des Gremiums beantragen. Mit zusammen 28 Mandaten verfügen die beiden Fraktionen in der Bürgerschaft über ausreichend Stimmen, um die Einsetzung eines PUA zu erzwingen.
Der gemeinsame Antrag von CDU und Linken liegt dem WESER-KURIER vor. Demnach soll vor allem geklärt werden, „wie es dazu kommen konnte, dass über mehrere Jahre hinweg in organisierter Struktur mutmaßlich mehr als 1000 EU-Zuwanderer, vor allem aus Bulgarien und Rumänien, nach Bremerhaven gelockt, mit Scheinarbeitsverträgen zum Zwecke des Sozialleistungsbetruges ausgestattet wurden und zumindest teilweise auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet wurden“.
Sozialleistungen sollen erschlichen worden sein
Hierfür interessiert sich seit einiger Zeit auch die Staatsanwaltschaft. Im Zentrum ihrer Ermittlungen stehen die in der Seestadt ansässigen Vereine „Agentur für Beschäftigung und Integration“ (ABI) und „Gesellschaft für Familie und Gender Mainstreaming“.
Sie sollen es den Migranten ermöglicht haben, mithilfe der Scheinarbeitsverträge beim Bremerhavener Jobcenter ergänzende Sozialleistungen zu erschleichen. Teile dieser Gelder sollen an die Vereine zurückgeflossen sein. Außerdem besteht der Verdacht, dass ABI gegenüber der Behörde Nachhilfestunden für Kinder von Hartz-IV-Empfängern abgerechnet hat, die nie erteilt wurden.
Während die Beweise für strafbare Handlungen von der Staatsanwaltschaft noch zu erbringen sind, interessiert CDU und Linke unter anderem, warum es vom Auftauchen erster Anzeichen für einen massenhaften Sozialbetrug im Frühjahr 2014 bis zu ersten polizeilichen Maßnahmen gegen die Vereine fast zwei Jahre dauerte. In diesem Kontext soll der Untersuchungsausschuss auch mögliche Versäumnisse von Jobcenter sowie Bremerhavener Magistrat und Sozialbehörde aufarbeiten.
Staatsanwaltschaft durchsuchte Wohnungen
Die Arbeit des Ausschusses hat indes auch eine politische Komponente. Sie ergibt sich aus dem Umstand, dass der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Patrick Öztürk Sohn des ABI-Vorsitzenden Selim Öztürk ist, der von Beginn an im Fokus der staatsanwaltlichen Ermittlungen stand. Inzwischen wird auch gegen Öztürk junior wegen Beihilfehandlungen ermittelt.
Wie berichtet, durchsuchte die Staatsanwaltschaft in der vergangenen Woche Öztürks Wohnungen in Bremen und Bremerhaven sowie dessen Arbeitsstätte. Nach Informationen des WESER-KURIER gehen die Strafverfolger nach Sichtung von Kontobewegungen davon aus, dass über einen längeren Zeitraum rund 60 000 Euro vom Konto des Vaters auf das des Sohnes transferiert wurden.
Anders als von Patrick Öztürk behauptet, soll er auch nicht schon vor längerer Zeit rechtswirksam von seiner Funktion als 2. Vorsitzender der „Agentur für Beschäftigung und Integration“ zurückgetreten sein.
Öztürk beteuerte Unschuld
Patrick Öztürk beantwortet keine Medienanfragen zu dem Sachverhalt. In der Sitzung der SPD-Bürgerschaftsfraktion hat er aber am Montag dem Vernehmen nach erneut seine Unschuld beteuert und versichert, der Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen behilflich sein zu wollen.
Angesichts der Massivität der Vorwürfe empfinden viele Genossen Öztürks Festhalten an seinem Bürgerschaftsmandat inzwischen aber als Belastung. Fraktionschef Björn Tschöpe kündigte am Dienstag an, die Sozialdemokraten würden in der nächsten Woche der Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zustimmen.
Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme des Ausschusses noch unklar
Tschöpe: „Der systematische Sozialbetrug, der offenbar auch mit der Ausbeutung der nach Bremerhaven gelockten Menschen einherging, muss schnellstmöglich juristisch aufgeklärt werden. Wenn die CDU und die Linke parallel dazu eine parlamentarische Aufklärung verlangen, ist das ihr gutes Recht und auch in unserem Interesse.“
Wann der Ausschuss seine Arbeit aufnimmt, ist noch unklar. Dass CDU und Linke, die sonst politisch nicht allzu viel verbindet, den PUA gemeinsam beantragen, zeichnete sich nach den Worten von CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp und der Linken-Fraktionsvorsitzenden Kristina Vogt schon eine Weile ab.
Bei einer aktuellen Stunde der Bürgerschaft zu den mutmaßlichen Betrügereien habe sich bereits im März „eine große inhaltliche Nähe“ im Bemühen um Aufklärung abgezeichnet.